Die hohe Kunst der Fantastik

Elsa Morantes Erzählungenband "Das heimliche Spiel"

Von Andrea NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die frühe Prosa der Elsa Morante führt den heutigen Leser hinein in eine Zeit, die längst versunken scheint. Eine Zeit, in der die Farben satter waren, die Wahrnehmung feiner und das Seelenleben stärker verästelt. Die Bilderwelten und die Stimmungskunst, wie man sie aus der Literatur der Jahrhundertwende kennt, hallen bei Morante nach. Sie zeigt uns eine Welt mit Nachtseiten, in der Gefühle oft eine zerstörerische Kraft entfalten und die Wirklichkeit eingehüllt ist von Rätselhaftigkeit.

In dem Band "Das heimliche Spiel" sind zwölf Erzählungen versammelt, die die 1912 geborene Autorin zum Großteil schon mit Anfang 20 verfasst, 1941 erstmals als Buch herausgebracht und 1963 unter der vorliegenden Auswahl veröffentlicht hat. Klaus Wagenbach hat sie nun in einer überarbeiteten Übersetzung neu aufgelegt.

Wie in ihren vier Romanen spürt die große römische Schriftstellerin in den Erzählungen der Liebe und ihren Verstrickungen nach, berichtet von Hochmut, Einsamkeit und Lebenslügen. Präzise erfasst sie seelische Nuancen, und sie beschwört das traumhaft Unbestimmte ebenso wie das Morbide. Die Umrisse von Morantes fiktionalem Kosmos zeichnen sich hier schon ab, und am Zusammenprall von Fantastik und hoher, strenger Erzählkunst entzünden sich knisternde Funken, etwa wenn eine von ihrer Familie verstoßene alte Frau noch nach dem Tod Rache nimmt ("Die Großmutter").

Manchmal verschwimmen Traum und Wirklichkeit. Die Ich-Erzählerin von "Der sizilianische Soldat" weiß am Ende nicht, ob der Partisan, der in der Nacht bei ihr Unterschlupf gesucht hat, tatsächlich eine "irdische Gestalt" war. Und viele Geschichten spielen in der Kindheit, dieser Zeit, in der vieles geheimnisvoll und unbegreifbar erscheint und die Grenzen des Wirklichen noch instabil sind. In der Titelgeschichte flüchten drei vernachlässigte Kinder aus einer heruntergekommenem Adelsfamilie Nacht für Nacht in die Welt des Theaters, imaginieren sich als Ritter oder Prinzessin, bis ihr "heimliches Spiel" von der hartherzigen Mutter aufgedeckt wird.

Oft verlieren Morantes Figuren, was ihnen am wichtigsten war, sind dem Verfall preisgegeben oder gar der Lächerlichkeit: wie der Held aus "Ein Mann ohne Charakter", der die einfältige, kokette Candida darüber aufklärt, dass seine Kameraden, die sie zu lieben vorgeben, sie bloß verspotten. Nach ihrem plötzlichen Tod von Reue und Selbstmitleid ergriffen, möchte er Blumen auf ihr Grab legen, lässt aber feige davon ab, als ihn einer seiner Freunde beobachtet. Wenn Morante ihre Figuren auch scheitern lässt, verliert sie aber nie das Mitgefühl, das ebenso groß ist wie ihr Gespür für das Abgründige.

In Morantes Erzählungen gibt es Theaterbühnen und Klöster,Totenlichter und steinerne Engel, magische Gewalten und Traumbilder, die sich von der Welt normierter bürgerlicher Moral- und Wertvorstellungen nicht domestizieren lassen. Aber es gibt keinen Alltag und keine einfachen Regeln. Kompromisslos schuf Morante, eine der einflussreichsten Schriftstellerinnen der italienischen Nachkriegsliteratur, schon in jungen Jahren mit großer Reife eine erzählte Welt, die nach eigenen Gesetzen funktioniert. Morantes Geschichten erscheinen dabei auf erstaunliche Weise zeitlos. Vielleicht, weil gerade ihr abseitiger Blick auf das Selbstverständliche mehr von der Wirklichkeit enthüllt als so mancher nüchterne Realismus.


Titelbild

Elsa Morante: Das heimliche Spiel. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Italienischen von Susanne Hurni-Maehler.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005.
197 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3803131944

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