Im Rosengarten des Grauens

Christopher de Bellaigue porträtiert den Iran

Von Matthias KüntzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Küntzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Irans neuer Präsident Mahmoud Ahmadinejad war noch ein no-name, als Christopher de Bellaigue 2004 seine Reiseberichte aus dem Iran in englischer Sprache veröffentlichte. Dennoch sind seine Gesprächsprotokolle aus den Jahren 2000 bis 2003 hochaktuell, kreisen sie doch stets um ein und dasselbe Thema: den Krieg.

Die meisten seiner Interviewpartner, die er in Isfahan, Teheran oder Ghom aufsuchte, sind Veteranen des Iran/Irak-Kriegs von 1980 bis 1988. Im September 1980 besetzte Saddam Hussein Teile des Iran. Mitte 1982 war dieser Angriff zurückgeschlagen, Hussein bot Friedensgespräche an. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Khomeinis Kriegspropaganda jedoch verselbstständigt. "Außer einer Invasion [in den Irak] gab es wenig, das die Iraner tun konnten, um den Krieg fortzusetzen", notiert de Bellaigue. Der Revolutionsführer lehnte Verhandlungen ab und ließ weiterkämpfen - jetzt jedoch zur Eroberung des Irak.

Bei de Bellaigue begegnen wir iranischen Kriegsopfern, deren Lungen von irakischem Giftgas verätzt wurden (die Produktionsanlagen kamen, wie die Opfer betonen, aus Deutschland). Wir haben es mit einäugigen oder beinlosen Kriegsteilnehmern zu tun und werden immer wieder mit den ehemaligen Kindersoldaten, den sogenannten Bassidschi konfrontiert, die Khomeini im zarten Alter von 12 bis 17 Jahren zu Hunderttausenden über die Minenfelder oder in die offenen Gefechtsstellungen der Iraker laufen ließ. Dennoch scheint die Kriegsbegeisterung selbst noch 1988, als Khomeini endlich in Friedensverhandlungen einwilligte, ungebrochen gewesen zu sein: "Sadegh Zarif war an der Front, als Saddam den Waffenstillstand schließlich annahm. ,Von der irakischen Seite hörte man Freudenschreie und Schüsse in die Luft. Sie tanzten. Auf unserer Seite weinten alle.'" De Bellaigue protokolliert die Märtyrerverehrung, die seit 1980 alle Diskussionen über diesen Krieg überlagert haben. "Je entsetzlicher die Umstände des Todes eines Mannes und je sinnloser er war, um so größer war die Wandfläche an einem Wohnblock, die seinem Andenken gewidmet wurde. Wenn er im vorpubertären Alter gestorben war, um so besser."

Heute sind mit Mahmoud Ahmadinejad eben jene Revolutionsgardisten (Pasdaran) an der Macht, deren Ideologie durch diesen Krieg geprägt wurde und die heute die Opferung der Bassidschi-Kinder emphatischer feiern als je zuvor. Schon in einer seiner ersten Fernsehansprachen schwärmte der neue Präsident: "Gibt es Kunst, die schöner, göttlicher und ewiger wäre, als die Kunst des Märtyrertods?"

Die Gesprächspartner de Bellaigues berichten uns von jener "Kunst". So zeigte sich der 17-jährige Amin nach Aussage seines Onkels bei Kriegsende "bekümmert, dass Gott ihn nicht für würdig befunden habe, Märtyrer zu sein." Am allerletzten Kriegstag - "Gott sei es gedankt", so sein Onkel - wurde er schließlich doch noch zerfetzt. Immer wieder erhielten die Bassidschi den Befehl, "über die offene Fläche vorzurücken und sich massakrieren zu lassen", protokolliert de Bellaigue, "die jungen Iraner standen Schlange, um zu sterben." Der Autor brachte in Erfahrung, dass der militärische Nutzen dieser Einsätze zweitrangig war: "Eine ideologische reine Armee ist besser als eine siegreiche Armee" versichert einer seiner Helden, der Pasdaran-Befehlshaber Hossein Charrazi. Und dann zitiert der Autor Chomeini selbst:

Wir dürfen "Sieg und Niederlage (nicht) nach organischen und materiellen Maßstäben definieren. Wir müssen unsere Ziele mit heiligen Maßstäben messen.... Selbst wenn die ganze Welt gegen uns aufsteht und uns vernichtet, haben wir doch gesiegt."

Wenn wir auch vernichtet sind, haben wir dennoch gesiegt? Es ist diese apokalyptische Todesbereitschaft, die der gegenwärtigen Atompolitik des Iran ihre Brisanz verleiht. Gerade weil uns Christopher de Bellaigue die horrible Praxis des religiösen Fanatismus so unverblümt vor Augen führt, irritiert um so mehr die Einfühlung, die er diesem Horror entgegenzubringen vermag. Schon die Auswahl seiner Gesprächspartner überrascht. So findet sich unter den gut Dutzend Personen keine einzige, die die Bassidschi-Einsätze grundsätzlich kritisiert, obwohl diese seinerzeit von Angehörigen der regulären Armee wie auch von "vielen Eltern aus der Mittelschicht", wie er etwas abfällig schreibt, bekämpft worden sind. Erst nach 250 Seiten taucht erstmals ein Gesprächspartner wie Akbar Gandschi auf, der sich dem Regime widersetzte und verfolgt worden ist.

So wie ein Teil der europäischen Linken sich vom suicide terror der Hamas eher fasziniert statt angewidert zeigte und Verständnis artikulierte, statt Abscheu, so versucht de Bellaigue selbst die massenhafte Opferung iranischer Kinder zu verstehen. "Der Basidschi starb mit einem Lächeln", weiß er zu berichten, "weil er sich selbst davon überzeugt hatte, dass es in seinem eigenen Interesse war, auf eine bestimmte Weise und mit bestimmten Worten auf den Lippen zu sterben.... Die Verschmelzung von Religion und Politik in ihren mageren Körpern war ein Zusammentreffen persönlicher und universeller Interessen."

Geradezu bewundernd porträtiert de Bellaigue den amerikanischen Islamisten David Belfield, der in den USA einen Khomeini-Gegner getötet und sich anschließend durch Flucht in den Iran der Strafverfolgung entzogen hatte: "Ich spürte seine Entschlossenheit, seinen Glauben zu bewahren, ihn rein zu erhalten, während der Islam anderer verunreinigt wurde." Christopher de Bellaigue, Jahrgang 1971, der das Studium der Islamwissenschaft in Cambridge absolvierte und seit 2000 als Korrespondent des "Economist" und des "New Yorkers" in Teheran lebt, stieß im Iran auf Männer, wie man sie im weißen Großbritannien wohl nur selten trifft: Fern der Heimat wurde ihm bewusst, "dass es etwas gibt, dass Männer dazu veranlasst, für ihre Überzeugungen nicht nur zu töten, sondern auch für sie zu sterben. Männer wir David Belfield, Sadegh Zarif und Hossein Charrazi hatten dieses Etwas, was auch immer es sei, diese selbstmörderische und mörderische Bösartigkeit. Aber sie hatten auch die dazugehörige faszinierende Integrität."

Sicherlich ist dem Autor zugute zu halten, dass er - wie die meisten seiner Zunft - die Brandreden eines Mahmoud Ahmadinejad ebenso wenig hatte voraussehen können wie die Selbstmordattentate in London. Zuweilen zeigt er sich über den iranischen Märtyrerkult befremdet und einige seiner Episodenschilderungen sind nicht nur ausgezeichnet beobachtet, sondern auch meisterhaft formuliert. Und doch haben wir es hier mit einem Buch zu tun, dass in zweierlei Hinsicht aktuell ist und das in doppelter Hinsicht erschreckt: Es erschreckt nicht nur als ein Bericht über jene, die nicht das Leben lieben, sondern den Tod, sondern auch dann, wenn der Autor eben jene Haltung heroisch zeichnet und romantisiert. Unfreiwillig führt uns de Bellaigue am eigenen Exempel den Typus jenes linksliberalen modernen Europäers vor Augen, der zwar mit leichter Feder die Freiheiten verspottet, die angeblich "die Europäer den Iranern ununterbrochen" predigten, dem aber in Begegnung mit dem revolutionären Iran nicht nur der Standpunkt der Aufklärung, sondern auch der moralische Kompass abhanden gekommen ist.


Titelbild

Christopher de Bellaigue: Im Rosengarten der Märtyrer. Ein Portrait des Iran.
Übersetzt aus dem Englischen von Sigrid Langhaeuser.
Verlag C.H.Beck, München 2006.
341 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 340654374X

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