Zwei misanthropische Schimpfköpfe - Jan Süselbecks vergleichende Studie über Arno Schmidt und Thomas Bernhard

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich hasse diesen Staat, dachte ich, ich kann nicht anders, als diesen Staat hassen und ich will mit diesem Staat auch nichts zu tun haben", betont Franz-Josef Murau in Thomas Bernhards letztveröffentlichtem Roman "Auslöschung. Ein Zerfall" (1986).

Gemeint ist Österreich. Doch auch der von dort aus nach Norden gerichtete Blick verheißt in Bernhards Romanen meist nichts Gutes. Bekannte der Autor doch gegenüber der französischen Tageszeitung "Le Monde" am 15. Januar 1983, seine Schreibweise sei "bei einem deutschen Schriftsteller undenkbar, und ich habe im übrigen eine echte Abneigung gegen die Deutschen".

Sein Zeitgenosse Arno Schmidt war einer von ihnen, und er veröffentlichte tatsächlich ganz anders aussehende Texte. Doch er teilte die Abneigung seines österreichischen Kollegen. Am 15. Dezember 1956 verriet er Alfred Andersch kurz und bündig: "The Germany kann me furchtbar leckn!!.....".

Diese und viele andere bisher weitgehend unbeachtet gebliebene Übereinstimmungen zwischen den großen Schimpfkünstlern Thomas Bernhard und Arno Schmidt werden in Jan Süselbecks Studie erstmals umfassend untersucht. Nicht nur in typischen Idiosynkrasien wie ihrem demonstrativen Hass auf die Kirche und ihrer Verweigerung jedweden gesellschaftlichen Engagements gleichen sich beide Autoren und ihre literarischen Protagonisten auf frappierende Weise.

Auch ihre Rezeption oft identischer literarischer Vorbilder, von denen sie sich gerne in äußerst herabsetzender Weise distanzieren, stellt Süselbeck nebeneinander: Schmidt und Bernhard können eine von früherer Wertschätzung geprägte Ambivalenz gegenüber den rüde beschimpften Vorgängern nicht verhehlen - und gleichen sich abermals in der offensichtlich politischen Strategie dieses eigentümlichen Bashings (moderner) Klassiker.

Süselbecks Untersuchung zeigt, wie Schmidt und Bernhard den zu ihrer Zeit geradezu religiös verehrten Autoren Adalbert Stifter, Martin Heidegger, Johann Wolfgang Goethe und Thomas Mann satirische Gegenlektüren gönnen, um gegen geschichtsrevisionistische Tendenzen zu polemisieren, die den restaurativen Kulturdünkel ihrer Heimatstaaten nach 1945 prägten.

Als "ausgleichende Ungerechtigkeit" gegen diesen "literarischen Götzendienst" (Arno Schmidt) zerschlage ihre totale literarische Schmähung jedoch lediglich die kultischen Konstrukte 'geistiger Leitbilder' - nicht aber die machtpolitisch instrumentalisierte Literatur der angegriffenen Autoren, argumentiert Süselbeck.

Den Schwerpunkt der Arbeit bildet die Erörterung der Frage, welche Rolle die Shoah in den Texten beider Autoren spielt. Gerade auch in der Unterscheidung ihrer (sublimen bis provokatorischen) Schreibweisen wird hier deutlich, welch progressiven und zugleich zeitkritischen Beitrag Schmidt und Bernhard mit ihren Werken innnerhalb der Literatur nach Auschwitz geleistet haben.

Georg D. Henn

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Titelbild

Jan Süselbeck: Das Gelächter der Atheisten. Zeitkritik bei Arno Schmidt & Thomas Bernhard.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
596 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-10: 3861091763

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