Kraft durch Freude Conversations

Roswitha Quadflieg hat Samuel Becketts Hamburger Tagebücher zusammengefasst

Von Friedhelm RathjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedhelm Rathjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neun Wochen, die zwar nicht die Welt, aber vielleicht die Weltliteratur und ganz gewiß Samuel Beckett veränderten: das waren diejenigen, die der 30jährige Dubliner Ende 1936 in Hamburg verbrachte. Mit diesen neun Wochen begann seine Bildungsreise durch Deutschland, die insgesamt ein halbes Jahr dauerte und dem knospenden Schriftsteller denkwürdige Begegnungen mit Künstlern und Intellektuellen, neue Eindrücke vielfältigster Art, aber auch allerlei Frustrationen und einen anschaulichen Einblick in das Wirken der Nazi-Diktatur einbrachte. Die Zeit in Hamburg war dabei besonders wichtig, nicht nur weil der Aufenthalt in der Elbmetropole länger dauerte als jede andere Station der Reise, sondern auch weil Beckett hier die Kontakte knüpfte, die ihm dann auch anderswo Zugang zu Menschen und Kunstwerken verschafften, die aus der Öffentlichkeit verschwunden waren. Als Beckett nach Deutschland kam, waren die Museen des Landes nämlich schon weitgehend von allem gesäubert, was der faschistischen Ideologie als 'entartet' oder 'undeutsch' galt, vor allem von den Werken der Moderne, die Beckett besonders interessierten. Vieles, was bleibende Eindrücke hinterließ, sah Beckett nur in Kellern, Magazinen und Privatsammlungen. Auch manches Buch, das er haben wollte, konnte er nur unter der Ladentheke erstehen oder in privaten Bibliotheken einsehen.

Dass Beckett damals eine Reise durch Deutschland unternahm, ist seit Jahrzehnten bekannt, doch über das, was er dabei erlebte, konnte lange nur spekuliert werden - bis nach Becketts Tod sein Neffe im Nachlass eine sensationelle Entdeckung machte: Beckett hatte auf seiner Reise akribisch Tagebuch geführt, und dieses Tagebuch ist komplett erhalten. James Knowlson hat es für seine Beckett-Biographie, die 1996 auf englisch und 2001 in deutscher Übersetzung erschien, auswerten dürfen, doch leider sperrt sich der Neffe dagegen, das Tagebuch insgesamt veröffentlichen zu lassen. Eine Ausnahme machte er nur für eine Luxusedition, in der Roswitha Quadflieg 2003 den Hamburg-Teil des Tagebuchs (er reicht vom 2. Oktober bis zum 4. Dezember 1936) veröffentlichen durfte, allerdings zu einem so horrenden Preis, dass Normalsterbliche sich den Band kaum leisten konnten. So wartet die überwiegende Mehrzahl der Beckett-Leser weiterhin vergebens auf den größten aller denkbaren Glücksfälle, nämlich den Zugang zu den kompletten Reiseaufzeichnungen.

Was Roswitha Quadflieg uns jetzt mit dem Band "Beckett was here" vorlegt, das ist gewissermaßen der zweitgrößtmögliche Glücksfall. Tag für Tag präsentiert sie charakteristische Auszüge aus dem Hamburger Tagebuch, verbunden durch erläuternde Zwischentexte, die all das mitteilen, was sie nicht im Originalwortlaut wiedergibt. Auf diese Weise bekommen wir sozusagen die Essenz des Tagebuchs geliefert, die die Würze des Originals weitgehend bewahrt, es aber gleichzeitig bestens verdaubar macht; Zusammenhänge werden erklärt, erwähnte Personen mit biografischen Skizzen vorgestellt, topografische Einzelheiten auch für Leser, die in Hamburg nicht zu Hause sind, durchschaubar gemacht, und dies alles auf so knappe wie anschauliche Weise, dass die Freude des Lesens keine kleine ist.

Und was lesen wir da? Vielfach sind es die Banalitäten des Alltags, die Beckett aufzeichnet, und zwar in aller Regel in einem pointierten Gemisch aus Englisch aus Deutsch, das zu allem und jedem ein deutliches Urteil formuliert. Alles wird kommentiert - die unfreundliche Witterung: "Hundewetter again"; das bedrückende politische Klima: "Alle Klowärter sagen Heil Hitler"; die Konversation: "the usual Quatsch"; seine leeren Taschen: "Money knapper & knapper"; das Essen: "Sülze. Gräßlich." Wenn er einigermaßen bei Stimmung ist, scheint ihm Hamburg immerhin halbwegs zu gefallen, er nimmt Anteil an dem, was um ihn herum geschieht, und als eine Sturmflut die Deiche entlang der Elbe bedroht, will er sich sogar den Rettungsmannschaften anschließen.

Beckett überwindet seine natürliche Schüchternheit und versucht, mit möglichst vielen Leuten ins Gespräch zu kommen, um sein Deutsch zu trainieren, denn ohne Sprachkenntnis nützt die beste Schweigsamkeit nichts: "To be really wortkarg one must know every Wort." Bisweilen verwirrt sich ihm dann aber auch alles: "phrases rattling like mashinegun fire in my skull...". Einmal spürt er ein "dim desire for female company"; der Versuch, bei einer kultivierten Schönen zu landen, scheitert leider. Auf seine Bitte vermittelt die Akademische Auslandsstelle ihm eine 'Lotsin', die ihn bei Spaziergängen und Veranstaltungsbesuchen begleitet und mit ihm Konversation macht. Dieses Fräulein Asher ist allerdings nicht ganz nach Becketts Gusto: "Her Kraft durch Freude conversation kills me." Sie empfiehlt ihm Bücher von Ernst Wiechert, doch Beckett ist für derlei Zeugs nicht zu begeistern, auch andere Proben großdeutschen Kunstgeschmacks, die ihm vor Augen und Ohren kommen, haben deutliche Bemerkungen im Tagebuch zur Folge: eine Lesung Hermann Stehrs ist für ihn "Earnest Kitsch, delivered in a senile whisper"; als im Radio ein Konzert mit Musik des in Deutschland geschätzten Edward Elgar übertragen wird, etikettiert Beckett ihn als den "Galsworthy of music". Auch der Großteil der Gemälde, die Beckett bei insgesamt elf Besuchen in der Kunsthalle in Augenschein nimmt, beschwört sehr abfällige Bemerkungen herauf.

Und doch ist es die Kunst, die am Ende den stärksten Eindruck hinterlässt. Beckett schätzt die wenigen Beckmann-Bilder, die er noch zu sehen bekommt, steht lange vor Noldes "Christus und die Kinder" und begeistert sich für Werke von Munch und Otto Müller - sie findet er freilich nicht in öffentlichen Ausstellungen, sondern nur durch private Vermittlung. Auf diese Weise lernt er schließlich auch die beiden Maler Willem Grimm und Karl Ballmer kennen, mit denen er freundschaftlich verkehrt und an deren Bildern er "the stillness & the unsaid" bewundert. Beckett-Kenner sind mit diesen Namen schon lange vertraut, denn die beiden Künstler werden in späteren kunstkritischen Essays Becketts gepriesen.

Nicht-Beckett-Kenner freilich wissen mit diesen Namen sicherlich erst einmal wenig anzufangen, und das hat seinen unguten Grund. Wie Roswitha Quadflieg mit ihren Zwischentexten und insbesondere mit kleinen biografischen Skizzen immer wieder zeigt, ist genau jene Künstler-Szene, in die Beckett zu Ende seines Aufenthalts gerät und die eigentlich die Spitze der Hamburger Kultur hätte ausmachen können, von den Nazis planmäßig verfolgt und zerstört worden. Dass Roswitha Quadflieg die Schicksale aller Personen, mit denen Beckett in Hamburg in Berührung kommt, akribisch verzeichnet, ist zwar für den unmittelbaren Beckett-Kontext unerheblich, verleiht dem Büchlein jedoch eine zusätzliche Dimension und macht es lesenswert für alle, die sich ganz unabhängig von Beckett für die Sozialgeschichte der Künstler- und Intellektuellenschicht Hamburgs (oder überhaupt Mitteleuropas) interessieren.

Roswitha Quadflieg hat mühevoll allem und jedem nachgeforscht, was irgendwie mit Becketts neun Wochen in Hamburg zu tun hat; etliche verschollene Personen hat sie ermittelt, mit ihren Nachkommen gesprochen, Fotoalben studiert - und dabei einige kleine Schätze gehoben, etwa Briefe und Ansichtskarten von Becketts Hand und behördliche Aufzeichnungen über die Versuche des jungen Iren, verbotene Kunst zu sehen. Dass im Anhang nicht nur die 21 Bücher aufgelistet sind, die Beckett in Hamburg kaufte, sondern auch die vielen weiteren, die er sich auslieh oder sonstwie erwähnte, versteht sich angesichts des Quadflieg'schen Rechercheeifers fast von selbst; auch die üppigen Bildbeigaben sind mehr als ein hübsches Beiwerk. Alles in allem ist "Beckett was here" eine so liebevoll präsentierte und auch im Detail so anregende Darstellung, dass wir es der Autorin gerne durchgehen lassen, wenn sie im Übereifer Becketts Lieblingsgetränk "Whisky" schreibt (irischer Whiskey schreibt sich nie ohne das --e-!) und in der Zeittafel am Ende Becketts Heirat falsch datiert.

Am Tag vor seiner Abreise aus Hamburg notiert Beckett ein Epigramm, mit dem er die Mitmieter in seiner Pension zu belustigen sucht, wenn auch leider vergeblich: "Ich weiß ungefähr was ich tue, was ich bin weiß ich gar nicht." Wir Beckett-Leser wissen nach der Lektüre von "Beckett was here" nun aber besser als zuvor, was Beckett war - und bis ins Detail, was er in Hamburg tat.


Titelbild

Roswitha Quadflieg: Beckett was here. Hamburg im Tagebuch Samuel Becketts von 1936.
Mit einem Vorwort von Mark Nixon.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006.
223 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3455095410

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