Eine Logik der Weltherrschaft?

Herfried Münkler erklärt die Politik von Imperien

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Kalten Krieg war die Rede von nur einem Imperium: vom sowjetischen - und als Gegensatz zu dessen Zwangssystem Warschauer Pakt galt die NATO als freies Bündnis demokratischer Staaten. Unmittelbar nach 1990 schien die Zukunft solchen Staaten zu gehören. Dass in manchen Weltgegenden im Verlauf von Zerfallskriegen ganz andere Staaten entstanden, die sich durch ethnische Abgrenzung definierten, galt als Nebenpfad eines Hauptwegs zu einer durch Frieden und Verrechtlichung gekennzeichneten Weltgesellschaft. Tatsächlich kennen die neuen Staaten, zumeist in Osteuropa, heute kein höheres Ziel, als den Großteil ihrer Angelegenheiten in Brüssel entscheiden zu lassen. Wenn dennoch wieder von imperialer oder - deutlicher und pejorativ - von imperialistischer Herrschaft die Rede ist, so hat das seinen Grund im gewandelten Auftreten der USA als gegenwärtig einziger Großmacht.

Das Imperium steht über staatlichen Einheiten und damit mindestens in einem Spannungsverhältnis zur Idealvorstellung einer Regelung internationaler Verhältnisse, die von Rechtsbeziehungen zwischen Gleichen ausgeht. Das ist zwar stets Fiktion geblieben. Verhandelt etwa: Bulgarien über einen EU-Beitritt, so ist klar, wer über die Bedingungen entscheidet und vor allem, wer nicht. Doch im Prozedere bleibt die Fiktion von Freiwilligkeit in jedem Stadium erhalten und die Strukturhilfen, die im Erfolgsfall reichlich fließen, versüßen das Machtgefälle.

Anders steht die Sache, wenn die USA wie im Fall des Angriffs auf den Irak internationale Rechtsstandards souverän missachten. Den Beiseitestehenden mag die klammheimliche Freude bleiben, dass auch nach fast drei Jahren eine Befriedung des Irak nicht absehbar ist - angesichts der Alternativen haben sie dennoch kaum eine andere Wahl, als die Großmacht mehr oder minder offen zu unterstützen. Die Folge ist Ärger und viel Klage über das Imperium USA, über das mittlerweile in manchen deutschen Medien ähnlich hergezogen wird wie über die UdSSR in den 70er und 80er Jahren.

Herfried Münklers Buch über Imperien ist also ein Buch über aktuelle Konflikte. Gleichzeitig zeigt es eine große historische Tiefenschärfe, indem Münkler über verschiedenste Imperien seit der Antike schreibt. Zudem beansprucht es einen typologischen Stellenwert, insofern es, so der Untertitel, die "Logik der Weltherrschaft" zu zeigen unternimmt.

Am Anfang steht die Definition eines Imperiums. Es handelt sich, so Münkler, weder um einen Staat, der ein Akteur unter Gleichen ist, noch um einen Hegemon, der in einem Bündnis eine Führungsrolle ausübt. Vielmehr beansprucht ein Imperium, das politische Zentrum der Welt zu sein. Dabei lagern sich um einen Zentralstaat politische Gebilde, die zu ihm in einem mehr oder minder offensichtlichen Verhältnis der Abhängigkeit stehen. "Welt" musste früher nicht die "Erde" meinen, sondern konnte den Vorstellungsraum der Akteure bezeichnen; so überschnitten sich die Welten der gleichzeitigen Imperien Rom und China nicht. Im Zeitalter der Globalisierung allerdings ist die Welt gleichzeitig die Erde - mit ihrem Luftraum und dem Weltraum - und so gibt es nur noch Platz nur noch für ein Imperium, also die USA. (Ein wiedererstarktes China als möglichen Konkurrenten diskutiert Münkler leider nicht.)

Die imperiale Stellung der USA könnte Anlass zur Kritik bieten. Jedoch interessiert sich Münkler nicht für Moral, sondern für Funktionsweisen. Recht hat er zum einen mit der Skepsis, ob ein Zusammenbruch der USA tatsächlich das Leben auf der Erde angenehmer machen würde. Auch dürfte seine Beobachtung stimmen, dass Thesen über das Fortbestehen oder, in Europa häufiger, über den baldigen Zusammenbruch der USA eher auf politischen Überzeugungen und Wünschen als auf analytischer Durchdringung beruhen. Münklers Optimismus, über eine Analyse vergangener Imperien die Politik der USA verstehen zu können, führt jedenfalls zu einem ergiebigen illusionslosen Blick auf die Geschichte.

Das historische Fundament ist so breit wie profund. Münkler wählt seine Beispiele pragmatisch aus: Athen mit dem attischen Seebund war sicher kein Imperium, das die bekannte Welt umfasste, doch kann der Fall in Analogie zur USA den Übergang von einem Hegemon unter formal Gleichen zur Zentralmacht, die auf die Unterordnung der Peripherie zielt, veranschaulichen. Mit Rom, China, den mongolischen Steppenreichen, Spanien, Portugal, Russland, dem Osmanischen und dem Britischen Reich sind nicht nur die wichtigsten Imperien der schriftlich fixierten Geschichte vorgestellt. Zudem sind schnell gescheiterte, doch instruktive Ansätze zu ein Imperium analysiert, etwa die Frankreichs unter Ludwig XIV. oder Napoleon I., oder die Deutschlands vom Wilhelminismus bis 1945. Münkler vermag auch verschiedenste Typen imperialer Kontrolle anschaulich vorzustellen, so z. B. die Unterschiede zwischen Land- und Seeherrschaft. Für erstere steht die aufwendige Raumbeherrschung, wie sie Russland über Jahrhunderte auf seinem langsamen Weg nach Osten und Süden aufbaute, und für die letztere die portugiesische Kontrolle des Indischen Ozeans im 16. Jahrhundert, die von nur wenigen Stützpunkten aus mittels einer hochbeweglichen Flotte geleistet wurde.

Originell und produktiv ist Münklers Ansatz, imperiale Politik nicht nur vom Zentrum aus zu denken, sondern die Peripherie einzubeziehen. Der Aufstieg von Imperien folgt in dieser Sicht keinem weltumfassenden Masterplan elitärer Akteure. Der Übergang Großbritanniens vom kostengünstigen Handelsimperialismus zum teuren Kolonialimperialismus im 19. Jahrhundert erscheint so nicht als Bosheit Londoner Schurken, sondern als Reaktion darauf, dass der Handelsimperialismus in den unterlegenen Ländern jene politischen Strukturen zersetzt hatte, die er selbst zur Ausbeutung brauchte. Deswegen genügte es nicht mehr, Handelskompanien aus Küstenstützpunkten heraus agieren zu lassen, sondern wurde eine kostspieligere Kontrolle des Raumes notwendig. Hier lassen sich in der gegenwärtigen Globalisierung tatsächlich Parallelen finden, die Intervention im Irak eingeschlossen.

Münkler untersucht sowohl den Aufstieg der Imperien als auch ihren Niedergang. Das überzeugt in jedem Einzelfall - erleichtert dadurch, dass ja alle bekannten Imperien außer bislang den USA zuletzt scheiterten. Der Aufstieg erscheint dabei als eher zufällig: Man wurde Imperium wider Willen und war dann gezwungen, als solches zu agieren. Der Niedergang erscheint dann als Unmöglichkeit, diese Kontrolle tatsächlich auszuüben. Die Beispiele reichen von den mongolischen Reitern - die kaum mehr als zu plündern wussten - bis hin zur ökonomischen Schwäche Großbritanniens, die vom Ersten Weltkrieg an datiert. Ist all das determiniert? Nein, legt Münkler nahe, insofern sich imperiale Mächte auch nach tiefgreifenden Niederlagen zu regenerieren vermögen: wie etwa Großbritannien erst nach dem Verlust der wichtigsten nordamerikanischen Kolonien zur Weltmacht aufstieg.

Kriterium dauerhaften Erfolgs ist es, ob Imperien die "augusteische Wende" schaffen, den für Rom unter Augustus bewerkstelligten Übergang von der auf Dauer herrschaftstechnisch wie finanziell aufwändigen Ausbeutung von Kolonien zu einer stabileren Struktur, die sowohl dem Zentrum als auch der Peripherie zugute kommt. Beliebte Erklärung für den Niedergang von Imperien ist die These von ihrer Überdehnung, die historisch eher Land- als Seeimperien drohte. Ganz aus gegenwärtiger Perspektive greift Münkler diese These auf, historisiert sie aber konsequent: Überdehnt ist ein Imperium, wenn seine Ressourcen erschöpft sind, also zum Beispiel auch, wenn seine Bevölkerung nicht mehr bereit ist, die Lasten seiner Kriege auf sich zu nehmen. Es geht nun weniger um die Verwundbarkeit von Nachschublinien, wie sie etwa für römische Legionen in Germanien ein Problem war, sondern darum, ob die US-amerikanische Öffentlichkeit nicht nur gut 2.000, sondern vielleicht auch 10.000 Gefallene im Irak zu akzeptieren bereit ist.

Solche Historisierungen stellen die größte Stärke von Münklers instruktivem Buch dar. Die Aufarbeitung einer breiten geschichtswissenschaftlichen Forschung bewahrt ihn vor allzu eiligen Generalisierungen. Wie die Thesen aus dem Material entwickelt werden, statt dass das Material vorgefertigte Thesen zu stützen hätte, ist vorbildlich. Aber gerade das führt zum ersten von drei Einwänden, die gegen das Buch zu erheben sind: Eine "Logik der Weltherrschaft" stellt sich so nicht dar. Wahrscheinlich gibt es sie gar nicht. Man liest die Geschichten von zehn oder fünfzehn Imperien, von denen jede völlig unterschiedlich verlief und in denen die politische Elite sich je anderen, spezifischen Problemen gegenübersah. Die Dauer der Imperien reicht von der Lebenszeit des Gründers wie bei manchen Mongolenreichen bis zu vielen Jahrhunderten im Falle von China oder Rom.

Auf solcher Basis Aussagen über Handeln und Zukunft des Imperiums USA zu treffen, erscheint schwer möglich. Die USA sind zudem von fast allen bisherigen Imperien, ausgenommen das kurzlebige Athen und Großbritannien in der Zeit seines Niedergangs, insofern unterschieden, als sie zur Zeit demokratisch verfasst sind. Die Ausbreitung der Demokratie ist sogar Teil der imperialen "Mission" der USA (wenn auch nicht immer der realen Politik), das heißt: des Selbstbilds, mit dessen Hilfe dauerhafte, nicht allein auf schnelle Ausplünderung zielende Imperien ihre Politik begründen. Demokratie kann, so Münkler, heute aus zwei Gründen ein Nachteil sein - erstens weil dort, wo machtpolitisch bedingt, entgegen dem Ideal agiert wird, eine informierte Öffentlichkeit auf die Doppelmoral hinweist und zweitens, weil Menschenrechtsverletzungen in failing states in der Peripherie zu einer Intervention zwingen, die gar nicht im Interesse des Zentrums liegt.

Die Sorge scheint allerdings übertrieben: Den Vorwurf der Doppelmoral hat die USA seit Jahrzehnten nie ernsthaft daran gehindert, Widerstände - etwa in Lateinamerika - rücksichtslos auszulöschen. Auch blieb der Fall Somalia eine Ausnahme und kommt es praktisch nie zu politisch nutzlosen Interventionen in uninteressanten Regionen. Ruanda war ein Beispiel, Darfur und der Osten Sudans werden wohl folgen. Eher dürfte die Verwundbarkeit, wie der islamische Terrorismus sie gezeigt hat, dazu führen, dass demokratische Bestände auch im Inneren beseitigt werden.

Der zweite Einwand betrifft die Rolle der Eliten. Einleitend erklärt Münkler, dass er Entscheidungen von Personen eine geringere Bedeutung zumisst als den "Handlungsimperativen", die aus der "Logik des Imperiums" erwachsen. So interessiere ihn nicht, welche Bedeutung das christliche Erweckungserlebnis für George Bush und seine Politik habe, und er konzentriere sich auch nicht auf den Einfluss der Neokonservativen auf seine Politik. Nicht die Eliten würden sich der Machtmittel des Imperiums für ihre Zwecke bedienen, sondern umgekehrt würden sie sich den Erfordernissen des Imperiums und seiner "Mission" unterordnen.

Wie aber wird jenes Konglomerat von Zufallsentscheidungen und Raubzügen, das am Anfang eines Imperiums steht, mittels einer "Mission" gleichsam veredelt? Nach Münkler dadurch, dass eine "Deutungselite" einer "Entscheidungselite" zuarbeitet. Aus "machtsichernder Legitimation" werde dann allerdings "entscheidungsbeschränkende Selbstbindung". Im Falle der USA seien es die "neokonservativen Theoretiker und Publizisten", die, "gleichgültig ob ihre Antworten richtig oder falsch sind, die Definitionskompetenz für die Probleme und Herausforderungen der USA erlangt" haben.

Das ist dann doch wieder der Einfluss von Personen, und sie folgen keinen "Handlungsimperativen". Man braucht an dieser Stelle gar nicht auf Partialinteressen innerhalb der Elite zu verweisen, denen Imperien stets auch zu dienen haben, oder darauf, dass die Neokonservativen im Vorfeld des Irak-Kriegs offensichtlich den eigenen Geheimdienst ausgeschaltet haben, was nicht gerade für verantwortliche "Selbstbindung" spricht. Wichtigster Einwand gegen Münkler ist, dass offensichtlich keine Logik ihnen das Richtige vorgibt, sondern dass konkret handelnde Personen mehr oder minder experimentell und aus einer bestimmten ideologischen Sicht nach Antworten suchen.

Die dritte Schwäche des Buchs liegt in seinem widersprüchlichen Verhältnis zu seiner Wertgrundlage. Münklers Blick ist einer von oben, aus der Herrschaftsperspektive. Das hat zuweilen den Vorteil großer Klarheit - er demontiert überzeugend etliche Illusionen über die Möglichkeit friedlicher Koexistenz von Staaten. Münkler würde deshalb behaupten, dass sein Herangehen wertfrei sei. Am deutlichsten widerspricht dem aber der Schlussteil, in dem er den Schritt von der historischen Analyse zur Politikberatung vollzieht. Europa solle, um sich als "Subzentrum des imperialen Raums" zu behaupten, an seinen Peripherien selbst auf Methoden imperialer Politik zurückgreifen. Dabei ist fraglos vorausgesetzt, dass es in der Politik überhaupt primär um den Machtgewinn von Staaten oder Gruppen von Staaten gehe.

Dem wäre ein Blick von unten entgegenzusetzen: Interessen von Ländern sind nicht ohne weiteres mit den - wiederum zerspaltenen - Interessen ihrer Bevölkerung identisch. Indem Münkler aber das Handeln von Akteuren innerhalb der Imperien ausblendet und eine Logik monolithischer Einheiten mit einem Gesamtinteresse behauptet, setzt sich dem vorgeblich moralfreien Ansatz entgegen eine massive Wertung durch.

So erlaubt sein Buch zwar auf der Ebene, auf der sich Münkler bewegt, wertvolle analytische Einblicke; als Handlungsanweisung wie als Mittel der Prognose ist es hingegen ungeeignet.


Titelbild

Herfried Münkler: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005.
332 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3871345091

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