Nicht mehr sentimental

Gotters Hoadly-Übersetzung als Kulturtransfer

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf den Spielplänen des späten 18. Jahrhunderts dominierten nicht die heutigen Dramenklassiker Lessing, Goethe oder Schiller, sondern die aus heutiger Sicht 'zweitrangigen' Erfolgsautoren wie Christian Felix Weiße oder August Wilhelm Iffland. Übersetzungen aus dem Französischen oder Englischen machten ein Gros der Stücke aus, so auch die nun wieder aufgelegte Übersetzung von Benjamin Hoadlys "The Suspicious Husband" von 1747. Exakt dreißig Jahre nach der Englischen Uraufführung legte Friedrich Wilhelm Gotter - er gründete das Gothaer 'Dilletantentheater', aus dem das Hoftheater hervorgehen sollte, und gab zusammen mit Boie den Göttinger Musenalmanach heraus - seine Übersetzung des "Argwöhnischen Ehemanns" vor.

Die Verwechslungskomödie um einen argwöhnischen Ehemann, der sich aufgrund seines Misstrauens fast um sein eheliches Glück (und um seine Tochter) bringt, erfährt jedoch nicht nur eine Eindeutschung. Vielmehr trägt Gotter in seiner Adaption der sich entwickelnden Sturm-und-Drang-Literatur Rechnung, die bei Hoadly erst angedeutet werden konnte. Eine Vielzahl von Invektiven erlaubt es Gotter, Beispiele aus der aktuelleren Literatur anführend, die Personen anhand ihres Lektüreverhaltens näher zu charakterisieren und ins Verhältnis zueinander zu setzen. Nicht nur die neueren englischen, sondern vor allem die deutschen 'Kulttexte' der 1770er Jahre erlauben es, die Handlungsträger im Literatursystem zu verorten. So wird etwa Bürgers "Lenore", aber auch Goehtes "Werther" eingespielt, um einen englischen Literaturdiskurs (Youngs "Nachtgedanken") in deutsche Verhältnisse zu übersetzen.

Der Forderung nach Natürlichkeit und die Ablehnung des sentimentalen Diskurses durch die jüngeren Protagonisten entspricht der Anschluss an Herders Ossian-Überlegungen und eine Nähe zum Shakespeare'schen Handlungspragmatismus. So streicht Gotter überflüssige Ortswechsel; durch die Handlungsstraffung gewinnt das komödiantische Stück an 'Drive'. Es liest sich flüssig und kurzweilig, vergegenwärtigt eine vergessene, einst aber dominante Theater-Tradition und lässt auf eine Neuinszenierung hoffen. Die Edition durch den Wehrhahn-Verlag ist vorzüglich, ebenso das instruktive Nachwort von Thorsten Unger.


Titelbild

Friedrich Wilhelm Gotter: Der argwöhnische Ehemann. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Nach dem Englischen des Benjamin Hoadly.
Herausgegeben von Thorsten Unger.
Wehrhahn Verlag, Laatzen 2005.
140 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3865250246

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