Mit leichtem Gepäck

Zum Tode von Fred Wander und zur überarbeiteten Neuausgabe seiner Autobiografie "Das gute Leben oder Von der Fröhlichkeit im Schrecken"

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Vergangenheit, betonte Fred Wander einmal, ist nicht vergangen. Schon gar nicht für den, der wie er die Vernichtungslager der Nazis überlebte. Noch im hohen Alter gab es Momente, in denen ihm seine Befreiung aus Buchenwald wie ein trügerischer Traum vorkam. "Immer wieder in all den Jahren erlebte ich, daß ich nachts schweißgebadet aufwachte und für eine schreckliche Minute nicht wusste, wo ich war ... in Wien, in Paris, Marseille, Berlin - oder in Buchenwald?", schreibt er in seiner Autobiografie. "Die Baracke mit den zusammengewürfelten, stöhnenden, ächzenden Häftlingen, von denen in jeder Nacht einige starben, wurde ich nicht los, die stinkende, von Blut, Urin, Eiter und Tod erfüllte Baracke! Keiner, der dort war, wird je wieder aus dieser Baracke herauskommen."

Dass er das Martyrium überstanden hat, schrieb der österreichisch-jüdische Autor einer besonderen Gabe zu - der "Fröhlichkeit im Schrecken". Denn das KZ überlebte nur, wer sich noch in der Hölle seinen Humor bewahren konnte. Wer fähig war, noch im letzten steinharten Bissen Brot Regen, Sturm und Sonne zu schmecken. Wer nicht verstummte und sich von den anderen abschloss, sondern sich ins Geschichtenerzählen retten konnte.

Wander hatte das Erzählen in den Lagern gelernt. Dennoch dauerte es lange, bis er selbst von diesen Jahren berichten konnte. Sein Roman "Der siebente Brunnen", von der Kritik erst 2005 aus Anlass seiner Neuausgabe im Wallstein Verlag wiederentdeckt und gefeiert (vgl. literaturkritik.de Nr. 07/2005), erschien erstmals 1971 in der DDR. Das locker-assoziative Erzählen und der liebende Blick, die an diesem Roman so beeindrucken, findet man in Wanders Autobiografie wieder. Auch "Das gute Leben", so ihr Titel, ist ein Buch voller Weisheit, Lebenslust und Menschenliebe. Auch dieses Buch ist schon einmal erschienen, 1996 bei Hanser; zuletzt hat es der Autor für die Neuausgabe bei Wallstein überarbeitet und erweitert - leider nicht immer zum Besseren. Gerade in der zweiten Hälfte finden sich einige vermeidbare Wiederholungen und zu viele Sätze, die mit einem emphatischen Ausrufezeichen enden.

Wanders Erinnerungen sind die Feier eines besonderen Menschenschlags, der "nomadischen Naturen". Den Parias und Vagabunden dieser Welt fühlte sich der Autor bereits als Gassenjunge im Wien der 20er Jahre zugehörig. Damals hieß er noch Fritz Rosenblatt und war der Sohn armer Zuwanderer aus Galizien. Es war der allgegenwärtige Judenhass, der ihn auf seine ersten Wanderschaften trieb. "Gehen, als Haltung des ahasverischen Typs, des Menschen im Exil, der auf ein Wort wartet, ein freundliches Gesicht, einen auf deinem Weg, der dich als Bruder erkennt. [...] Weil dich die Ferne lockt und der blaue Himmel, weil ein geheimer Instinkt dich treibt zu verschwinden und keine Spuren zu hinterlassen - du könntest den Mördern gefallen!"

Als die Österreicher 1938 Hitler zujubeln, marschiert der 21-Jährige instinktiv zum Westbahnhof und löst eine Fahrkarte nach Paris. Von seiner Familie, die er zurücklässt, wird nur ein Bruder überleben. In Frankreich erfährt er unter den Clochards und Landarbeitern eine spontane Solidarität, die ihm bislang fremd war. Literarisch meisterhaft ist Wanders Schilderung der bedrückenden Atmosphäre unter den mittellosen Emigranten, die in ihrer Verzweiflung die aberwitzigsten Theorien spinnen. Nicht wenige begehen bereits bei Kriegsausbruch Selbstmord.

1939 wird Wander von den Behörden erstmals interniert, irrt danach durch halb Frankreich auf der Suche nach einem Ausweg. Schließlich wird er von Schweizer Zöllnern beim illegalen Grenzübertritt festgenommen und an die Nazis ausgeliefert, die ihn gleich nach Auschwitz deportieren. Auf der Reise nach Osten steht der Zug mit den überfüllten Viehwaggons oft tagelang in deutschen Städten auf Abstellgleisen, wird von vielen gesehen, ohne dass sich jemand an dem vielstimmigen Schreien stört. Im Gegenteil: Eisenbahner machen beim Vorbeifahren noch grinsend das Zeichen des Halsabschneidens, erinnert sich Wander.

Nach der Befreiung kehrt er zunächst ins "Land des Hasses" zurück, nach Österreich. In Wien lernt er das Handwerk des Schreibens, verfasst für eine kommunistische Boulevardzeitung Sozialreportagen, heiratet. Die Ehe scheitert, nachdem er sich neu verliebt. Maxie Wander, seine zweite Frau, lebens- und menschensüchtig wie er, wird später, kurz vor ihrem Krebstod 1977, mit ihren gesammelten Frauenschicksalen eine gefeierte Schriftstellerin. Da lebt das Paar schon lange in der DDR, angewidert davon, wie im Westen die Nazi-Vergangenheit verdrängt wird. 1955 nimmt Wander zusammen mit Erich Loest und Ralph Giordano am ersten Jahrgang des Leipziger Literaturinstituts teil, schreibt Jugend- und Reisebücher, entscheidet sich, im Osten zu bleiben. Die Wanders sind kommunistische Romantiker, keine Parteigenossen, glauben an die Solidarität unter den Entrechteten, nicht an marxistische Dogmen. Wie sehr im real existierenden Sozialismus Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen, erkennen sie freilich rasch.

Sympathisch ehrlich und selbstkritisch, wenngleich nicht immer befriedigend, sind Wanders Antworten auf die Frage, warum sie trotz wachsender Frustration dort geblieben sind. Wie sehr ihn selbst diese Frage beschäftigt, merkt man, immer wieder kommt er auf sie zurück. Als Künstler und Opfer des NS-Regimes waren die beiden privilegiert, als Ausländer genossen sie weiter die Reisefreiheit. Und in der Künstlersiedlung Kleinmachnow, im Privaten, fanden sie Freunde, die sie nicht verlassen wollten, darunter Christa und Gerhard Wolf.

Wander blieb auch in der DDR, was er von Anfang an war: ein Nonkonformist und Autodidakt. In den 60er Jahren entdeckt der ruhelose Augenmensch das ihm gemäße Medium, die Fotografie, publiziert Reisebücher über Korsika, Paris, Südfrankreich. Dass die Ehe mit dem notorischen Einzelgänger nicht immer leicht war, davon zeugen Maxies Briefe und Tagebucheinträge, aus denen Wander zitiert. Zuletzt lebte er mit seiner dritten Frau Susanne zurückgezogen in Wien, gelassen staunend über seinen späten Ruhm. "Ich bin unterwegs", enden seine Erinnerungen, "mein Gepäck ist leicht." Am 10. Juli 2006 ist Fred Wander im Alter von 89 Jahren in Wien gestorben.


Titelbild

Fred Wander: Das gute Leben oder Von der Fröhlichkeit im Schrecken. Erinnerungen.
Wallstein Verlag, Göttingen 2006.
400 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3892448558

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