Ansichten einer Familie

Die Manns und kein Ende - im Fokus nun die Erben als Kinder ihrer Zeit

Von Rosalin-Christine LangeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rosalin-Christine Lange

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wozu ein Familienalbum?

Es ist eigentlich ein privates Sammelsurium persönlicher Erinnerungsdokumentationen und als solches gedacht vor allem für die Beteiligten. Angelegt wird es zum Zwecke der Veranschaulichung des familiären Lebens, maßgeblich, um Vertrauliches zu sichern.

Hier nun aber in opulenter Form über eine Familie, die von jeher in der Öffentlichkeit stand und manchen als "Deutschlands Kennedys" oder gar "die deutschen Windsors" gilt. Ist aber über die Manns nicht schon alles gesagt und gezeigt worden? Hat sich die Faszination nicht längst erschöpft, gerade weil es nichts mehr gibt, das unbeachtet geblieben wäre?

Dem ist längst nicht so, wie Uwe Naumann in Zusammenarbeit mit Astrid Roffmann als Herausgeber von "Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum" untrüglich beweist. Die Familie Mann ist über den pater familias Thomas hinaus noch lange nicht hinreichend erforscht worden.

Tatsächlich gibt es keine zweite Familie, die so reich an Talenten mehr zu bieten hat als bisher erfasst wurde, obgleich "die Familie Mann inzwischen der wohl meistbeschriebene und bestdokumentierte Clan der deutschen Kulturgeschichte" zu nennen ist. Klaus Manns fast schon bis zum Überdruss zitierter Tagebucheintrag von 1936: "Was für eine sonderbare FAMILIE sind wir! Man wird später Bücher über UNS - nicht nur über einzelne von uns - schreiben" entspricht genau diesem Kuriosum. Diesen Ausgangspunkt macht sich auch Naumann zu Nutze und lenkt den Blick zum ersten Mal kollektiv auf die Kinder der Manns.

Sechs direkte Nachkommen sind es, die des Dichters großen Namen und sein Erbe weiter getragen haben - jeder für sich, in sechs verschiedenen Verwirklichungen. "Mein Sinn für mathematische Klarheit stimmt dem zu, wie er der Anordnung zustimmt, dass meine Kinder als drei reim- und reigenartig gestellte Paare - Mädchen, Knabe - Knabe, Mädchen - Mädchen, Knabe - erschienen und wandelten" stellte Thomas Mann fest. Die "Großen" Erika und Klaus, die "Mittleren" Golo und Monika und die "Kleinen" Elisabeth und Michael haben freilich weder im Elternhaus noch in der Nachwelt keine gleichrangige Beachtung gefunden. So wie Katia und Thomas Mann in mancherlei Ausprägung ihre sechs Kinder individuell schätzten und prägten, taten sich diese ebenso unterschiedlich und mit verschiedenem Erfolg öffentlich hervor.

Uwe Naumann widmet sich erstmals allen sechs Geschwistern. Seine Konzeption ist die optimale Vorraussetzung für die prächtige Umsetzung dieses Vorhabens. Statt sich aneinanderreihend mit jedem einzelnen Mann-Kind zu befassen, nimmt Naumann den gesamten zeitlichen Rahmen, der die sechs einzelnen Leben umfasst, in den Blick. Dies ermöglicht einen außergewöhnlichen Streifzug durch das bewegte letzte Jahrhundert mit den davon unmittelbar beeinflussten Schicksalen jedes einzelnen Kindes.

So wird ein höchst eindrucksvolles Album aufgeblättert, das mit den Aufnahmen zur Herkunft der Eltern beginnt, sich dann Erika Manns Geburt 1905 widmet und bis in die jüngste Vergangenheit reicht, dem Tod Elisabeth Mann Borgeses 2002.

Ein prächtiges Panorama tut sich hier auf, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Unzählige Bilder, viele davon bislang unveröffentlicht, ergänzt durch zahlreiche unbekannte Dokumente - Tagebucheinträge, Manu- und Typoskripte als Faksimiles, Briefwechsel, Textauszüge, Presseberichte und mehr - entwickeln eine eigene Sprache. Unaufdringliche, fundierte und prägnante Kommentare der Herausgeber erläutern zudem die einzelnen Begebenheiten und leiten den pittoresken Lauf durch die (familien-)historischen Szenerien.

Daraus ergeben sich wiederum zahlreiche, bislang wenig wahrgenommene Aspekte innerhalb der Mann'schen Geschwisterkonstellationen. "Erziehung ist Atmosphäre, weiter nichts", diese Überzeugung Thomas Manns zählt ebenso zu dem wohl bekannten Bild der Familie wie die Multifunktion Katias als "emotionaler Mittelpunkt" des Ganzen, als eigentliches Oberhaupt, das alle Fäden in der Hand hielt. Weniger bekannt ist die individuelle Bedeutung dieser Atmosphäre für die sechs Sprösslinge. Dass über Klaus Mann, den Zweitältesten, diesbezüglich das vergleichbar Meiste dokumentiert und ihm auch von allen Geschwistern das umfassendste wissenschaftliche Interesse zuteil wurde, hat viel mit seiner Wiederentdeckung in den letzten Jahren zu tun. Ein Interesse, das in der jüngsten Zeit auch der Erstgeborenen Erika galt. Im Gegensatz zu den beiden "Großen" standen die zweite Tochter Monika und der jüngste Sohn Michael schon immer deutlich im Abseits. Nahezu erstmalig erfahren ihr Werk und Wirken in diesem Bildband die gebührende Aufmerksamkeit. Denn künstlerisch begabt waren alle sechs, sie alle ereilte "der Familienfluch", das Schreiben. Doch auch im Hinblick auf Golo, der sich als Historiker von den vor allem als poetisch und journalistisch tätigen Geschwistern abhob, und Elisabeth, des Vaters "Kindchen", das sich noch kürzlich als "Hauptzeugin der Familie" für Heinrich Breloers Fernsehereignis zur Verfügung stellte, gilt es noch sehr viel zu entdecken.

Der Versuch Naumanns, "allen sechs Kindern gleiches Recht widerfahren zu lassen" und die gleichzeitige Bemühung, "nicht nur Glanz und Gloria der Familie Mann zu schildern", sondern auch ein Licht zu werfen auf "die Dunkelzonen: dorthin, wo sich Rivalität und Eifersucht spiegeln, Machtstreben und großbürgerlicher Dünkel, Obsession und Verzweiflung" - all dies ist bestens geglückt.

Das Interesse an der parallel zu diesem Band entstandenen Ausstellung in München zollte dieser Leistung ebenfalls Respekt. Deren Schirmherr Frido Mann verdeutlicht in seinem Vorwort zu "Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum" den Bezug zur Gegenwart. Einführend in das Erlebnis der sprechenden Bilder und Dokumente hinterfragt auch er als Kindeskind dieser Familie deren Faszination, schon allein das macht den Band lesenswert.

Erfreulich und gewinnbringend also, dass ein Familienalbum nicht nur als persönliche Erinnerung fungieren kann. Das, was hier gesichert wird, wurde eben in dieser Form noch nicht erzählt und gezeigt. Insbesondere bietet "Die Kinder der Manns" neue Anhaltspunkte für die Gewissheit, dass hier noch längst nicht alle Schätze geborgen wurden, und dass unerschöpflich Ansätze vorhanden sind, um noch so manches zutage zu fördern.

Deswegen also dieses Familienalbum.


Titelbild

Uwe Naumann (Hg.): Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
340 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3498046888

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