Man hat es gern pittoresker

Das VIII. Jünger-Symposion zum Thema "Zeit" vom 07. - 09. April im Kloster Heiligenkreuztal

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

"Das wird mir hier zu scholastisch", sagt einer der Teilnehmer und beschließt einen ausgedehnten Mittagsschlaf einzulegen. Sein Rückzug in eine der Schlafkammern von Kloster Heiligkreuztal macht den scharfen Dissens innerhalb der Ernst-und-Friedrich-Georg-Jünger-Gesellschaft deutlich: Man versteht sich als Freundeskreis, und so möchten die einen lieber Zeitzeugen hören, während der Vorstand auf der wissenschaftlichen Ausrichtung der Jahrestagungen beharrt. So besteht die Kunst der Balance darin, diejenigen bei der Stange zu halten, die das Brüderpaar noch gekannt haben, solche Vorträge zuzulassen, die womöglich am Jünger-Bild kratzen, und darüber hinaus zu verhindern, dass der philologische Dilettantismus mancher Jünger-Freunde an Raum gewinnt.

Von den wissenschaftlichen Vorträgen überzeugten wohl am meisten der erste (von Günter Figal, Freiburg) und der letzte (von Giuliana Gregorio, Messina). Figal sprach über "Risse in der Zeitmauer - Ernst Jünger zu Zeit und Bild" und entwickelte die Imago zu dem titelgebenden Begriff, der in Jüngers Essay "An der Zeitmauer" selbst nicht expliziert wird. Giuliana Gregorio sprach über Friedrich Georg Jüngers "zyklische Zeitauffassung", wie sie in dessen Nietzsche-Buch exemplifiziert wird - und harmonisierte sie geschickt mit linear-teleologischen Zeitkonzepten.

Dazwischen waren einige Haken und Ösen zu verzeichnen: Der Moskauer Übersetzer Alexander Michajlovskij verlor sich in seinem Vortrag über Jüngers "Waldgänge" ein wenig selber im Wald bzw. schickte seine Zuhörer in denselben, indem er beliebig wirkende Zitate aneinanderreihte, mit denen sich alles oder nichts zeigen ließ. Und der Vortrag des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch über den "kyklischen Zeitbegriff" bei Friedrich Georg Jünger führte zu jener oben erwähnten Flucht aus der Scholastik.

Die meisten Teilnehmer - nicht wenige von ihnen hoch in ihren achtzigern, darunter Liselotte Jünger, zweite Ehefrau von Ernst seit 1962 - hätten es wohl gern pittoresker gehabt, mussten sie sich doch über den Vortrag von Lutz Hagestedt (Rostock) empören, der den Rhodos-Tagebüchern des Brüderpaars etliche Ungereimtheiten nachzuweisen suchte: "Das läset Sie ganz falsch", hieß es dann, "das sind keine Fehler, das sind Jüngers Phantasien!" Zur Klärung seiner Position wies der Referent (der Verfasser dieser Zeilen) darauf hin, dass es hier nicht in erster Linie darum gehe, Fehler aufzuweisen und den Brüdern 'am Zeug zu flicken', sondern grundlegende Fragen der Darstellungsweise und der literarischen 'Stimmigkeit' zu beleuchten.

Zum Symposion gehört auch ein Kulturprogramm: Den Auftakt bildete die Lesung von Arnold Stadler, den Schlusspunkt die Enthüllung des Jünger-Denkmals am Wilflinger Weiher. Und am zweiten Abend präsentierte Ann Sophie Klett, die Frau des Verlegers, Tangos und Chansons - teils nach Gedichten des Jünger-Verehrers Jorge Luis Borges. Arnold Stadler rührte an das Geheimnis jeder Autorschaft, als er - lesend unterwegs mit den Bänden eins und fünf des Tagebuches "Siebzig verweht" - einen Odysseus beschrieb, der von der Basisstation Wilflingen aus auf Subtile Jagden ging, aber seinen Forscherblick auch auf die Einheimischen richtete - darunter auf Baron Franz Schenk von Stauffenberg, der alle Jahre wieder zum Ausklang auf Schloss Wilflingen Mokka und Türkischen Honig reichen lässt.

In neunmonatiger Arbeitszeit schuf der Ertinger Bildhauer Gerold Jäggle eine Bronze Ernst Jüngers, die nun, am verregneten Sonntagmorgen, eingeweiht werden wollte - doch als die Hüllen fielen, stand sie in Dessous vor der feierlich eingestimmten Gesellschaft: Offensichtlich hatten Lausbuben der Plastik einen Büstenhalter und einen Tanga-Slip übergezogen - als jugendlicher Scherz gut geeignet, die Wallfahrt zu den Brüdern Jünger und ihrem literarischen Werk etwas aufzumischen und aufzufrischen. Muss sich der Freundeskreis doch, will er eine Zukunft haben, um Nachwuchs sorgen - es jungte lediglich die Katze der Familie Knapp. Womöglich gebar sie, wer weiß, entfernte Nachfahren der Li Ping aus den "Strahlungen".