An jeder Ecke schnüffeln

Hans-Jürgen Heinrichs hat sich mit Autoren über ihr Schreiben unterhalten

Von Susanne BlümleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Blümlein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Warum Schreiben Sie?" Angeblich ist es diese Frage, die Schriftsteller vor jeder anderen fürchten und hassen. Weitaus lieber beantworten sie die Frage: "Wie Schreiben Sie?" Sie wird in fast jedem Interview, das irgendwo mit einem Autor geführt wird, beantwortet. Einige Autoren verfassen selbst Bücher über das "Wie" (z. B. Mario Vargas Llosa: Wie man Romane schreibt. Suhrkamp 2004) oder sie präsentieren sich in Gesprächssammlungen, wie derjenigen von Horst Bienek: "Werkstattgespräche mit Schriftstellern". Der Leser, der solche Interviews (einzeln oder gesammelt) zur Hand nimmt, möchte vor allem eines: sein Augenmerk für die Interviewten schärfen; ihre Texte mit neuer Intensität oder neuem Hintergrundwissen (wieder)lesen.

Nun hat Hans-Jürgen Heinrichs, seines Zeichens Autor, einige der Größten seiner Zunft befragt und diese Unterhaltungen in dem Band "Schreiben ist das bessere Leben. Gespräche mit Schriftstellern" zusammengebracht. Als roter Faden fungieren dabei die Fragen, die Heinrichs aus der Lektüre des autobiografischen Essays "Schreiben" von Marguerite Duras entwickelt hat, wie zum Beispiel: "Haben sie den Eindruck, dass sie mehr der Schöpfer, der Kreator des Werkes sind oder mehr eine Art Medium, ein Durchgangsort, durch den etwas hindurchgeht [...]?"

Rede und Antwort auf diese und andere Fragen stehen Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, Gerhard Roth, Georges-Arthur Goldschmidt, Paul Nizon, Nathalie Sarraute, E. M. Cioran, Jorge Semprun, Breyten Breytenbach und Hans Werner Henze.

Manche dieser Schriftsteller sind bekannter, andere sind es weniger - doch eines ist ihnen gemeinsam: Sie verstehen ihr Schreiben nicht nur als Beruf und nur bedingt als reines Handwerk. Vielmehr geht es für sie vor allem um das Arbeiten mit Sprache. Schreiben ist somit für sie mehr als reines "Geschichtenerzählen". Elfriede Jelinek benennt es: "Die Sprache zerrt mich hinter sich her, wie ein Hund seinen Besitzer an der Leine hinter sich herzerrt, und schnüffelt an jeder Ecke."

Ganz bestimmt ist es unsere Hoffnung, solche Blüten zu entdecken, die uns immer wieder neugierig auf Gespräche mit Autoren macht. In Interviews und Interviewsammlungen suchen wir den Menschen hinter dem Text, entdecken unbekannte Dinge an diesem Menschen, dessen Beruf Schriftsteller ist und der von einigen angebetet wird wie ein großer Star.

Ganz bestimmt verehrt werden die genannten Autoren auch von ihrem Gesprächspartner Heinrichs. Jedem Interview ist ein kurzer Einführungstext vorangestellt, in dem Heinrichs die Gesprächssituation und seine Gefühle in derselben beschreibt. Seine Verehrung für alle Interviewpartner tritt darin unverhüllt zutage. Mehr noch: besonders betont er die oft gefühlte Nähe zu seinen Gegenübern. Von Friederike Mayröcker, von der er zu berichten weiß, dass ihre Freunde sie "Fritzi" nennen, sagt er: "Ich kann ohne Einschränkung sagen: Wir kamen uns sehr nahe." Ähnlich äußert er sich auch in den Vorbemerkungen zu anderen Gesprächen.

Dennoch - im Gespräch selbst ist von der angekündigten Nähe nichts zu spüren. Es rutscht nie von seiner sachlichen Ebene ab, Heinrichs bleibt immer in der unpersönlichen Frage-Antwort-Situation gefangen. Schlimmer noch. Wie so viele Interviewer intendiert er in seinen Fragen bereits die Antworten seiner Gesprächspartner. So kommt es zu der paradoxen Situation, dass die Fragen oft länger als die Antworten sind, in ihnen viele Themen zwar angerissen werden, auf die in der gegebenen Antwort dann jedoch nicht mehr eingegangen wird. Schon als Leser ist es schwierig, diesen langen, langen Fragen zu folgen und deren Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Wie musste es da erst dem Hörenden ergehen?

So kommt es, dass die Gespräche teilweise an der Oberfläche dahinplätschern und Gebiete nur streifen, die man sich etwas genauer erforscht gewünscht hätte. Gerhard Roth erzählt beispielsweise, dass er aus sich selbst eine erfundene Figur machen will. "Ich möchte mich als literarische Gestalt, die nicht an das Autobiographische gebunden ist, neu erschaffen". Heinrichs wechselt an dieser Stelle das Thema und befragt Roth zur politischen Ebene in seinen Romanen.

Das ist der Reiz und die Schwierigkeit des Textes in der Form des Interviews. Der Leser ruft: "Mehr! Mehr!", doch das Gespräch ist vorbei. Keine Chance in der Nachbearbeitung noch etwas hinzuzufügen, wenn man wahrhaftig bleiben will. Halten wir uns also an diese allzu kurzen Einblicke, die es gerade auch dadurch schaffen, uns neugierig auf das Werk dieser Schriftsteller zu machen.

Ob es nun Absicht war oder nicht - in dieser Hinsicht hat das Buch ein Ziel erreicht.


Titelbild

Hans-Jürgen Heinrichs: Schreiben ist das bessere Leben. Gespräche mit Schriftstellern.
Verlag Antje Kunstmann, München 2006.
316 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3888974380

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