Berichte von der Front - Erzählungen von der haitianischen Geschichte

Hans Christoph Buchs neuerliche Auseinanderstzung mit Haiti und der Dritten Welt

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die sogenannte Dritte Welt in der deutschen Literatur nur selten Platz findet, kann man als Manko begreifen. Dass dort, wo sie thematisiert wird, meist der theoretische Diskurs vor der erzählerischen Einbindung dominiert, muss man als Manko begreifen - zumindest, wenn man Hans Christoph Buch heißt und als rare Ausnahme den Blick über den europäisch-amerikanischen Tellerrand wirft. Seit über 30 Jahren bereist Buch nun Länder, in denen es drängendere Probleme als Dosenpfand-Diskussionen oder Fragen des Renteneintrittsalters gibt. Vor allem Haiti hat sich Buch wiederholt gewidmet, nicht zuletzt, weil er dort Verwandtschaft hat.

Nun also liegen zwei neue Bände des produktiven Autors vor: "Standort Bananenrepublik" versammelt unterschiedliche Reisereportagen, die sich räumlich zwischen Liberia, Kamerun, Patagonien, Pakistan und (natürlich) Haiti bewegen. Buch war als Reporter für große Tageszeitungen dort, aber statt koloniale Praktiken des 19. Jahrhunderts für die Misere verantwortlich zu machen, zeichnet er - selbst Kind der 68er Bewegung - pointiert nach, dass die heutigen Konflikte auch selbstgemachte sind, dass die Kolonisierung durch Europäer nicht als Entschuldigung für Korruption und Desorganisation dienen darf.

Damit positioniert sich Buch quer zu Diskursen der political correctness, ohne einen Lösungsweg skizzieren zu können. Auch den oftmals unbereisten Vertretern der aktuellen postcolonial studies schreibt er ein Mehr an Welterfahrung ins Stammbuch. Die einzelnen Beiträge sind prägnant formuliert, vermitteln aber auch in aller Eindringlichkeit die Dramen der Dritten Welt: packend, ohne Widersprüche oder Ambivalenzen tilgen zu wollen.

Ganz anders liest sich da der neueste Roman-Essay Buchs: "Tanzende Schatten oder der Zombie bin ich". Der Autor schachtelt zwei Erzählstränge ineinander: Die haitianischen Erlebnisse des deutschen Journalisten B. (unschwer als Hans Christoph Buch zu erkennen) während der 1990er Jahre werden hier durch das fiktive Tagebuch Georges-Christophe Bapst, eines französischen Kolonialwarenhändlers um 1800, ergänzt. Diesen beiden Erzählebenen tritt eine Reflexionsebene zur Seite, in der Buch über das Problem, Haiti zu erzählen, darlegt. Während der Erzähler des 19. Jahrhunderts koloniale Diskurse etabliert, dekonstruiert sie B. - sollte man zumindest erwarten. Mitnichten: Buch verlängert, bei aller Reflexion, die überkommenen Diskurse, indem er den Blick des aus der Balkonperspektive berichtenden männlichen und seinsgewissen Erzähler-Ichs etabliert.

Die Sprache, die ihm zur Verfügung steht, ist wie auch in seiner Essay-Sammlung "Standort Bananenrepublik" geschliffen; das Engagement des Autors ist deutlich herauszulesen. Jedoch: Diese Erzählhaltung wird durch alle drei Erzählebenen fortgeschrieben, wenngleich der Handlungsstrang Bapsts in seinem Bemühen, humoristisch zu überzeichnen, bald ausläuft. Dadurch beraubt Buch seiner Prosa die Möglichkeit einer Distanz zu sich selbst. Vielleicht aber hat Buchs andauernde Auseinanderstzung mit Haiti auch zur Übernahme eines haitianischen Denkmodells geführt: Der Kreolismus erlaubt es, verschiedenste Stilarten, Erzählhaltung, Ansichten zu amalgamieren und so auf die Unveränderbarkeit des Geschehens hinzuweisen. So lässt sich auch das Fazit lesen, in dem B. sich selbst als Zombie begreift: Er ist unentrinnbar in den Ablauf der Geschichte und der Diskurse eingebunden.


Titelbild

Hans Christoph Buch: Standort Bananenrepublik. Streifzüge durch die postkoloniale Welt.
zu Klampen Verlag, Springe 2004.
206 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 393492042X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Hans Christoph Buch: Tanzende Schatten oder Der Zombie bin ich. Romanessay.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
319 Seiten, 27,50 EUR.
ISBN-10: 3821845449

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