Der absolute Reset der Zivilisation

Vertrackt und zugenäht: Henry Rollins' literarische Ergüsse

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Flammenwerfer verstehen sich als Konstante im Blut

In seiner unvergleichlichen Art, T-Shirtsprüche am laufenden Band zu produzieren, schrieb Friedrich Nietzsche im "Zarathustra": "Von allem Geschriebenen liebe ich nur das, was mit dem eigenen Blute geschrieben ist."

Der Musiker und Schriftsteller Henry Rollins hat "ein gewaltiges Kinn und seinen süßen Arsch", außerdem kurzgeschorene Haare, muskulöse Arme und jede Menge Tattoos. Ein wenig sieht er aus wie der Türsteher, der einen vor der Glam-Punk-Disco abweist, weil man die falsche Band auf dem T-Shirt hat.

Über Blut ist er weit hinaus. Er schreibt mit Blut, Sperma, Scheiße, Kotze, Pisse, Eingeweiden und etwas, das der Sänger einer befreundeten Punkband einmal "Fotzensaft" nannte. Außerdem schreibt Rollins vom "abfackeln" und "ausrotten". Das kann man ruhig noch einmal schreiben: Abfackeln. Ausrotten. Dies sind die beiden wichtigsten Wörter in der Rollins'schen Poetik, direkt danach kommen "Lüge" und "Flammenwerfer".

Solipsist, du Wichser

Schnell eine kleine Einordnung: Erstes Buch: "Art to choke Hearts". 1986 geschrieben, zusammen mit Rollins' Lieblingswörtern ergibt das Postpunk. Postpunk, der als weiterentwickelter Punk hauptsächlich eine Gegenbewegung zur 80er Jahre Discomusik und deren eher ironischer Philosophie war. Postpunk betrachtet diese ganze No-Future-Sache kritisch und entwickelt sie zu einer Philosophie weiter, die sich durchaus in der Lage sieht, eine Zukunft zu haben, sofern sie nur zu den Bedingungen des Postpunk geschieht, die auf absolutem Egoismus, Hass und Vernichtungswillen beruhten. Rollins führt in seinem Buch "Solipsist" von 1998 außerdem das Wort "Solipsismus" in das Spiel mit ein: "Solipsistisch zu sein bedeutet, das Ego und den Alptraum absoluter Selbstbezogenheit vollständig zu akzeptieren".

Das klingt nach Selbstfindungstour de force. Ist es aber niemals. Mit sich selbst ist Rollins erstaunlicherweise immer im Reinen, nichts bringt seinen unerschütterlichen Hass ins Wanken, niemals. Alles, was Rollins sieht, was er in seinen Aufzeichnungen beschreibt, dieses ganze Problemviertelleben, bestätigt den Hass. Die Selbstbezogenheit, die Selbstfindung, die er immer wieder versucht, in den Vodergrund zu rücken, ist nur eine Maske für etwas ganz anderes.

Prügel mit dem Brecheisen auf den Resetknopf ein

Rollins schreibt mit vielen Körperflüssigkeiten. Nur nicht mit Tränen. Solipsisten weinen nicht. Nicht über die Crackdealer von gegenüber. Nicht über Frauen, egal ob sie Liebe wollen oder nur Sex und von Rollins weder das eine noch das andere bekommen. Nicht über all die Lügen. Nicht darüber, dass man als Einziger die verdammt dreckige Wahrheit erkannt hat. Weinen hilft im Rollinsversum nicht viel. Nur der absolute Reset der Zivilisation. Und der Flammenwerfer ist der Resetknopf. Das allereinigende Feuer, das Einzige, was in Rollins' Babylon der Lügen noch einen Sinn hat: Die sinnlose Zerstörung. "Der Blues trifft dich so hart, dass er dir das Genick bricht", schreibt Rollins. Rollins hasst. Exzessiv, ausgiebig, jeden.

Entwicklung? Ich nenne mich einfach Sting

Entwicklung findet nicht statt. Rollins' Bücher bestehen aus locker zusammengeklumpten Notizen, Absätzen, die manchmal eine fettgedruckte Überschrift haben, die nichts mit dem Text darunter zu tun hat. Akribisch aufgezeichneter Hass auf alles, mit dem Anspruch, die Zivilisation offen zu legen. Manchmal schreibt er auch Lyrik. In "Eye Scream" findet sich eine gigantische, fast vierzig Seiten lange Ballade, in der jegliches Versmaß, jeglicher Zusammenhang, inhaltlich wie motivisch, ja eigentlich alles fehlt. Eigentlich ist das auch keine Lyrik, es sind eher Songtexte. Songtexte für Bands wie System of a Down.

Setz dir den goldenen Schuß und stirb im Himmel

Musik, ja. Rollins hat auch eine Band. Mehrere: Black Flag und die Rollins Band. Er spielt in Filmen, Fernsehserien und Videospielen mit. Außerdem ist er Spoken Word Performer. Und Stand-up-Comedian. Kann man alles kaufen. CDs, DVDs, Bücher. Musik auch bei iTunes. Ganz schön zuhause in der Kultur, die er resetten will. Kann man sich auch alles auf seiner Website anschauen. Musikvideos: Wirken eher gemacht, so eine Art Punk, der Punk kritisiert mit überaffirmativ verwendeten Mitteln des Punk; Punk, der sich selbstreferenziell offen legt mit Texten wie: "Ich bin das Monster, zu dem ihr mich gemacht habt". Stand-up-Comedy: Wirkt eher langweilig. "Ich freue mich ja über George Bush. Der verarscht sich selbst. Da muss ich gar nicht mehr viel machen. Der Bastard."

Könnte Guerilla sein. Ein kleiner beweglicher Gegner, der das große Ganze immer wieder angreift. Kultur zerstören mit den Mitteln der Kultur. Etablierte Kommunikationswege und -codes für eigene Botschaften nutzen. Alles von innen heraus zerstören: Der Resetknopf ist systemimmanent. Immer. Einfach das System vorführen, indem man sagt: Schaut mal, wie kaputt alles ist, wenn hassenswerte Menschen wie ich nach oben gespült werden. Könnte Guerilla sein.

In meinem Kofferraum blutet ein Kopf aus Rauch

Gewagte Konstrukte, die man sich da bauen muss, um Rollins' Hass pur zu empfangen: Nein, er nutzt die Formen nur, er hat sie nicht verinnerlicht. Das Einzige, was er verinnerlicht hat, ist sein Hass. Er sieht doch auch so aus wie seine eigenen Figuren, diese Drogensüchtigen, diese abgefuckten Typen, die Mechaniker.

Das alles hält nicht stand: Die Bücher nicht der Musik, die Musik nicht der Stand-up-Comedy, und vor allem hält das alles iTunes nicht stand. Rollins ist nicht seine Musik, nicht sein Spoken-Word-Kram, nicht die Filme und auch nicht seine Bücher, nicht dieses Konglomerat aus Körpersäften. Nicht diese Sätze purer, destillierter Abneigung, die zwischen all dem pubertären Rumgehasse aufblitzen wie Silberkugeln, die mitten in der Luft stehen bleiben.

Bullet Time. Damit man das Blut besser spritzen sieht

Schließlich hält Rollins Rollins nicht stand. Einmal um Rollins drehen. Einmal anhalten. Einmal alles sehen. Rollins ist nicht seine Bücher. Rollins ist, mit jeder Minute Recherche nähert sich dieser Gedanke, ein strahlendes Gesamtkunstwerk, das sich seine Nische selbst erschafft, das in jeder seiner Produktionen nur einen kleinen Teil von sich zeigt, in dem die Teile nicht einzeln gelesen und dann zusammengesetzt werden können, weil die Widersprüche übermächtig werden, kein Mosaik, das ein Ganzes gibt. Aber auch kein zusammengeklumptes, abartiges Ding, das nirgends einen Sinn hat. Die Widersprüche in Rollins' Kunst ziehen sich nicht an, sie implodieren auch nicht, sie stoßen sich ab, mit einem unerträglichen Drang nach außen, das Rollins'sche Werk explodiert beständig in alle Richtungen, oder, wie Marylin Manson, der andere Meister der T-Shirtsprüche einmal schrieb: "I was a handgrenade that never stopped exploding".

Sei besser hier, woanders ists auch nicht schlimmer

So ergibt Rollins' Literatur Sinn, dieser Pfahl aus kaltem Hass, der einer unzulässig subjektiven Objektivitätsbehauptung ins Hirn gerammt wird: Ein Teil der Zerstörung. Nicht die herkömmliche Zerstörung, die Sorte, die man mit einer Superzeitlupe nachvollziehen kann. Die andere Sorte, die, in der jeder kleine Teil etwas zur Zerstörung beiträgt, die chaotische Zerstörung, die, die keiner höheren Entropie zustrebt, sondern genau dem sinnlosen Babylon, das Rollins' in seinen Büchern vorwegnimmt, in der Widersprüche nicht widersprüchlich sind, sondern Teil des Ganzen, Widersprüche, die sich nicht mehr zu Widersprüchen auflösen lassen, die unentschlüsselbare Zerstörung. Die dann aber auch nicht die Zivilationskritik ist, die Rollins ständig behauptet, sondern nur ihren Keim in sich trägt. Die Rollins'sche Kritik ist anderer Machart: Es ist erstmal ein 'Fanfick', die Kritik an seinen Anhängern, die sich von einem Teil seines Werks blenden lassen, die meinen, ihn durchschaut zu haben und deren Denken er in einer anderen Kunstform ad absurdum führt.

Damit führt er aber auch eine gigantische, pervertierte Maschinerie vor, die andere Menschen Kulturindustrie nannten. Die Selbstbezogenheit ist nicht die von Rollins auf Rollins, sondern die seiner Kunst auf seine Kunst. Alles, was sich daraus an Widersprüchen ergibt, ist im Kleinen das, was Rollins im Großen anprangert. Und vielleicht ist er sich dessen noch nicht einmal bewusst. Nette Ecke, in der er sich da angesiedelt hat, um von dort auf alles zu zeigen und zu sagen: Schaut her, das ist doch Mist. Alles, was man braucht, ist ein Flammenwerfer. Kein Ding.


Titelbild

Henry Rollins: Art to choke Hearts. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gunter Blank.
mirandA-Verlag, bremen 2001.
142 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-10: 3934790038

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Kein Bild

Henry Rollins: Pissing in the gene pool. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gunter Blank.
mirandA-Verlag, bremen 2001.
96 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-10: 393479002X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Henry Rollins: Eye Scream. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gunter Blank.
mirandA-Verlag, bremen 2002.
226 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-10: 3934790046

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Kein Bild

Henry Rollins: Solipsist. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Stefan Ehlert.
mirandA-Verlag, bremen 2003.
186 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-10: 3934790054

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch