Paradiesische Liebeshöllen

Sibylle Berg publiziert Abschiedsbriefe von Frauen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Freude ist riesengroß, als man das neue Buch von Sibylle Berg entdeckt - zählen die Werke der Autorin doch schon seit Jahren zur ganz persönlichen Lieblingslektüre. Davon abgesehen würde man sein letztes Hemd darauf verwetten, dass ihr früher oder vielleicht auch etwas später, ganz sicher aber irgendwann einmal der Literaturnobelpreis ins Haus stehen wird. Dann aber entdeckt man auf dem Umschlag hinter ihrem Namen die Zeichenfolge (Hg.). Sie hat sie also nur herausgegeben, die "Abschiedsbriefe von Frauen". Wie Schade.

Natürlich beginnt man dennoch mit der Lektüre. Denn, was eine Sibylle Berg herausgibt, kann so schlecht nicht sein. So vermutet man zumindest. Und richtig, die Freude stellt sich bald wieder ein. Wegen der Briefe, und auch, weil die Herausgeberin selbst einige, obzwar kürzere Texte beigesteuert hat. Ein Vorwort etwa. Dort bekennt sie, nach etlichen gescheiterten Lieben und den entsprechenden Selbstzweifeln sei sie durch die hier versammelten Abschiedsbriefe von Frauen aus fünf oder sechs Jahrhunderten belehrt worden, dass nicht etwa sie selbst "falsch" sei, auch nicht die Männer; vielmehr sei es "wohl einfach das Leben, das nicht so besonders richtig ist". Seien wir ehrlich: Das wird sie auch schon vorher gewusst haben.

Und es sind ja auch nicht nur Selbstzweifel, die einen angesichts einer scheiternden Liebe plagen können, sondern auch ein gewisser Hass auf den an sich geliebten Menschen. Else Buscheuer ist es, die diese Ambivalenz in zwei prägnante Sätze fasst: "Fahr zur Hölle. Und wenn du dort bist - warte auf mich." Wie man sieht, versteht sie es, ihren Geliebten mit aphoristischer Eloquenz aus dem "Paarungs-Nuklearkrieg" zu verabschieden, in dem Ich und Körper auch nicht immer besser harmonieren als Mann und Frau: "Ich hasse dich mit jeder Faser meines Körpers, der dich zitternd ersehnt." Da verschlägt es auch nicht viel, wenn mal eines ihrer Bilder einen kleinen Schönheitsfehler hat. Bei dem bekannten Versuch der beiden aneinanderschlagenden rohen Eiern zerbricht nicht immer das Wartende, während das Schlagende heil bleibt. Tatsächlich ist es stets das von einer älteren Henne gelegte Ei, das den Crash nicht übersteht. Das hätte allerdings nicht so schön gepasst, und man schämt sich fasst für die nüchternen Biologiekenntnisse.

Wird Buscheuers Abschiedsbrief von widerstreitenden Gefühlen getragen, so wird die Spanne des liebesleidvollen Geschlechterkampfes von der Kühle, mit der Sarah Bernhard einem ihrer Geliebten den Laufpass gibt und dem flehendlichen Wimmern, mit dem sie in einem zweiten Brief einen anderen bittet, seine "Sklavin" bleiben zu dürfen, auf andere Weise ausgemessen.

An dem Abschiedsbrief, den die gerade mal 17-jährige Harriette Wilson vor gut 200 Jahren schrieb, beeindruckt wiederum, wie kurz und bündig - und nicht zuletzt, wie selbstbewusst - sie den fast doppelt so alten und sozial ungleich höher gestellten Lord Craven abfertigt, nachdem er sie der Untreue verdächtigt hatte: "Mein Lord, wäre es je meine Absicht gewesen, Euch zu betrügen, ich würde den Verstand dazu besitzen, dies mit Erfolg zu tun [...]. Möge der Herr mich davor beschützen, je wieder irgendetwas mit Euch zu tun! Adieu."

Nicht nachvollziehen kann man hingegen, wie es die Frauenrechtlerin Clara Bewick Colby über Jahre hinaus voller Demut hinnehmen konnte, dass ihr Mann sie mit seiner Sekretärin betrügt. Besonders unverständlich ist ihre Ablehnung des "moderne[n] Brauch[s]" der Scheidung. "[I]n meiner Familie", wies sie voller Entrüstung ein entsprechendes Ansinnen ihres "geliebte[n] Ehemann[es]" zu Beginn des letzten Jahrhunderts in einem nicht weniger als sechs Druckseiten umfassenden Brief zurück, habe es "nie eine Scheidung oder Trennung gegeben", da dies als "nicht wiedergutzumachenden Schande" angesehen würde, als "ein Eingeständnis von Schwäche, von Versagen, von Feigheit und dem Wunsch, auf Kosten von Ehre und Pflicht eine momentane Laune zu befriedigen". Drei Jahre später wurde die Ehe denn doch geschieden.

Nicht alle Briefe sind mit der Eloquenz einer Else Buscheuer verfasst. Ihr Spektrum reicht von jugendlichen Hasstiraden verletzter Verliebtheit bis hin zum abgeklärten Abschiedsbrief gereifter Damen im Rentnerinnenalter. Und sicherlich sind die zahlreichen Briefe unbekannter Zeitgenossinnen ebenso wenig repräsentativ wie die ihrer prominenten Geschlechtsgenossinnen. Eine Vorauswahl ist schon alleine dadurch getroffen, dass die unbekannten Autorinnen den Kontakt zur Herausgeberin über deren Homepage herstellten. So dürfte schon mal keine von ihnen über einen schlechten literarischen Geschmack verfügen.

Das Spektrum der Briefadressaten ist ebenso weit gefächert wie das der Absenderinnen und richtet sich auch schon mal an einen Schwerverbrecher wie den Ladykiller Heinrich VIII. oder an den berühmten Weltweisen Immanuel Kant, von dem allerdings nicht bekannt wäre, dass er je eine Frau erkannt hätte. Maria von Herbert hat 1791 dem bereit 67-jährigen Philosophen ihr Leid geklagt, erhoffte sie sich vom Autor der "metaphisik der Sitten" und Ersinner des "Kategorischen inperatif" doch Rettung aus ihrem durch unerwiderte Liebe zu einem "Ehrlichen Mann" erwachsenen Leid. Ein Ansinnen, das wohl überfordern musste. Ganz so kalt, wie der "große Kant" allerdings muss man nicht unbedingt reagieren. Der alte Hagestolz hatte es mit einer Antwort an die - wie er sie Elisabeth Motherby gegenüber abschätzig nannte - "kleine Schwärmerin" nicht weiter eilig und ließ ein halbes Jahr verstreichen, bevor er mit einer "Predigt" reagierte. Sonderlich hilfreich waren Kants Antworten offenbar nicht, wählte Maria von Herbert einige Jahre und Briefe später doch den Freitod.

Mit zunehmendem Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Herausgeberin bei ihren Recherchen ausschließlich auf heterosexuelles Liebesleid und Trennungsschmerz gestoßen zu sein scheint, und notiert sich die zu monierende Absenz schon mal für die Rezension. Doch mit dem vorletzten Brief wird die Leerstelle gefüllt. Er ist nicht nur der einzige Abschiedsbrief, den eine lesbische Frau ihrer Geliebten schreibt - womit die Lesben fraglos unterrepräsentiert bleiben -, sondern auch der einzige trauernde Abschiedsbrief an eine verstorbene Person.

Sicher erfährt man aus den Briefen mehr über die Liebe als aus zehn Regalmetern gelehrter Bücher. Aber eigentlich kannte man das alles auch schon vorher aus dem eigenen Leben. So schön gesagt oder auch nur gedacht wie in vielen der Briefe, hat man es allerdings noch nicht. Und eigentlich stimmt es auch gar nicht: Alles, was da geschrieben steht und gefühlt wird, kennt man doch nicht. Im Gegenteil, manches ist einem sogar so fremd, dass man es kaum glauben mag. Wenn etwa Frau Berg die Liebe erklärt: "geliebt werden ist: jemand erträgt dich", dann fragt man sich schon, ob das alles ist, was übrig bleiben kann, dieses Nichts vor dem Alles ersten Liebesglücks. Muss man sich letztendlich wirklich mit ihm zufrieden geben? Und kann man sich dann nicht gleich in den Sarg legen? Aber wie dem auch sei - gewiss ist jedenfalls, dass das Buch allen, die guter Hoffnung sind oder Gefahr laufen zu lieben, als Lektüre zu empfehlen ist.


Titelbild

Sibylle Berg (Hg.): "Und ich dachte, es sei Liebe". Abschiedsbriefe von Frauen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006.
223 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3421059209

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