Wenn Kinder da sind, sind die Mütter die Blöden

Streifzüge durch Frauenbewegungen und Feminismen des 20. Jahrhunderts

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht immer wird zwischen Feminismus und Frauenbewegung differenziert. Doch gibt es eine Reihe leicht benennbarer Unterschiede - ganz abgesehen davon, dass von beiden eigentlich im Plural zu sprechen wäre. Immerhin einige dieser Unterschiede werden von den Soziologinnen Myra Marx Ferree und Carol MacClurg Mueller in einem Aufsatz zum Gendering der Theorie sozialer Bewegungen benannt. Zwar seien alle Frauenbewegungen in "gendered structures" verwurzelt und besäßen zumindest potentielle Bezüge zum Feminismus, doch handele es sich bei letzterem um "a goal and set of beliefs", während Frauenbewegungen "a constituency and organizational strategie" seien, die gegebenenfalls sogar antifeministische Ziele verfolgen könnten. Wenn man davon absieht, dass sich Feminismus weniger durch Glaubenssätze als durch wissenschaftliche Theorien und Methoden auszeichnet - die Autorinnen selbst sprechen an anderer Stelle zutreffender von "feminist theory, beliefs and practices" -, so lässt sich das durchaus unterschreiben. Ein weiteres mögliches Unterscheidungsmerkmal wäre, dass sowohl Frauen als auch Männer FeministInnen sein können. Hingegen handelt es sich bei Frauenbewegungen, wie der Name schon sagt, um Bewegungen nicht nur für, sondern auch von Frauen.

Nachzulesen ist Marx Ferrees und MacClurg Muellers insgesamt instruktiver Aufsatz in einem Sammelband, der etliche Frauenbewegungen und Feminismen des 20. Jahrhunderts vorstellt und erörtert. Anja Weckwert und Ulla Wischermann haben ihn unter dem Titel "Das Jahrhundert des Feminismus" herausgeben. Im Zentrum des ersten Teils stehen Frauenbewegungen aus verschiedenen Ländern und aus unterschiedlichen politischen Zusammenhängen. Im zweiten werden die durch Frauenrechtlerinnen und Feministinnen initiierten Institutionalisierungsprozesse in den Wissenschaften, aber auch in Politik und Gesetzgebung thematisiert, die Entwicklungen und Fortschritte der Frauen- und Geschlechterforschung und aktuelle Forschungen der Gender Studies vorgestellt sowie aktuelle Kontroversen ausgetragen. Wie die Herausgeberinnen betonen, zieht sich als roter Faden die Frage nach dem "Verhältnis von Konjunkturen und Flauten" von Frauenbewegungen und danach, wie sie "über verschiedene Zeiten und Orte hinweg ein gewisses Maß an Kontinuität erreichen können", durch sämtliche Beiträge des Bands.

Überwiegend werden Frauenbewegungen europäischer Länder wie Russland (Martina Ritter), Polen (Bozena Choluj) und Italien (Angiolina Arru) beleuchtet, wobei auch die ost- und die westdeutsche Frauenbewegung (Ingrid Miethe und Elke Schüller) nicht fehlen dürfen. Nur ein Beitrag gilt hingegen einem Land des sogenannten Trikonts. Sonja Wölte, deren Beitrag der Bedeutung "internationaler FrauenMenschenrechte" für die kenianische Frauenbewegung gilt, hat ihn verfasst.

Ähnlich wie Wölte stellen auch andere Autorinnen Eigenheiten von Frauenbewegungen einzelner Länder mit internationalen Aspekten zusammen oder heben das internationale Moment der jeweiligen Frauenbewegungen hervor. So untersucht Mineke Bosch "[r]epresentations of peasant women in the spectacle of international suffragete feminism" ausdrücklich aus niederländischer Perspektive und Solveig Bergman fragt länderübergreifend, ob es einen spezifisch 'nordischen Feminismus' beziehungsweise eine solche Frauen- und Geschlechterforschung gibt.

Anders nähert sich Isabell Lorey dem Thema. Im eher theoretisch orientierten zweiten Teil des Buchs stellt sie das "Primat der Kategorie Geschlecht" infrage. Kathleen Dow Magnus wiederum unternimmt es, "Freiheit in der Terminologie von Selbstbestimmung zu formulieren", ohne in "patriarchalische Fallgruben" zu "stolpern". Mit diesen sind nicht zuletzt Vorstellungen eines autonomen Subjekts gemeint. In dem knappen Rahmen, den der Umfang eines Aufsatzes zu bieten vermag, stellt Dow Magnus "einige Vorschläge zu einer möglichen feministischen Theorie von Freiheit" zu Diskussion und entwirft einen durchaus interessanten Freiheitsbegriff, dem gemäß im Anschluss an Nancy Hirschmanns Buch "The Subject of Liberty" ein Begriff des Selbst zu entwickeln sei, der dieses sowohl "als 'relational' und sozial situiert" wie auch "als selbstgewiss und selbstbestimmt" denkt. Diese beiden Aspekte des Selbst widersprächen einander nicht, sondern seien als seine "interaktive Dimension" zu fassen, mit der wiederum ein "interaktiver Freiheitsbegriff" korrespondiere.

Eine von Gisela Brackert moderierte Diskussionsrunde mit Regina Becker-Schmidt, Karin Hausen, Jutta Limbach, Myra Marx Ferree, Rosemarive Nave-Herz und Heide Schlüpmann beschließt den Band. Hier wird den Diskutantinnen Raum geboten, einige persönliche und politische Rückblicke auf das "Jahrhundert der Frauen" werfen. Und eine von ihnen trifft die vielleicht wichtigste Feststellung des gesamten Bands, indem sie an eine Wahrheit erinnert, die auszusprechen zur Zeit wieder einmal besonders dringlich ist. Karin Hausen beschwört ihre Geschlechtsgenossinnen geradezu, "dem Lamento, dass weibliche Körper nicht mehr unentwegt Babies produzieren, nicht aufzusitzen. Frauen, die Kinder gebären, trifft es hart. Ihnen kann man nur sagen: 'Wenn Kinder da sind, seid ihr die Blöden! Seid schlau und verweigert euch, denn ihr habt das Nachsehen!'"


Titelbild

Anja Weckwert / Ulla Wischermann (Hg.): Das Jahrhundert des Feminismus. Streifzüge durch nationale und internationale Bewegungen und Theorien.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2006.
297 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3897412012

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch