Viel mehr als Lessings Braut

Petra Oelker schreibt eine herzenskluge Biografie der Eva König

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man muss keine Schwertkämpferin, Wanderhure oder Kastratin sein, um Leserinnen und Leser mit einem einzigartigen Schicksal und einem bewundernswerten Charakter zu fesseln. Eva Lessing, verwitwete König, geborene Hahn, überstand Kämpfe, hielt Schicksalsschläge und Reisestrapazen aus. Sie vermochte mit Worten so geschickt zu fechten, dass ihr langjähriger Verlobter Gotthold Ephraim Lessing entzückt war. Einfach hatte sie es mit ihm wahrlich nicht, und mehr als einmal hätte das neuerliche Warten aufeinander die Verbindung beinahe überlastet. Als sie nach fünf Jahren heiraten, endlich zusammen in eine Wohnung ziehen, beginnen fünfzehn Monate des Glücks - denen ihr und des gemeinsamen Kindes Tod ein schreckliches Ende bereitet. Lessing schreibt damals: "Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen. Es ist mir schlecht bekommen."

Die Kaufmannstochter aus Heidelberg, die Hamburger Kaufmannsgattin hätte man zweifellos vergessen ohne die Liebesgeschichte mit Deutschlands klügstem Kopf. Petra Oelker weiß das und räumt Lessing etwa ein Viertel ihres Buches ein. Doch ihre Heldin - das Wort ist angebracht - bleibt Eva König. Dass sie vor allem unter diesem Namen begegnet, rechtfertigt Oelker überzeugend: als Gattin, dann Witwe des Seidenhändlers sowie Seiden- und Tapetenmanufaktur-Besitzers Engelbert König zeigt sie, wie viel Tatkraft, Mut, Selbstbewusstsein in ihr stecken. Als ihr Mann in Venedig überraschend stirbt, droht dem ganzen König'schen Unternehmen in Hamburg und Wien der Konkurs und damit der Familie die Schuldenfalle, Ehrverlust und Armut. Eva König nimmt das nicht hin, sie betreibt die Geschäfte weiter, reist alleine nach Wien (und muss wegen eines Kutschunglücks fünf Tage in unserm schönen Rattelsdorf zubringen), um die Gläubiger zu beruhigen. Und das, obwohl sie ihre fünf Kinder allein zurück lassen muss. Dass Lessing ihr als Freund, später als Liebender etwas zur Seite steht, hilft ihr wenig. Er besitzt keine ökonomische Vernunft, hat nicht selten mit Depressionen, Unzufriedenheit, manchmal gar mit Anfechtungen von weiblicher Seite zu kämpfen.

Petra Oelker versteht es, für diese Frau Interesse, ja Zuneigung zu wecken, indem sie gekonnt und nie langweilig das Ungewöhnliche ihres Lebenslaufs wie ihres Wesens herausstellt. Sie kann durchaus als Expertin für das 18. Jahrhundert wie für Hamburg gelten mit ihrem Buch über Karoline Neuber und ihren historischen Krimis über die Schauspielerin Rosina, die inzwischen schon ihren sechsten Fall löst. Man spürt überall Oelkers Vertrautheit mit jener Zeit. Wichtiger noch: Sie führt heutige Leser dorthin, klärt auf über damalige Konventionen oder Lebensbedingungen, berichtigt manches Vorurteil, wie das von der Unempfindlichkeit den häufigen Kindstod gegenüber. Das alles hat nichts Akademisches und ist doch gediegen. Zwar erlaubt sie sich häufig Spekulationen, wenn wieder einmal die Quellen spärlich fließen, doch tut sie es offen und immer auf der Basis von Vergleichsdaten oder psychologischer Wahrscheinlichkeit. Dass sie ausführlich zitiert, vor allem aus den so genannten Brautbriefen, spricht ebenso für ihre Methode wie ihre mitunter kritische Distanz, ihr Sinn für Komposition und Komik.

Da wird zum Beispiel ein Rezept für Porzellanleim überliefert, das Lessing seiner Freundin verrät. Solche Nebensächlichkeiten sind wichtig, um eine Zeit lebendig werden zu lassen. Solche Details und Abschweifungen bereichern Oelkers Buch, das sich durchweg auf verlässliche Forschungen stützt. Geläufig formuliert, oft lakonisch, unterbrochen dann und wann von gefühlvollen Sätzen, liest sich diese Biografie nicht nur besser als viele historische Romane, sie verrät auch mehr über die Vergangenheit und rührt stärker an.

Die bescheidene Eva Lessing freilich, darf man vermuten, hätte sich so viel Aufmerksamkeit verbeten.


Titelbild

Petra Oelker: "Ich küsse Sie tausendmal". Das Leben der Eva Lessing.
Claassen Verlag, München 2005.
335 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3546003780

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