Vom Vertrauen in die russische Polizei

Zwei Kriminalromane von Polina Daschkowa

Von Daniel HenselerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Henseler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Polina Daschkowas Erfolg lässt sich mit einer nackten Zahl illustrieren: 25 Millionen. Sie entspricht der Gesamtauflage, die Daschkowas Kriminalromane in Russland inzwischen erreicht haben. Zieht man die deutschen Übersetzungen heran, dann kann man anhand der Klappentexte auch das allmähliche Anwachsen ihres Erfolgs messen. Innerhalb kurzer Zeit, von Buch zu Buch nämlich, haben sich die an und für sich schon beeindruckenden Zahlen von 16 Millionen und später 18 Millionen überholt.

Das Genre des Kriminalromans ist in Russlands Literaturlandschaft heute allgegenwärtig. An Kiosken und manchmal improvisierten Verkaufsständen in der U-Bahn, ja an beinahe an jeder Straßenecke werden Krimis verkauft und gekauft. Eine ganze Reihe von Autoren buhlt dabei um die Leserschaft. Bemerkenswert an diesem Phänomen ist zweierlei: Ein durchaus ansehnlicher Teil der Krimis bewegt sich auf literarisch wie inhaltlich beachtlichem Niveau. Und: Das Genre ist auf weiten Strecken eine Angelegenheit der Frauen. Viktoria Platowa, Alexandra Marinina, Anna Malyschewa, Darja Donzowa heißen nur einige von Polina Daschkowas Kolleginnen. Von ihnen allen sind deutsche Übersetzungen erhältlich.

Polina Daschkowa wird inzwischen bereits als die "Königin" des russischen Kriminalromans bezeichnet. 1960 geboren, hat sie am Gorki-Literaturinstitut in Moskau studiert. Mit ihren Büchern verfolgt sie nicht allein inhaltliche, sondern auch künstlerische Ambitionen. Ihre Sprache zeichnet sich durch eine hohe Qualität aus, auch wenn Daschkowa die Stilregister der russischen Sprache vielleicht nicht ganz so virtuos zu ziehen versteht wie ein anderer Meister des Fachs, Boris Akunin. Die Handlung ihrer Bücher ist anspruchsvoll und komplex aufgebaut. In "Russische Orchidee" wie auch im neuesten übersetzten Roman "Für Nikita" lässt Daschkowa das Geschehen an mehreren Schauplätzen zugleich stattfinden. Verschiedene Erzählstränge laufen über lange Zeit nebeneinander und berühren sich zunächst nicht. Erst allmählich erkennt man vage die Zusammenhänge. Freilich finden die einzelnen Teile am Schluss dann doch zusammen. Alle Rätsel lösen sich auf, und das Verbrechen wird bei Daschkowa immer aufgeklärt.

In "Russische Orchidee" verbindet Daschkowa den Mord an einem ziemlich unsympathischen Fernsehmoderator mit der Jagd nach einem sagenhaften Diamanten, dessen Vorgeschichte bis ins zaristische Russland zurückreicht. Erst allmählich erkennt der Untersuchungsführer Borodin, dass es zwischen den beiden Fällen Berührungspunkte gibt.

Ganz ähnlich in "Für Nikita". Nikita Rakitin, ein erfolgreicher Schriftsteller, schreibt in geheimem Auftrag die Biografie eines aufstrebenden Gebietsgouverneurs in Sibirien. Dabei stößt er auf brisantes Material, das ihn in allerhöchste Gefahr bringt: Auf Nikita wird ein Brandanschlag verübt. Unterdessen treibt in Moskau eine zwielichtige Sekte ihr Unwesen, welche ihre Mitglieder, darunter Frauen und Kinder, der freien Urteilskraft beraubt. Auch hier ist die Aufklärung letztlich nur dem wackeren und etwas schrulligen, aber doch sympathischen Hauptmann Leontjew zu verdanken, der sich die Mühe nimmt, einigen zunächst unerheblich erscheinenden Unstimmigkeiten nachzugehen. Schließlich deckt er einen Skandal auf, der das Zeug hat, die ganze "classe politique" zu erschüttern.

Daschkowas Krimis spielen im heutigen Russland und widerspiegeln seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität. Eine Liste der Themen, die Daschkowa in ihren Romanen anschneidet, ist fast ohne Ende: Sein und Schein der Medienwelt, Drogen und Prostitution, die mafiösen Verflechtungen von Staat und Wirtschaft, die Korruption unter Politikern, die geistige Heimatlosigkeit vieler Menschen, die in die Arme dubioser spiritueller Gruppierungen getrieben werden, der illegale Handel mit Kunstgegenständen usw.

Das mag nun alles sehr deprimierend, ja niederschmetternd klingen. Doch wäre es verfehlt, der Autorin vorzuwerfen, sie erliege der allgemeinen "Tschernucha". Dieser Begriff für "Schwarzfärberei" hat sich in Russland eingebürgert, seitdem in den 90er Jahren ein bedrückend-düsterer Grundton in einen Großteil der literarischen Produktion Einzug gehalten hat.

Man sollte nicht darüber hinwegsehen, dass einige Figuren in Daschkowas Krimis auch positiver gezeichnet werden: Sie versuchen auch in einem schwierigen Umfeld, ihr Leben redlich und vor allem ehrlich zu meistern. Bei aller Detailfülle in der Darstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse sind die handelnden Figuren aber letztlich doch etwas plakativ gezeichnet. Der Leser begreift bereits nach wenigen Seiten, wem seine Sympathien gelten sollen.

Die Spannung bleibt in Daschkowas Romanen dennoch erhalten: Die Autorin setzt geschickt vorläufige Höhepunkte und retardierende Momente mit abrupten Schauplatzwechseln ein. Zumindest in "Für Nikita" scheint auch relativ früh klar, wer im Zentrum des Dunstkreises steht, von dem alles Übel ausgeht. Doch dies bremst die Dynamik des Romans keineswegs, geht es doch für den Leser in der Folge vor allem darum, das undurchsichtige Geflecht von Beziehungen, Hintermännern und Hintergründen zu entwirren.

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch Daschkowas Vertrauen in die Vertreter der staatlichen Gewalten, denn es sind in beiden Büchern Kommissare der Polizei, welche die Verbrechen schließlich einer Aufklärung zuführen. Dies ist in den zeitgenössischen russischen Kriminalromanen durchaus nicht immer der Fall. Bei manchen Autoren bleiben die Opfer eines Verbrechens sich selbst überlassen; sie müssen allenfalls auch persönlich für Gerechtigkeit sorgen. In anderen Romanen nehmen private Ermittler die Arbeit auf sich, wenn die Behörden selbst dazu nicht fähig oder einfach nicht willens sind. Daschkowas Krimis haben deshalb vielleicht auch einen gewissen erzieherischen Anspruch. Sie stärken nämlich das Vertrauen des lesenden Publikums in die polizeilichen Autoritäten.


Titelbild

Polina Daschkowa: Für Nikita. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt.
Aufbau Verlag, Berlin 2005.
408 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3351030142

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Titelbild

Polina Daschkowa: Russische Orchidee. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Margret Fieseler.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2005.
435 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-10: 3746621542

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