Von wegen Männersport!

Ein liebenswerter Versuch: Frauen erzählen in einem Sammelband über ihre (poetische) Sicht auf "König Fußball"

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ja, Frauen und Fußball: eine wunderbare Gelegenheit, wieder einmal vom Leder zu ziehen (anderer Bildbereich, aufpassen), übers Abseits zu fachsimpeln (angeblich mittlerweile zu einfach für Frauen und zu schwer für Männer), sich über den Schalke 05-Versprecher von Carmen Thomas damals zu mokieren oder sich auch nur zu fragen, warum sich Fernsehkameras beim Seitenblick ins Publikum gern weibliche Fans raussuchen.

Dabei sind die Machtverhältnisse bis heute eindeutig. Wenn Matthias Sammer in einem großen FAZ-Interview den Übergang von den Jugendfußballern zu den kickenden Männern thematisiert, ist das kein gedankenloser Versprecher, sondern zeugt von klaren Verhältnissen: Fußball ist eine Männerwelt. Und letztlich kann man sagen, wie auch anders.

Vorsicht, das soll nicht heißen, dass Frauen hier nichts zu suchen haben, nichts am Ball, nichts am Seitenrand, nichts bei den Kommentatoren. Aber wen empört es eigentlich, dass eine Gesellschaft sich erst langsam von typischen Geschlechterrollen verabschiedet? Ok, sie tut's nicht von allein und dann auch noch sehr langsam, und das muss einem nicht passen. Aber immerhin, sie tut's, ja sogar die FIFA tut's. Noch schert es die Fußballwelt mehr, was mit Michael Ballack passiert und nicht, was mit Birgit Prinz ist, und erst die Zukunft wird zeigen, ob sich solche Verhältnisse ändern. Trotzdem ist das Ganze in Bewegung, und keine Macht der Welt wird das aufhalten. Menschen haben das Recht, die Dinge zu tun, die ihnen Spaß machen und die sie gut können. Und kein Verband der Welt, kein Sittenwächter und kein Gesetzgeber wird sie auf Dauer davon abhalten können. Männer wie Frauen. Das gilt für Fußball genauso wie für Managerposten, wie Sibylle Lewitscharoff so schön formuliert.

So, und jetzt schreiben Frauen also auch noch über Fußball. Ja, Rainer Moritz, der die Einleitung geschrieben hat, hat Recht: Es wird noch Jahre dauern, bis auch Frauen autobiografisch fundierte Texte über Fußball schreiben werden, also über etwas, was ihr Leben in einem Maße bestimmt hat, dass alles andere dagegen verblasst. Wie das zum Beispiel bei Nick Hornbys "Fever Pitch" geschehen ist. Aber wieso "auch"? Als ob es in der Literatur von Männern nur so von Fußballbüchern wimmeln würde. Rolf Parrs "kulturwissenschaftliche Auswahlbibliographie" zum Fußball zeigt, wie dünn das einschlägige Programm noch immer ist.

Und was erlaubt es uns, Hornbys fulminantes Buch (zum Beispiel) autobiografisch zu nennen? Als ob jedes Buch, in dem einer "ich" sagt, vom Autor handeln würde. Das hat sich schon Thomas Mann verbeten (siehe "Bilse und ich", und auch bei ihm hält sich niemand dran). Womit wir gleich beim ärgerlichsten dieses Buchs wären, nämlich der Einleitung. Die Nonchalance, mit der Moritz hier Klischees und ihre angebliche Auflösung, political correctness und schnoddrig hingeworfene Behauptungen miteinander vermischt, zeugt nicht wirklich für das Projekt. Niemandem wäre es übel zu nehmen, wenn er/sie nach der Lektüre der Einleitung das Büchlein als eines der vielen Projekte abhaken würde, die allzu sehr nach der Fußballkonjunktur 2006 schielen.

Aber die Texte selbst sind besser als ihr Betreuer sie einführt. Lassen wir den Autobiografie-Unsinn einmal beiseite, dann bleibt immerhin das Spiel mit den Klischees von Weiblichkeit und Männlichkeit, an denen sich die Autorinnen abarbeiten: das Unverständnis für die atavistischen Rückfälle dieser Kerle, die im sonstigen Leben doch ganz verständig sein können, der Verweis auf Ausschluss und symbolische Kastration, die mit den Zugangs- und Festritualen des männlichen Fußballs verbunden sind, die Mühen der Mütter mit den Fußball spielenden Söhnen und Töchtern, die Frage nach dem Sinn dessen, was diese 22 Männer plus einem dort auf dem grünen Rasen miteinander und dem Ball treiben (der ja nicht mehr aus Leder ist), die Rollenverteilungen auf, neben und außerhalb des Spielfelds, ja auch der zivilisatorische Einfluss der Frauen auf ihre Männer. All das und noch ein bisschen mehr ist hier zu finden, unterschiedlich verarbeitet, aber im Großen und Ganzen doch so, wie es zu erwarten gewesen wäre. Und wenn man so will, völlig unbeleckt vom Fußball.

Rainer Moritz hat einer Bemerkung von Konrad Paul Liessmann, Fußball sei nicht literaturfähig, heftig widersprochen. Dabei ist ihm allerdings entgangen, dass Liessmann im eigentlichen Sinne ja recht hat: Wo denn, bitte schön, ist bei Hornby, Marías, Balestrini und all den anderen vom Spiel selber die Rede? Wenn von der Poetik des Fußballs die Rede ist (Gunter Gebauer hat gar ein Buch danach betitelt), dann ist doch vom Spiel selbst die Rede, von seiner Kunst, von seinen erhebenden, seinen gelungenen und glücklichen Augenblicken. Die - immer noch wenige - Literatur zum Fußball aber beschäftigt sich im Grunde genommen nicht mit dem Spiel, sondern mit seinem Umfeld, den Fans vor allem, den Bildern, die es erzeugt, den Wirkungen, die es hat, den Klischees, die es bedient.

Und genau das bedienen auch die elf Beiträgerinnen des Traum-Bands, darunter immerhin so renommierte Autorinnen wie Sibylle Berg, Dagmar Leupold, Ines Geipel oder Annett Gröschner. Bester Beleg dafür ist gerade jener Beitrag, der dem Fußball noch am nächsten kommt: Ines Geipels "Endspiel ist Endspiel". Hier kreisen nämlich die Sprecher des Textes die ganze Endspielzeit ums Stadion - letztlich vergeblich. Es gibt keinen Ball, es gibt keine Spieler, es gibt nur das Gespräch darüber. Und auch diese Texte sind nichts anderes: Sie reden über etwas, was sie nie in den Blick nehmen. Oder sie reden über die, die sich mit etwas abgeben, was nie auftaucht.

Selbst wenn Petra Morsbach ihre Heldin ins Stadion schickt, bleibt ihr Blick aufs runde Ganze unverständig. Wie nicht anders das Befremden, das Sibylle Bergs Protagonistin befällt, wenn ihr doch so aufgeklärt erzogener Sohnemann zum Fußballfan mutiert - wohlgemerkt, nicht zum Fußballer. Aber eigentlich unterscheidet sich das wenig von dem Blick, den Uta-Maria Heims Erzählerin auf ihre Tochter wirft, als die sich für Fußball als Hobby entscheidet. Wenn sie kurz vorher noch von der symbolischen Kastration geredet hat, muss sie nun schnell das Ruder umwerfen und von einer Befreiungsaktion sprechen. Die allerdings ist, scheint's, mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden: Mädchen und Fußball?

Und auch hier nur ein kurzer Blick aufs Feld, in diesem Fall auf das Endspiel 1974 und der Veränderung in der medialen Fußballinszenierung. Aber wenigstens einmal darf es dann hinter einem der Spieler her gehen, diesmal in Eva Rossmanns "Im Untergrund". Der ist nämlich kurz vor dem Länderspiel Österreich gegen Deutschland verschwunden. Die Heldin macht sich in den Tiefen des Wiener Praterstadions auf die Suche, um ihn dann bei einer tagelangen Jubelsession zu finden (Arme recken, wegrennen, hinterher rennen, drauf werfen, unter sich begraben), zu der der arme Kerl gepresst worden ist (Kapitalismuskritik?). Aber es bleibt eben bei solchen knappen Verweisen, solchen Seitenblicken und, wenn man so will, bei dem Unverständnis der Autorinnen für das Spiel.

Das allerdings ist ihnen nicht wirklich anzulasten, denn auch die männlichen Kollegen beschäftigen sich lieber mit der kultivierten Glosse, dem Aggressions- und Sozialisationspotenzial der Fanszene als mit dem Spiel selbst. Das mag am Ende doch damit zusammenhängen, dass das Fußballspiel, das ja schon eine symbolische Aktion ist, sich nur ganz schwer, vielleicht sogar überhaupt nicht in Literatur fassen lässt. Der gefühlte Fußball ist vom geschriebenen anscheinend nicht wirklich einzuholen. Weder von Männern noch von Frauen. Was zu widerlegen wäre.


Titelbild

Aus der Tiefe des Traumes. Elf Frauen erzählen Fußballgeschichten.
Luchterhand Literaturverlag, München 2006.
170 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3630620906

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Titelbild

Rolf Parr (Hg.): Fußball - eine kulturwissenschaftliche Auswahlbibliographie.
Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, Heidelberg 2006.
126 Seiten, 9,80 EUR.
ISBN-10: 3935025955

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