Ein wahrer Frauenfreund

Ana Kugli entdeckt den präfeministischen Brecht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf die Idee, in Bertolt Brecht einen Feministen zu sehen, dürfte in einem guten drei viertel Jahrhundert Rezeptionsgeschichte noch niemand verfallen sein. Bis Ana Kugli kam, die es im Titel ihrer Arbeit "[z]um Verhältnis der Geschlechter" im Werk des Autors und Stückeschreibers tut, wenn auch vorsichtig mit einem Fragezeichen versehen.

Kugli erhebt den Anspruch, alle für ihre Thematik einschlägigen Werke Brechts zu berücksichtigen. Kein geringes Unterfangen bei einem untersuchten Textkorpus, das - wie sie betont - nicht weniger als 16 Stücke, über 60 Gedichte und nahezu 30 Prosatexte umfasst, zumal für ein eher schmales Bändchen von gerade mal 200 Seiten, das alleine schon für die (Fundamental-)Kritik an der feministischen und mehr noch an der psychoanalytischen Brecht-Forschung sowie für die Darlegung der eigenen Methode nahezu ein Viertel seines Umfangs aufwendet.

Zwar moniert die Autorin an einer Interpretation des psychoanalytischen Literaturwissenschaftlers Carl Pietzcker, dass er von der Auslegung Brecht'scher Texte auf den Autor rückschließe. Titel ("Feminist Brecht?") und Untertitel ("Zum Verhältnis der Geschlechter im Werk Bertolt Brechts") ihres eigenen Buchs legen allerdings den Verdacht nahe, dass sie selbst nicht anders vorgeht und aufgrund der Darstellung des Geschlechterverhältnisses in Brechts Texten die Frage beantworten will, ob er Feminist gewesen ist oder nicht. Nun kann man hierzu sicherlich auch einen Blick in sein Werk werfen, doch kaum den ersten und sicher nicht den einzigen.

Entgegen dem vermeintlichen Zusammenspiel von Titel und Untertitel ihres Buchs trennt die Autorin Werk und Leben Brechts denn auch strikt und schließt weder von diesem auf jenes noch umgekehrt. So dienen ihr Brechts Texte explizit als "einzig gültige Basis" ihrer Interpretationen. Biografische "Details" des Verfassers werden hingegen "nicht als relevante Bezüge für die Deutung des Textes anerkannt". Allerdings sei es "sinnvoll", ein literarisches Werk "prinzipiell in seinem historischen Kontext zu untersuchen". Wieso dieses legitim sein soll, wenn es jenes nicht ist, wird nicht begründet und ist auch nicht wirklich einsichtig. Ebenso dürfte Letzteres schwerlich von Ersterem zu trennen sein. Wird der "historische Kontext" eines Werks doch nicht zuletzt dadurch bestimmt, wann, wo, wie und als was sein Autor (respektive seine Autorin) lebt(e). Kuglis strikte Trennung zwischen der Biografie Brechts und dem historischen Kontext seines Werks dürfte allerdings darin begründet sein, dass sie dessen Texte mithilfe der "realistischen Bezüge zur bürgerlichen Gesellschaft, wie sie sich zu Brechts Lebzeiten gestaltete", deuten will, also - so muss man das wohl verstehen - mithilfe der 'objektiven' gesellschaftlichen 'Wirklichkeit', ohne die im weitesten Sinne autobiografisch bedingte Situiertheit von Brechts Sicht auf sie zu berücksichtigen.

Diese Vorgehensweise bedeutet allerdings nicht, dass sich Kugli Brechts Leben und insbesondere seinem Verhalten Frauen gegenüber gar nicht zuwenden würde. Während Brechts "Partnerinnen" von feministischer Seite zu "bedauernswerten Opfern" "stilisiert" würden, zeichnet sie den Mann als wahren Frauenfreund, der mit ihnen eine "kollektive Arbeitsweise" gepflegt habe. Dass nur sein Name als Urheber der Erzeugnisse des Kollektivs (angesichts von Brechts wechselnden Liebschaften wäre eigentlich der Plural angebrachter) auf Umschlägen und Titelblättern prangt, hat Kugli zufolge seinen nachvollziehbaren Grund darin, dass es für seine "Mitarbeiterinnen [...] durchaus einträglicher" gewesen sei, ihre Texte "unter dem 'Label' Brecht zu verkaufen, statt sie unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen, da sich Werke von Frauen auf dem damaligen Markt kaum durchsetzen konnten". Genau. Vicky Baum, Irmgard Keun und andere Erfolgsautorinnen beweisen das schlagend. Der selbstlose Mann hat Marieluise Fleißer und anderen also nur einen Gefallen getan.

Doch Kuglis Kritik zielt nicht nur auf die feministische Rezeption von Brechts Verhältnis zu 'seinen' Frauen, sondern mehr noch auf die "so genannte patriarchatskritische Frauenbildforschung" - rühmt sie sich doch, die erste "seriöse" Arbeit zur "Beschreibung der Frau" in Brechts Œuvre vorgelegt zu haben, mit der sie gegen die "Vorurteile" ankämpfen müsse, die sich "hartnäckig" in der Sekundärliteratur hielten. Mit der von Feministinnen zur Zeit der anschwellenden zweiten Welle der Frauenbewegung aufgestellten Behauptung, "Literatur sei an der systematischen Unterdrückung der Frau beteiligt, da in literarischen Werken durch verzerrte Frauenbilder und sexistische Strukturen die patriarchalische Geschlechterideologie unterstützt würde" - als Beispiel nennt die Autorin Kate Milletts 1969 erschienenes Buch "Sexual Politics" - etwa werde "der Leserin jedwedes Reflexionsvermögen abgesprochen". Dennoch sei an dieser Behauptung auch später noch "unerbittlich" festgehalten worden. Warum eine Interpretation, die besagt, dass ein literarisches Werk ein sexistisch/patriarchalisches Weltbild vermittelt, Leserinnen absprechen soll, dies zu durchschauen, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Und angenommen (nicht jedoch zugestanden), dem wäre so, warum dann nicht auch Lesern? Wie man sieht, trübt Kugli der häufig in pejorativen Formulierungen aufscheinende antifeministische Impetus im Eifer des Gefechts schon mal den analytischen Blick.

Ungeachtet ihrer Kritik an den Erzeugnissen feministischer Literaturwissenschaftlerinnen, die nicht etwa Thesen vertreten, sondern "Klischee[s] und Vorurteile[n]" anhängen, nimmt Kugli für Brecht in Anspruch, so ziemlich sämtliche Erkenntnisse - "Ansichten" nennt Kugli sie gerne - "der viel später entstandenen Literatur der Frauenbewegung bzw. der feministischen Theorie" in den Frauendarstellungen seiner Werke vorweggenommen zu haben, wie etwa Kritik an der "Trennung von öffentlichem und privatem Bereich", "die Entbiologisierung der Mutterschaft", das Theorem der "Mittäterschaft von Frauen" oder die Kritik an der Prostitution. Stimmt alles - wenn man den Feminismus erst in den 1960er und 1970er Jahren, also lange nach Brechts Tod, beginnen lässt. Andernfalls muss man Abstriche machen, hat Carol Pateman doch zu Recht bemerkt, dass "[t]he dichotomy between the private and the public is central to almost two centuries of feminist writing and political struggle". Auch ist die Kritik der biologisierenden Mutterschaftsideologie bereits in der Frauenbewegung um 1900 ein wichtiges Thema gewesen, etwa bei Hedwig Dohm. Und was nun die Prostitution betrifft, so wurde auch sie schon von Frauenrechtlerinnen vor und um 1900 unter dem Zeichen des Abolitionismus bekämpft. Nicht eine einzige feministische Stimme erhob sich seinerzeit zur Verteidigung der Prostitution. Hingegen trifft es durchaus nicht zu, dass Prostitution von der heutigen feministischen Forschung uneingeschränkt als "Phänomen" verstanden wird, "das an das herrschende, zumeist patriarchalische Normen- und Wertesystem gekoppelt ist" und als dessen "Voraussetzung [...] die Dominanz des Mannes über die Frau" erkannt wird. Das wäre zwar schön, doch ist die Haltung zur Prostitution innerhalb des Feminismus heute heiß umkämpft, denn es gibt einen Flügel von Frauenrechtlerinnen, dessen Angehörige die Anerkennung der Prostitution als 'Beruf wie jeder andere' fordern und damit weit hinter die Erkenntnisse ihrer Ahninnen um 1900 zurückfällen.

Brechts Verständnis der Ehe als Form der Prostitution erweist sich hingegen wieder als recht alter feministischer Hut, hat doch Mary Wollstonecraft schon im 18. Jahrhundert die "Ehe ohne Liebe" als solche gegeißelt. Kugli scheint das allerdings nicht bekannt zu sein, sonst hätte sie auf die englische Feministin verwiesen oder auf eine der anderen frühen Feministinnen, bei denen Ähnliches zu finden ist, und nicht Otto Rühle herangezogen, der das bereits 1930 so gesehen habe.

Unter der Überschrift "Die Frau als Ware" zitiert Kugli in diesem Zusammenhang eine Definition Kants, der zufolge es sich bei der Ehe um eine "Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften" handelt. Brecht hat sich in einem ironischen Gedicht über sie lustig gemacht. Kugli erläutert nun, dass die Ehe durch Kants Definition "sehr in die Nähe von Prostitution" gerückt werde. "Die Ehefrau erscheint dann wie eine Hure, die lebenslang eben nur einem Freier, ihrem Mann, Sex verkauft, der sie im Gegenzug materiell absichert." Die These von der ehelichen Prostitution kann sich allerdings schwerlich auf die Kantische Definition berufen. Darin ist nicht von Männern und Frauen die Rede, sondern nur von Personen verschiedenen Geschlechts. Diese bedienen sich wechselseitig der Geschlechtseigenschaften der/des anderen. Davon, dass die Person des einen Geschlechts der des anderen Sex gibt, die diese dafür materiell absichert, spricht Kant hier gerade nicht. Und so auch nicht davon, dass die erste eine Frau, der zweite ein Mann sei.

Feministische Erkenntnisse vorweggenommen hat Brecht kaum; näher ins Auge zu fassen wäre allenfalls das Theorem der Mittäterschaft von Frauen. Was bleibt, ist, dass er das hierarchische Geschlechterverhältnis dargestellt und "die männergemachte Abhängigkeit von Frauen in allen Lebensbereichen beschrieben" hat. Das allerdings haben auch schon andere vor ihm getan, und einige sicher kritischer als er.


Titelbild

Ana Kugli: Feminist Brecht? Zum Verhältnis der Geschlechter im Werk Bertolt Brechts.
Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, München 2006.
216 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3899755715

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