Wolle de jour

Françoise Cactus' "Wollita"-Puppe bekommt fast den B.Z.-Kulturpreis. Aber nur fast

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erstaunlich, aber: Selbst 2004 konnte eine Wollpuppe noch für einen handfesten Skandal in der Berliner Kunstwelt sorgen. "Wollita", eine lebensgroße Puppe in Unterhose, gehäkelt von der Autorin und "Stereo Total"-Sängerin Françoise Cactus, wurde "vom Wollknäuel zum Superstar". Für eine Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg mit dem Titel "When Love turns to Poison" entworfen, sollte sie die Degradierung von Frauen zu Sex-Symbolen kritisieren.

Heraus kam jedoch zunächst das Gegenteil: Die Berliner Boulevardmedien B.Z. und BILD machten die Geschichte zum Titelthema, beschimpften die "nackte Puppe" und sprachen von einer "Kinderporno-Ausstellung", die nicht nur Perverse zu Schweinereien animiere, sondern die Stadt Berlin zudem noch Unsummen koste.

So ging es los. Klar war, dass es nicht dabei bleiben konnte. Wollita entwickelte in den Wochen und Monaten nach dem Presserummel ein Eigenleben, strebte eine Gesangskarriere an, forderte für sich den B.Z.-Kulturpreis und bekam schließlich aufgrund ihrer überhöhten sexuellen Ausstrahlung psychische Probleme, die sie zuletzt auch auf die Couch einer Psychologin führten. Auf der Gegenseite schlossen sich Naziverbände wie die "Kameradschaft Spreewacht" den Protesten von BILD und B.Z. an und forderten gar den Rücktritt der zuständigen Bürgermeisterin. Die Chronologie dieser - zum Teil absurden - Ereignisse und Reaktionen haben Francois Cactus und Wolfgang Müller jetzt in einem kleinen Buch zusammengefasst, das im Martin Schmitz Verlag erschienen ist und in dem Wollita in der Ich-Form von Ihren Abenteuern berichten darf.

Nun ist offensichtlich, dass hier mit Ironie und skurrilem Witz einer flachen, populistischen Hetzkampagne der Boulevard-Presse begegnet werden soll. Diese ironische Position gelingt vordergründig auch ganz gut, nicht zuletzt dank der verspielt-naiven Ausdrucksform von Wollita/Cactus, wie man sie auch etwa von den "Stereo Total"-Alben kennt. Aber beide Positionen, die vermeintlich "betroffene" Bürgermoral einerseits und die sich dagegen auflehnende künstlerisch-ironische Distanzierung andererseits sind im Grunde reine Stereotypen. "Sich-über-die-BILD-Zeitung-aufregen" ist eben schon lange nicht mehr als ein allzu selbstverständliches Substantiv. Entsprechend wenig Neues erfährt man aus einem Fall wie diesem; entsprechend erwartbar sind auch die jeweiligen Positionen von Kritikern und Kritiker-Kritikern und entsprechend "normal" erscheint dem Leser selbst diese absurde Geschichte. Daher wirkt die im Buch eingenommene Perspektive leider schnell einseitig - was allerdings durch die Kürze des Ganzen sowie durch die abwechslungsreichen "Erlebnisse" der Puppe Wollita etwas gemildert wird. Schade nur, dass das Buch so nachlässig redigiert ist - an allen Ecken sprießen die Rechtsschreibfehler aus dem Text wie Flusen aus Wollitas Unterhose.

Aber spätestens, wenn man die beiliegende Mini-CD in den Player schiebt, ist das Grübeln auch schon wieder vorbei. Die fünf nach dem Wollita-Thema abgewandelten Coverversionen bekannter Songs im "Stereo-Total"-Sound (so etwa "Wollita go home" von Gainsbourg oder "Je m'appelle Wollita" von Alyzée) machen klar: Wer hier zuviel denkt, hat die Idee nicht verstanden. Und: "Wolle" is just a five letter word.


Titelbild

Francoise Cactus / Wolfgang Müller: Wollita - Vom Wollknäuel zum Superstar. mit CD.
Stephane Bauer.
Martin Schmitz Verlag, Berlin 2005.
78 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-10: 3927795402

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch