Es gibt ihn doch!

Die SZ predigt das "Fußball unser" und Christoph Biermann weiß "Fast alles über Fußball"

Von Johannes ThomsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Thomsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mann, war das eine galaktische Freude, als wir erfuhren, dass uns Kaiser Lichtgestalt und Konsorten die Fußballweltmeisterschaft 2006, kurz WM '06, nach Deutschland gehievt hatten. Endlich: Wir wurden wieder Wer! Geheilt schienen selbst chronisch klaffende Kollektiv-Identitäts-Wunden aus unzähligen Grandprix-d'Eurovision-Schala-La-Bumm-Bumm-Teilnahmen. Nie wieder: "Germany: Zero Points!"

Doch dann der Tiefschlag. Ein stokeliger Stofflöwe mit stark grenzdebilem Blick und dem genial geistreichen Namen "Goleo" sollte fortan als offizielles WM-Maskottchen sein Unwesen treiben. Komplettiert wurde das plüschige Trauerspiel von einem knautsch-stereotypen Fußball namens "Pille", den man dem Steiff-Leu blindlings an die linke Pranke getackert hatte. Und als reiche allein der optische Eindruck dieses provinzschäbig anmutenden Kuschel-Ensembles nicht aus, um selbst dem hartgesottensten Fussi-Anhänger einen Zacken aus dem Kronkorken zu knicken, kann es zu allem Überfluss auch noch sprechen, wie wir feststellen mussten. Zielsicher schmettert also nun das Dödel-Duo seinen wütenden Plattitüdenhammer auf den restlos entgeisterten Fan-Mob des FC Deutschland, bis sich auch die letzte, mühsam angesoffene Gutmütigkeit aus den Gesichtern verabschiedet.

Wer allerdings glaubte, das weltmeisterschaftliche Begleiterscheinungs-Urinal habe damit endgültig seine Füllhöhe erreicht, täuscht sich gewaltig. Nein, in dieses Becken muss alles, was in Kickerkreisen Matte und Stollen hat, sein ganz eigenartiges 90-Minuten-Grasfresser-Pamphlet absondern. So pullert dann auch die Nummer Zwei, ja Zwei, zwischen den deutschen Pfosten ihren ungehörigen Aprilscherz "Nummer eins" in einem 176 Seiten schweren Titanstrahl Richtung WM-Rinne. Aber das ist nur Makulatur. Wirklich ernst wird die Lage, wenn sich der größte Telekommunikations-Schweinkram dieses Landes - wie üblich magentafarben - ins Gerede bringt. Schonungslos bringt er seine zweifelhafte Marketing-Idee "Welcome-Trikot" ins Rennen, mit der klumpfüßigen Absicht, die individuell ausgeprägte Anatomie unbescholtener Bürger als homogene Mobilwerbefläche zu missbrauchen.

Vorbei ist es mit der Vorfreude auf Brasilien, England und Holland sowieso. Erst Sesamstraße auf Drogen, dann die mangelhafte Selbsteinschätzung einer Light-Figur und letztlich der öffentlich zelebrierte Überlebenskampf einer bananenrepublikanisch organisierten Fernmeldeseuche - um es mit der Dortmunder Binsen-Poesie-Birne Andreas Möller zu äußern: "Wir sind an ein Limit gekommen, wo es im Moment nicht drüber geht."

Was also können wir tun? Sollen wir etwa den Lockrufen anatolischer Fluchtreise-Veranstalter folgen, die uns mit ihren täglich neuen Kommt-hierher-wenn-ihr-Fußball-scheiße-findet-Angeboten eine gänzlich unbefriedigende Alternative in Aussicht stellen? Nein, wir begeben uns auf die nur unwesentlich kürzere Reise zum ortsansässigen Lektüre-Dealer unseres Vertrauens und erwerben per Zaster zwei druckfrische Stadion-Schmöker: "Fast alles über Fussball" von Christoph Biermann, dessen breitschnodderiges Ballwissen uns nicht zuletzt durch die "11 Freunde" ein Begriff ist. Zudem ergattern wir ergänzend das "Fussball unser" in der Edition der "Süddeutschen Zeitung", das im gelederten Hardcover und mit Goldschnitt-Gedöns daherkommt. Zahlen, dann flugs nach Hause, Bude verrammeln und ab in medias res. Seitenlang ergießt sich das geballte fußballerische Trivialwissen eines ganzen Jahrhunderts über unsere schimmernde Vokuhila-Tolle: Bebilderte Erklärungen von Schiedsrichtergestiken, Berichte über Torverhältnisse von 149 zu 0 und die chemische Zusammensetzung eines Trikots finden sich hier ebenso wie sämtliche Tätowierungen von David Beckham nebst ihrer Bedeutungen.

Nach ungefähr zwei Tagen literarischer Druckbetankung reißen wir die Bretter wieder von den Fenstern, lassen ruhigen Gewissens Luft in die unter Nikotineinfluss übel verwahrloste Wohneinheit und sind uns sicher: Es gibt ihn doch, den Fußballgott, und wir waren dabei!


Titelbild

Christoph Biermann: Fast alles über Fußball.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005.
240 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3462036394

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Eduard Augustin / Philip von Keisenberg / Christian Zaschke (Hg.): Fußball Unser. Was man nicht alles wissen muss - Mit Goldschnitt.
Süddeutsche Zeitung, München 2005.
189 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3866152205

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