Der Streit um Heine war auch ein Bilderstreit

Ein Bildband über den Dichter Heinrich Heine

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Habent sua fata libelli"- Bücher haben ihre Schicksale, lautet ein lateinischer Spruch. Das Gleiche gilt für Bilder, ganz besonders für Porträts, die Heinrich Heine darstellen. Solche Bilder haben so manchen Besitzer in der Nazizeit mit ins Exil begleitet. Bei anderen Heine-Bild-Besitzern konnte zwar das Bild gerettet werden, sie selbst aber kamen in einem Konzentrationslager ums Leben. Der Blick auf die Überlieferungsgeschichten der Heine-Bilder öffnet überdies einen ganz besonderen Bereich der Heine-Rezeption, nämlich auf den der individuellen, privaten Verehrung des Dichters durch Einzelpersonen oder Freundeskreise.

Ob die Bilder, die es von Heine gibt, geschönt oder ihm ähnlich sind, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Heine selbst hätte sie wohl manchmal gerne schöner und gefälliger gehabt. Gestand er doch einmal Théophile Gautier, "die Porträts, die mir ähneln, gefallen mir nicht, ich möchte schön gemalt werden wie die hübschen Frauen." Von einer Ausnahme abgesehen, entstanden fast alle, als er bereits ein berühmter Schriftsteller war. Sie sind nicht nur biografische Dokumente, die Eindrücke von seinem Aussehen aus verschiedenen Lebensphasen überliefern, sondern auch wirkungsgeschichtliche Zeugnisse, aus denen ersichtlich wird, was für ein Bild sich die Zeitgenossen von dem Dichter gemacht haben. Außerdem sind die Heine-Bilder durchweg Kunstwerke, in denen sich ästhetische Konventionen und Traditionen ebenso spiegeln wie die Intentionen und indidividuellen Fähigkeiten einzelner Maler.

Diese und ähnliche Aspekte werden in dem von Christian Liedtke herausgegebenen Bild- und Aufsatzband "Heinrich Heine im Porträt. Wie die Künstler seiner Zeit ihn sahen" ausgiebig diskutiert.

Der Band enthält neben den theoretischen Erörterungen vor allem die erste vollständige Sammlung aller bekannten authentischen zeitgenössischen Heine-Porträts. Er informiert über deren Entstehung, Überlieferung, künstlerische und biografische Bedeutung und zeigt, dass Heine viele Gesichter hatte. Nach seinem Tod entstanden noch etliche Fantasieporträts und Nachschöpfungen. Aber keine Bange, versichern uns die Experten, die an dem prächtigen Band mitgewirkt haben. Aus den vorhandenen Bildern könne man, trotz aller Probleme und schwieriger Quellenlage, durchaus gesicherte Erkenntnisse gewinnen, hergebrachte Irrtümer widerlegen und offene Fragen genau benennen.

Verbürgt sind zumindest die wichtigsten Heine-Porträts, die namhafte Künstler wie Gottlieb Gassen, Isidor Popper, Moritz Daniel Oppenheim, Colla und Franz Kugler schufen und die man nun in ihrer Gesamtheit und Vielseitigkeit hier mühelos betrachten und bewundern kann. Der größte Teil der Bilder, die der Band in seiner "Heine-Galerie" präsentiert, befindet sich übrigens heute im Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut.

Die aus Athen stammende Kunsthistorikerin Ekaterini Kepetzis ordnet in ihrer kunsthistorischen Studie zur Ikonografie der Heine-Darstellungen die frühen Bildnisse bis 1831 unter dem Titel "Der genialische Dichter" ein.

Einer der ersten, der Heine zwischen 1820 und 1825 malte, in Öl auf Elfenbein, mit feinen Locken, war Colla. Ludwig Emil Grimm, der jüngere Bruder von Jacob und Wilhelm Grimm, zeichnete Heine, als dieser im November 1827 seine Reise von Hamburg nach München in Kassel unterbrach und die älteren Brüder des Malers besuchte. Unter Ludwig Ernst Grimms 1827 entstandene Radierung schrieb Heine eigenhändig sein Gedicht "Verdroßnen Sinn im kalten Herzen hegend".

Moritz Daniel Oppenheim wiederum hatte Heine Anfang 1831 in Frankfurt gemalt, als er dort auf seiner Reise nach Paris Station machte. Da Heine sich selbst, so wie Oppenheim ihn gemalt hat, überaus gefiel, ernannte er den Maler zum bevorzugten "Copisten meines Gesichts". Von Oppenheim ist übrigens Heines Bonmot überliefert: "Es komme ihm schwerer, sich einen Zahn ausziehen zu lassen, als seine Religion zu wechseln."

Gottlieb Gassen malte ihn mehrfach und prägte unser Bild vom Dichter. Eines seiner Kunstwerke erschien in der "Gartenlaube". Kaiserin Elisabeth, "deren schwärmerische Verehrung für Heine bekannt war", hätte das Original gern für sich erworben, musste sich aber dann doch mit einer Kopie zufrieden geben.

Auf Franz Kuglers Porträt sitzt Heine, in modischem Frack mit angedeuteten Puffärmeln, auf einem Stuhl und hat den Kopf auf die Rechte gestützt, der Blick geht nach links aus dem Bild, ein Blickkontakt mit dem Betrachter wird vermieden. Unter diese Bleistiftzeichnung kritzelte der Dichter: "So sah ich aus, heute Morgen, den 6ten April 1829 H. Heine."

Die Porträts der mittleren Jahre tragen die Bezeichnung "Der arrivierte Bürger". Das erste Heine-Bild, das in dieser Zeit geschaffen wurde, war freilich kein Gemälde, sondern eine eindrucksvolle bronzene Reliefplastik. Auffallend ist, dass Heine in seinen ersten Pariser Jahren fast ausschließlich von deutschen Paris-Besuchern porträtiert wurde. Wahrscheinlich genoss er unter jungen deutschen Künstlern schon zu jener Zeit einen "Kultstatus". Bedauern mag man, merkt Ekaterini Kepetzis an, dass weder Delacroix noch Ingres den Dichter porträtiert haben. Vielleicht spielten abweichende politische Überzeugungen dabei eine Rolle. Denn beide Maler gehörten in diesen Jahren zum konservativen Lager und führten Aufträge für die Julimonarchie aus. In den 1830er-Jahren war Heines Gesicht zum Politikum geworden und konnte genauso provozieren wie seine Werke. Der Streit um Heine war mithin auch ein Bilderstreit.

Zwischendurch kommen die Künstler in Briefen und Erinnerungen zu Wort ebenso wie der Dichter selbst, seine Freunde, Gegner und Weggefährten, zum Beispiel der Schriftsteller und Verlagskollege Ludolf Wienbarg, Moritz Daniel Oppenheim, Heines Verleger Julius Campe, Ludwig Börne, Théophile Gautier, Franz Grillparzer und die berühmte Salon-Gastgeberin Caroline Jaubert, die bis zu Heines Tod seine enge Freundin blieb. Ihr gab er sein Alter mit dem Satz an: "Ich bin der erste Mann meines Jahrhunderts."

Von Johann Baptist Rousseau, einem Kommilitonen Heines, erfahren wir: "..so oft er einen Witz reißt, lacht er laut auf, dann wird seine Physiognomie, die sonst nichts auffallend Orientalisches hat, ganz jüdisch, und die ohnedies kleinen Augen verschwinden beinah."

Carl Wilhelm Wesermann, der Heine von der Berliner Studienzeit her kannte, befand, "...seine Gesichtszüge waren regelmäßig und zeugten fast gar nichts von seiner israelischen Abkunft, er hatte etwas bleichen Teint, keinen Bart und war ganz nach der Mode gekleidet."

Sein Freund Heinrich Laube schrieb über ihn: "Sein Auge war nicht groß, aber sehr fein. Es schloss sich auch noch zur Hälfte, wenn sein Antlitz in Bewegung geriet. Trotzdem war es sehr beredt, und besonders für alles Schalkhafte und Schlimme äußerst hilfreich. Ebenso sein Mund, welcher die abwechselnden Stimmungen treulich begleitete." Auch Rahel Varnhagen erweist sich als gute und feinsinnige Beobachterin. "Er ist so zerstört von des Vaters Tod" teilt sie Karl August Varnhagen von Ense am 11.März 1829 mit. Die in August Friedrich Pechts Erinnerungen enthaltenen Schilderungen sind dagegen eine befremdliche Mischung aus Bewunderung, Unterwürfigkeit und antisemitischem Ressentiment.

Friedrich Hebbel, der Heine bei einem Paris-Besuch kennen gelernt hatte, berichtet Elise Lensing, dass Heine auf ihn einen unerwartet günstigen Eindruck gemacht habe. "Etwas angeründet, aber keineswegs dick."

Franz Grillparzer vertraut seinem Tagebuch vom 23. April 1836 an: "Hatte endlich die Wohnung Heines erfragt, gieng heute zwölf Uhr zu ihm, cité Bergère Nr. 3. Als ich schellte, öffnete mir ein hübscher, runder junger Mann im Schlafrock, der mir wie einem alten Bekannten die Hand reichte. Es war Heine. Er selbst sieht aber auch wie die Lebenslust und, mit seinem breiten Nacken, wie die Lebenskraft aus. Machte mir einen sehr angenehmen Eindruck, denn mir ist der Leichtsinn nur da zuwider, wo er die Ausübung dessen, was man soll, hindert."

Marc Charles Gabriel Gleyre hat Heine 1851 im Krankenbett gemalt, sitzend mit geschlossenen Augen, den Kopf auf die linke Hand gestützt. Heine deutete das Bild als christomorph und stellte es damit in den Zusammenhang von Märtyrerdarstellungen. "Ausgemergelt und mit gebeugtem Haupt wie ein Christus von Moralès, hat die Empfindsamkeit der guten Leute bereits zu sehr zu meinen Gunsten erweicht" schrieb er im April 1852 an Théophile Gautier.

Ganz fern gerückt erscheint am Ende Heines Totenmaske. Sind wir hier wirklich bei seinem wahren Antlitz angelangt, wie Joseph A. Kruse behauptet? Vielleicht halten wir uns doch lieber an Bilder vom lebendigen Heine. Nicht von ungefähr hatte der Dichter einst gemeint: "Solche Masken verleiden uns die Erinnerung an unsere Lieben."

Der Band, sorgfältig gestaltet, ist eine wahre Augenweide und eine große Kostbarkeit. Seine Bilder ergänzen Heines Werke vortrefflich.


Titelbild

Heinrich Heine im Porträt. Wie die Künstler seiner Zeit ihn sahen.
Herausgegeben von Christian Liedtke.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006.
160 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3455095135

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