Zauberatlas und Stadtplan

Christa Gürtler folgt Ingeborg Bachmann durch Klagenfurt, Wien, Rom und andere Orte

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Herbst des Jahres 1973 unternahm der nicht zuletzt durch seinen voluminösen Vierbänder "Jahrestage" bekannte Schriftsteller Uwe Johnson eine Reise nach Klagenfurt, der Stadt, in der seine kurz zuvor verstorbene Schriftstellerkollegin Ingeborg Bachmann Kindheit und Jugend verbracht hatte. Ein Jahr darauf war aus der Reise ein kleines, einfühlsames Bändchen erwachsen, ein sehr persönlicher Nachruf auf die befreundete Autorin.

Weitere 30 Jahre später widmet sich ein anderes kleines Bändchen Bachmanns Aufenthalten in Klagenfurt, Wien und Rom. Christa Gürtler hat es verfasst. Weder war sie wie Johnson mit Bachmann befreundet noch hat sie die Orte, von denen ihr Buch handelt, selbst aufgesucht. Auch ist sie keine literarische Schriftstellerin. Ihr Zugang zu Ingeborg Bachmann ist vielmehr wissenschaftlich motiviert. Daher lassen sich beide Bändchen auch nur schwer miteinander vergleichen. Gürtlers Aufmerksamkeit gilt einer Trias, deren Teile eng miteinander verschränkt sind: "Ingeborg Bachmanns literarischem Blick, der Topographie ihres Werks und den Korrespondenzen mit biographischen Lebensstationen". Zu besonders originellen Erkenntnissen oder Thesen gelangt sie allerdings nicht. Statt dessen ist das Büchlein von ausgiebigen Zitaten aus Bachmanns Schriften geprägt, deren längstes nicht weniger als sieben Seiten umfasst. Überhaupt dürften die Textanteile von Bachmann Zitate und die der Autorin einander die Waage halten. Man hat sogar den Eindruck, dass erstere überwiegen.

Zwar seien die "konkreten Orte und Landschaften" sowie die "sinnlichen Erfahrungen", die sich für Bachmann insbesondere mit den Städten Klagenfurt, Wien und Rom verbänden, "notwendige Voraussetzung und Ausgangspunkt" für Bachmanns Schreiben, so dass "reale Schauplätze" in ihren Werken zu "imaginären Gedächtnisräumen" würden. "Wer allerdings ihre Literatur aus ihrem Leben erklären möchte", warnt die Autorin, "der übersieht die Differenzen". Auch dürfe Bachmanns "literarischer 'Zauberatlas'" nicht mit einem "Stadtplan" verwechselt werden. Zwei Mahnungen, die denn doch eher banal klingen. Ebenso ist nicht bekannt, dass Bachmanns Todesumstände jemanden zu der "falschen Annahme" verführt hätten, dass "Malina" ein "vordergründig autobiographisches Buch" sei. Gleichwohl: Gürtler warnt ausdrücklich vor diesem merkwürdigen Fehlschluss.

Ihre eigenen Aussagen stehen gelegentlich in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. So konstatiert sie einmal, dass Bachmann und Celan "eine lebenslange unglückliche Liebe" verbunden habe, dann wieder sei Bachmann "mit Paul Celan und später mit Max Frisch" in "unglückliche Liebesbeziehungen verstrickt" gewesen. Selbst wenn sich das "lebenslang" des ersten Zitates auf Celans Leben beziehen würde, wären beide Zitate nicht stimmig. Denn Anfang der 1960er Jahre, der Zeit ihrer unglücklichen Liebe zu Frisch, lebt Celan noch. An anderer Stelle heißt es, das Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan" sei Bachmanns "letzte Liebesgeschichte" gewesen. Offenbar hat die Autorin da schon vergessen, dass sie den Roman "Malina" einige Seiten zuvor zwar als Künstlerroman, Kriminalroman, Wienroman, Philosophie und Patriarchatskritik apostrophierte, an erster Stelle aber als - Liebesroman.

Ungeachtet solcher eher für eine literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung relevanten Kritikpunkte sind Leser und Leserinnen, die einfach ein wenig über Bachmann schmökern möchte, mit dem vorliegenden Buch nicht schlecht bedient. Und vermutlich handelt es sich bei ihnen ja auch um die eigentliche Zielgruppe.


Titelbild

Christa Gürtler: Ingeborg Bachmann. Klagenfurt - Wien - Rom.
ebersbach & simon, Berlin 2006.
127 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3938740116

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