Vorkämpferin und Vordenkerin

Hedwig Dohm, Feministin der ersten Stunde, wird zum 175. Geburtstag beschenkt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder einmal wird ein Mensch früherer Generationen von den Nachgeborenen dafür gerühmt, dass er ihrer Zeit vorausgewesen sei. Gelegentlich geschieht es aber auch, dass die Nachgeborenen hinter die Einsichten eines Menschen zurückfallen, in dessen Tradition sie sich doch eigentlich zu befinden glauben. Einer der Feministinnen der ersten Stunde, Hedwig Dohm, wurde dieses postume Schicksal zuteil. Zumindest wenn man ihre Stellungnahmen zur Prostitution mit denjenigen einiger heutiger Frauenrechtlerinnen vergleicht. Manche von ihnen behaupten, Prostitution sei ein Beruf wie jeder andere, und versuchen, Freier für den Kampf gegen Zwangsprostitution zu gewinnen, womit sie - wenn auch unbeabsichtigt - ein in (fast) sämtlichen Medien und zahlreichen Köpfen eh schon vorhandenes sexistisches Frauenbild verstärken und sich zudem selbst sämtliche Argumente gegen Pornografie und sexistische Werbung aus der Hand schlagen. Da die Nachfrage auch auf dem Sexmarkt das Angebot bestimmt, kommt noch hinzu, dass sie sich zwar subjektiv gegen Zwangsprostitution wenden mögen, objektiv jedoch dazu beitragen, dass immer mehr junge Frauen und Mädchen mit Lügen und falschen Versprechungen in die Prostitution gelockt oder mit Drohungen und brutaler Gewalt zu ihr gezwungen werden. Schließlich signalisieren diese Frauenrechtlerinnen den angesprochenen Freiern wie auch der Männerwelt insgesamt doch, dass es völlig in Ordnung sei, zu Prostituierten zu gehen, was, wie man sich leicht vorstellen kann, die Nachfrage nach Prostitution und so die Anzahl der Zwangsprostituierten ansteigen lässt.

Im Gegensatz zur Propaganda von Hurenorganisationen, die Prostituierte kurzerhand für sakrosankt erklärt, indem sie jede Kritik an der Prostitution zur Diskriminierung der Prostituierten umdeutet, war Hedwig Dohm nicht blind dafür, dass es auch möglich ist, die eigene Würde selbst zu beschädigen und erkannte die Prostitution als "abstoßende Karikatur der Erotik", die "eine[n] der dunkelsten Punkte der Geschichte der Menschheit" darstellt, ein "Kainszeichen, daß das Antlitz der Welt so entstellt, verzerrt, daß vor seinem Medusenblick das Herz erschauder[t]". Denn die Prostitution zeige Männern die Frauen "auf der niedrigsten Stufe".

Nun könnte man erwidern, dass dies ja alles sein möge, doch solle es den Menschen unbenommen sein, wie sie mit ihrer Würde verfahren. Und wenn sie sich unbedingt selbst herabwürdigen wollen, sollen sie es eben tun, sei es in Ekelshows oder im Sexgeschäft. Der Unterschied zwischen beiden liegt allerdings darin, dass die KandidatInnen Ersterer tatsächlich nur ihre eigene Würde verletzen, während die Prostitution den gesellschaftlichen Sexismus, dessen Produkt sie ist, umgekehrt selbst wieder forciert. "Was er [der Mann] in den Bordellen erlebt, wirft seinen Schatten in die Ehe", konstatierte Hedwig Dohm denn auch schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Doch nicht nur Ehefrauen und Freundinnen von Freiern sind betroffen. Alle Frauen sind es - und alle Männer -, wie fern auch immer sie sich von der Prostitution halten mögen.

Die Kritik der Prostitution war nun zwar ein wichtiges Anliegen der Feministin Hedwig Dohm, beileibe aber nicht ihr einziges. So analysierte und kritisierte sie die damalige Ehe und vielleicht mehr noch die ideologische Überhöhung der Mutterschaft, indem sie die "Erlogenheit", Mütter seien "die geborenen und notwendigen Erzieherinnen ihrer Kinder" als einen "Trumpf" durchschaute, den man gegen die Frauenbewegung ausspielte. Schon ein "flüchtiges Hineinblicken" in das Erziehungswerk von Müttern mache jedoch deutlich, dass gerade diese "die schlechtesten Erzieherinnen" ihrer Kinder seien. Ihre "fast absolute Unkenntnis" des Charakters der eigenen Kinder etwa könne nur "Staunen und Mitleid" hervorrufen.

Beides, Ehekritik wie Kritik der Idealisierung von Mutterschaft, steht auch derzeit auf der Dringlichkeitsliste, wird von Frauen doch allerorten gefordert, wieder mehr Kinder zu bekommen, während die Ehe sogar grundgesetzlich privilegiert ist und somit alle anderen partnerschaftlichen Lebensentwürfe diskriminiert werden. Ebenso natürlich auch die Wahl, ein Leben als Single zu führen.

Weiter setzte sich die Autodidaktin Hedwig Dohm, die selbst zeitlebens sehr an ihrer mangelnden formalen Bildung litt, vehement für das Recht der Frauen auf wissenschaftliche (Aus-)Bildung ein, also für deren Zugang zu sämtlichen Bildungsmöglichkeiten und -institutionen. Dabei zeigte sie sich als scharfzüngige Kritikerin all jener, die dass 'Argument' ins Feld führten, wissenschaftliche Betätigung widerspreche der weiblichen Natur. Auch nahm sie in ihrem Essay "Die wissenschaftliche Emancipation der Frau" die von Virginia Woolf ins Leben gerufene Shakespeare-Schwester vorweg, die bei ihr allerdings Friederike Schiller heißt.

Dohm, die den Begriff "Frauenrechtlerin" als "schlechtklingendes Wort" zurückwies, "das noch dazu von unseren Gegnern ersonnen ist, und das einen etwas ironischen, nörglerischen Beigeschmack hat", und statt dessen die Bezeichnung Feministin bevorzugte, stritt in unzähligen Publikationen gegen die "Herrenrechtlerei des Mannes" und die "teuflische Meinung von der geistigen Inferiorität des weiblichen Geschlechts". Und wenn sie antifeministische Propaganda ausmachte, verschonte ihr, wie sie selbst gerne betonte, "resolute[r] Feminismus" weder Geschlechtsgenossinnen noch den von ihr an sich bewunderten Peitschenphilosophen Nietzsche, dessen frauenfeindliche Sottisen bei Dohm "tiefe[s] Erstaunen" und "Bestürzung" hervorriefen. So wandte sie sich in "Die Antifeminsten", einem ihrer erfolgreichsten Werke, unter dem Kapitel "Weib gegen Weib" namentlich gegen Laura Marholm, Ellen Key und Lou Andreas-Salomé. Und auch Nietzsche, der zu den "Orthodoxen in der Frauenfrage" zähle, wurde ein eigener Abschnitt gewidmet. Sein "geistlos[es]" Gerede über Frauen zeige, dass er im Unterschied zu Sokrates nicht wisse, was er nicht weiß.

Als unermüdliche Feministin verfasste Dohm nicht nur etliche Essays und theoretische Artikel sowie unzählige journalistische Arbeiten, sondern auch literarische Werke: Romane, Novellen, Kurzgeschichten und Lustspiele. Letztere wurden etwa von Theodor Fontane positiv besprochen. Ihr "offenbares Lustspieltalent", lobte der Erfolgsautor, "kenn[t] die moderne Gesellschaft genau, greif[t] eine komische Situation heraus, die neu sein oder wenigstens neu erscheinen muß, konzentrier[t] auf diese hin ihre Kraft, und brenn[t] rund um dasselbe herum ein beständiges kleines Feuerwerk von Bonmots und Calembourgs ab". All dies sei "wirklich komisch".

Sie selbst äußerte sich kaum zu ihren literarischen Werken. In einem Brief an die feministische Mitstreiterin Anna Pappritz erklärte sie im Dezember 1902 allerdings recht selbstkritisch, "Sibilla Dalmar" (1896) sei das erste Werk, das sie selbst gelten lasse. Was sie vorher "auf belletristischem Gebiet" geleistet habe, sei nichts weiter als "blutiger Dilettantismus" gewesen. Und an ihren frühen feministischen Broschüren habe sie später der "burschikose Gymnasiastenton" geärgert. In einem weiteren Brief - diesmal aus dem Jahre 1907 und an Rosika Schwimmer gerichtet - wandte sie sich gegen die auch heute noch gängige autobiografische Lesart ihres Romans "Schicksale einer Seele": "Von den Erlebnissen meiner Ehe steht - meiner Töchter wegen - nichts in dem Buch."

Die Briefzitate sind einem soeben von Nikola Müller und Isabel Rohner herausgegebenen Band mit ausgewählten Texten Dohms entnommen, der in keiner Bibliothek eines feministisch interessierten Menschen fehlen sollte. Anlass der Herausgabe des Bands, der unter anderem Essays, Feuilletons, Novellen, Aphorismen und Briefe enthält, ist Dohms 175. Geburtstag, den FeministInnen in aller Welt am 20. September 2006 feiern dürfen. Wie die Lektüre des Bands zeigt, haben sich hier erstmals zwei ebenso gewissenhafte wie akribische Forscherinnen dem Werk Dohms als Herausgeberinnen angenommen.

Da freut es umso mehr, dass Müller und Rohner eine Edition des Gesamtwerks der frühen Feministin in Aussicht stellen. Mit "Sibilla Dalmar" und "Schicksale einer Seele" sollen noch in diesem Jahr die ersten beiden Romanbände erscheinen. Insgesamt ist die Ausgabe auf nicht weniger als fünfzehn Bände angelegt. Ein ambitioniertes Vorhaben, bei dem es sich wohl um das schönste Geburtstagsgeschenk handelt, das man Hedwig Dohm, dieser - wie sie im Titel eines ihr gewidmeten Büchleins aus dem Jahre 1914 genannt wird - "Vorkämpferin und Vordenkerin neuer Frauenideale" zu ihrem diesjährigen Ehrentag machen kann. Ein Geschenk aber auch für die Lesenden. Denn die "Ausgewählten Texte" machen Appetit auf mehr.


Titelbild

Nikola Müller / Isabel Rohner (Hg.): Hedwig Dohm - Ausgewählte Texte. Ein Lesebuch zum Jubiläum des 175. Geburtstages mit Essays und Feuilletons, Novellen und Dialogen, Aphorismen und Briefen.
trafo verlag, Berlin 2006.
317 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3896265598

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