Kulturelle Grenzüberschreitungen

Transnationalität am Beispiel der deutsch-französischen Literaturbeziehungen in neuesten Untersuchungen

Von Marcel KringsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Krings und Roman LuckscheiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Luckscheiter

Die gegenwärtig sich abzeichnende Europäisierung der Literaturgeschichtsschreibung lenkt den Blick auf die vielfachen Beziehungen zwischen den nationalsprachlichen Literaturräumen. Zunehmend rückt die Internationalität nationaler Literaturen ins Bewusstsein der Philologien und erfordert eine neue Beschäftigung mit den Wegen, Medien und Akteuren grenzüberschreitender Dispersion und Rezeption literarischer Formen und Inhalte. Inwiefern sich diese Entwicklung auch im Forschungsfeld der deutsch-französischen Literaturbeziehungen niederschlägt, soll mit diesem Schwerpunktthema anhand einschlägiger Neuerscheinungen sichtbar werden.

Der wissenschaftliche Blick auf interkulturelle Vernetzungen hat freilich eine lange Geschichte und ist in den Schulen der Komparatistik, der Imagologie, den Untersuchungen zur Reiseliteratur, aber auch der grenzüberschreitenden Rezeptionsforschung und nicht zuletzt der Landeskunde entwickelt und gepflegt worden. In Ansicht einschlägiger Neuerscheinungen interessiert nun, wie diese Traditionen fortgeschrieben und/oder modifiziert wurden - insbesondere unter der Perspektive der aktuellen Diskussion zur Transnationalität. Zu hoffen ist, dass die Summe der Einzeluntersuchungen eine Literatur- und Kulturgeschichte etabliert, die im besten Fall einen Dialograum europäischer 'Geistesgegenwart' darstellt.

Das Spektrum der Rezensionen reicht chronologisch von den Spuren okzitanischer und französischer Lyrik im deutschen Minnesang über Lessings Übersetzungen aus dem Französischen bis in die deutsch-französische Literaturkritik der 1990er Jahre. Prominente Vertreter der Rezeptions- und Transferforschung sind mit einem Band über den lebhaften deutsch-französischen Ideenaustausch im Vormärz vertreten sowie mit einem Band über Baudelaire und Deutschland, der unter anderem die deutsche Kanonisierung eines "poète maudit" illustriert. Ein anderer Tagungsband beschäftigt sich mit der feministischen Dekonstruktion von Geschlechtermythen beidseits des Rheins. Dass die deutsche und französische Literaturkritik mitunter die gleichen Manschetten bei der Beurteilung moralisch problematischer Autoren hat, zeigt eine Arbeit über Benn und Céline. Die biographische Forschung ist mit Heine in Paris vertreten, Quellenforschung mit einer Studie zu den französischen Vorlagen von Büchners Dramen. Wie reichhaltig deutsch-französischer Kulturtransfer auch in Zeiten der so genannten "Erbfeindschaft" stattfand, zeigen die Bände über die Kunstkontakte zwischen Weimar und Paris im 19. Jahrhundert sowie über die Intellektuellen als Mittlerfiguren in der Weimarer Republik. Die Liste wird abgerundet mit einer Polemik, die den Grundkonsens bilateralen Austauschs aufkündigt und für einen Bruch der deutsch-französischen Achse plädiert. Als Einstieg in den Schwerpunkt dient der DFG-Tagungsband zu den Topografien der Literatur, der kulturwissenschaftliche Methoden für die Kartierung diskursiver Räume bereitstellt.