Emotionale Notwehr

Patricia Highsmiths Romane können sich hören lassen

Von Jörg von BilavskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg von Bilavsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein Buch und ein Film sind verschieden. Und die Geschichte von Zwei Fremde im Zug ist nicht genau wie mein Buch - und vielleicht besser! Und am besten vielleicht ist Nur die Sonne war Zeuge...". Dieses Zitat von Patricia Highsmith zeigt, wie skeptisch und unsicher die amerikanische Autorin gegenüber der filmischen Adaption ihrer Romane war.

Solche Zweifel sind auch bei den Hörspielbearbeitungen angebracht, in denen meist Dialoge die Dramatik des Geschehens und den Charakter der Figuren bestimmen. Die zwischenzeitlich eingeschalteten Erzähler schlüpfen oft nur in die Rolle des Conferènciers, der von Schauplatz zu Schauplatz, von Szene zu Szene überleitet, damit der Hörer die Übersicht nicht verliert. Doch in Patricia Highsmiths Prosa kommt dem Erzähler eine weitaus wichtigere Funktion zu. Er ist es, der durch haargenaue Beobachtungen und Beschreibungen das kunstvolle Psychogramm von Tätern und Opfern zeichnet.

Komplexe Figuren

Wer sich also als Regisseur an die Vertonung ihrer Romane und Erzählungen mit verteilten Rollen heranwagt, muss alle Kniffe der Hörspieldramaturgie beherrschen, um das komplexe Innenleben ihrer Figuren hörbar zu machen. Diesem Problem haben sich in der "Patricia Highsmith Best of"-Kollektion des Audio Verlags sieben Regisseure in ebenso vielen Hörspielen angenommen. Alle sieben sind zwischen 1973 und 2005 im Rundfunk ausgestrahlt worden. Zur Seite standen den ausgewiesenen Hörspielexperten so exzellente Schauspieler und Sprecher wie Bruno Ganz, Christian Brückner oder Rufus Beck. Sie haben ganze Arbeit geleistet, um den Mittelstands-Amerikanern in Highsmiths Romanen einen geheimnisvollen und abgründigen Charakter zu verleihen.

Die längeren Hörspiele atmen noch am ehesten den Geist der literarischen Vorlagen. Hier, wo genügend Raum für Expositionen und innere Monologe bleibt, werden auch die Protagonisten und ihre Motive heller beleuchtet. "Tiefe Wasser", "Der Stümper" oder "Der Geschichtenerzähler" vermögen die von Eifersucht, Neid oder Hass getriebenen Charaktere am plastischsten abzubilden. "Der Geschichtenerzähler", der im Verdacht steht, seine Frau ermordet und in einem Teppich im Wald verscharrt zu haben, ist von allen Hörspielen wohl am elegantesten konzipiert. Bruno Ganz gibt Sydney Bartleby, den schriftstellernden Eigenbrödler mit der Vorliebe für zynische Intermezzi, mit der nötigen Gelassenheit und Verschmitztheit zum Besten. Und Rufus Beck weiß in "Tiefe Wasser" den zunächst so souverän agierenden Verleger Victor van Allen an entscheidender Stelle zum unberechenbaren Nervenbündel mutieren zu lassen.

Dissonanzen

In "Der Stümper" treffen gleich drei hervorragende Schauspieler aufeinander. Der Möchtegern-Mörder alias Peter Bongarz und der Gattinnen-Mörder alias Rolf Boysen spielen sich gekonnt die Bälle im Spiel um Schuld und Unschuld zu. Der Dritte im Bunde ist der ehrgeizige Kriminalist Corby alias Dominique Horwitz, der die beiden mit Inbrunst aufeinander hetzt. Am Ende gehen alle erschöpft zu Boden. Weder ein juristischer noch ein moralischer Gewinner ist auszumachen. Was hier an Verdächtigungen und Erpressungen ausgesprochen wird, lässt das menschliche Treiben als einzige Dissonanz erscheinen.

"Ediths Tagebuch" ist in literarischer und psychologischer Hinsicht das komplexeste Werk von Patricia Highsmith. Es in ein 50-minütiges Hörspiel zwängen zu wollen, ist ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist. Der Hörer hastet mit der Protagonistin wie in einem zu schnell abgespulten Film von einer seelischen Verletzung zur anderen, ohne dass das Ausmaß dieses Psycho-Dramas klar erkennbar würde. So verweilt der Spannungsbogen in leichter Krümmung bis er schlussendlich in einer "Flatline" ausläuft. Auch beim "Zittern des Fälschers" bleibt die Seelenlandschaft des jungen Schriftstellers Howard Ingham seltsam konturlos. Seine verzweifelte Flucht vor der Realität und vor seiner Verantwortung für einen vertuschten Totschlag wirkt hier wie eine angestrengte und lustlose Wanderung.

Wer welche Straftat begangen hat, möchte man am Ende des 30-minütigen "Der Killer" wissen. Bei der ungleichen "Ménage à trois" in "Ehespiele" kann man es sich recht bald denken. Wo der eine Fall zu mysteriös ist, ist der andere am Ende zu durchsichtig. Diese beiden Kurzgeschichten sind in ihrer verspielten Rätselhaftigkeit eher untypisch für die Autorin, auch wenn hier - wie in allen anderen Hörspielen - gescheiterte oder scheiternde Partnerschaften im Mittelpunkt stehen.

In den Mord getrieben

Dass Patricia Highsmith eine "Dichterin der unbestimmbaren Beklemmung" ist, wie Graham Greene einmal sagte, kommt in allen Hörspielem mit unterschiedlichen Mitteln zum Ausdruck. Mal durch die musikalische Untermalung, meist aber durch die von den hervorragenden Sprechern gesetzten Akzente. Dass die Autorin der Akt des Mordens und dessen Aufklärung weniger interessiert als die Psyche der meist durch seelische Verletzungen zum Mord Getriebenen, wird in den Hörspielbearbeitungen ebenso deutlich. Für die Mörder bringt sie in aller Regel mehr Verständnis auf als für deren Opfer. Kein Wunder, dass Patricia Highsmith ihre Täter wegen emotionaler Notwehr des öfteren freispricht. Ob sie diese Hörspiel-Edition mit gleicher Milde beurteilt hätte, ist fraglich. Das Prädikat "Best of" wäre ihr wahrscheinlich nicht über die Lippen gekommen.

Ein klares "Best of Booklets" hat sich das Begleitheft verdient. Über mangelnde Informationen zur Autorin, zum Werk, zur Produktion und zu den Sprechern kann man sich wahrlich nicht beklagen. In dieser Hinsicht schlägt das 32-seitige Booklet sogar noch die im letzten Jahr erschienene Chandler-Edition. Neben den kurzweiligen Essays über ihr kritisches Verhältnis zum "American Dream" oder die Empathie für ihre Figuren besticht es vor allem durch Fotografien, die Patricia Highsmith in allen Altersphasen und Stimmungen zeigen: zerbrechlich, melancholisch und nachdenklich wie viele ihrer literarischen Helden. Insofern harmoniert die Auswahl der Hörspiele mit dem facettenreichen Booklet.

Lücke als Chance

Allerdings vermisst man in dieser Sammlung den wagemutigen und unverfrorenen Tom Ripley. Vielleicht muss man den amoralischen Missetaten ihres Lieblingshelden doch eine eigene Reihe widmen. Denn Ripleys Charakter ist eine Welt für sich, in die der Audio Verlag seine Hörer hoffentlich auch bald entführen wird.


Titelbild

Patricia Highsmith: Best of. Die große Hörspiel-Edition. 10 CD.
Gesprochen von Bruno Ganz, Christian Brückner, Rufus Beck, Maren Kroymann und Dominique Horwitz.
Der Audio Verlag, Berlin 2005.
524 Minuten, 69,00 EUR.
ISBN-10: 3898134601

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