Lesung ohne Text

Benjamin von Stuckrad-Barres "Liverecordings"

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pop bedeutet so gut wie nichts. Titel wie "Soloalbum", "Livealbum", "Remix" und eben die "Liverecordings" lassen sich mühelos fortsetzen, ohne auf einen möglichen Inhalt hinzuweisen. Die Musikbranche hält noch einige weitere sinnfreie Begriffe bereit, deren Eignung für die Literatur noch fraglich erscheint.

Die Lesung des Romans "Soloalbum" von 1998, dessen Kapitel mit Oasis-Songs überschrieben sind, soll vor allem eines nicht: langweilen. Deshalb wurden aus verschiedenen Lesungen mit Gastauftritten von Harald Schmidt, Christian Ulmen und Christian Kracht die angeblich unterhaltsamsten Teile aneinandergestückelt. "Gelesen vom Autor" heißt es im Vorspann, obwohl sich Stuckrad-Barre kaum einmal fünf Minuten am Stück hören läßt, da er ständig von seinen Stargästen unterbrochen wird.

Pointenversessen und penetrant ironisch liest er das eine oder andere Kapitel; einer möglicherweise vorhandenen Handlung kann man bei dem herrschenden Durcheinander sowieso nicht folgen. Beim Abschweifen in den Vortrag eines Berichts zum an sich bereits lächerlichen "Rock 'n' air in Heimerdingen" versucht Stuckrad-Barre seinen Vortrag nach Art von Max Goldt zu intonieren. Ulmen spielt einen Oasis-Song an und liest einen Textausschnitt mit Musikuntermalung, was den Witz noch verstärken soll. Schmidt liest eine Passage, die er für besonders gelungen hält, zwischendurch singt er "Paradise City". Christian Kracht darf dann noch einen Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung über Sodomie auf die Scheibe bannen. Lustig, lustig. Jede nicht gelungene Pointe muss kommentiert werden, das wirkt gleich noch selbstironisch und er scheint nicht so verloren. Allerdings kann man stets selbstironische Menschen schlichtweg nicht mehr ernst nehmen. Dass ein Lesungsabschnitt "Ulmen stört" überschrieben ist, denn genau das tut er, und zwar nicht etwa den Lesenden, sondern den entnervten Hörer, setzt dem ganzen die Krone auf.

Maximierte Unterhaltung, ad nauseam. Hinter der Inszenierung verschwindet das Anliegen. Was vorgetragen wird, scheint allen Beteiligten gleichgültig zu sein; zur Hauptsache wird, daß man sich einig ist. Harald Schmidt spielt sich selbst, für den Stuckrad-Barre die Gags schreibt, die er zuhauf in seinem Roman selbst verarbeitet. Wer schreibt und liest hier was und für wen? Das, was für gewöhnlich als "ironischer Unterton" bezeichnet wird, schreit uns entgegen, und schon nach zwei Minuten ahnen wir, was da noch alles kommen mag: Ironie ohne Stoßrichtung gepaart mit grenzenloser Selbstironie, ein sich Drehen im Kreis ohne erkennbares Zentrum, sterbenslangweilig vom ersten Satz an.

Benjamin v. Stuckrad-Barre: Liverecordings. Gelesen von Benjamin v. Stuckrad-Barre. Mit Gastauftrittseinsprengseln von Christian Kracht, Harald Schmidt und Christian Ulmen.

Titelbild

Benjamin von Stuckrad-Barre: Life Recordings. Laufzeit ca. 70 Min.
Der Hörverlag, München 1999.
12,70 EUR.
ISBN-10: 3895846511

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