Ökologie und Literaturwissenschaft

Zu einem Sammelband von Catrin Gersdorf und Sylvia Mayer

Von Jürgen EgyptienRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Egyptien

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der anzuzeigende Sammelband ist aus einer im März 2004 in Münster abgehaltenen Tagung zum Thema "Natur, Kultur, Umwelt: Ecocriticism - eine Standortbestimmung" hervorgegangen und bietet neben einer ausführlichen Einleitung der beiden Herausgeberinnen dreizehn Beiträge, von denen fünf eher kulturtheoretisch und acht eher werkbezogen orientiert sind. Die Beiträger sind vorwiegend Germanist(inn)en, die Herausgeber Amerikanistinnen. Sie sehen die Funktion einer ökologisch orientierten Literaturwissenschaft darin, "gesellschaftliche Bedingungen und Wirkungen literarischer Inszenierungen des Natur-Kultur-Verhältnisses offenzulegen." Als wesentliche Wegmarken für die Herausbildung einer solchen Perspektive betrachten sie Gregory Batesons "Steps to an Ecology of Mind" (1972), Gernot Böhmes Plädoyer "Für eine ökologische Naturästhetik" (1988) und - als fundierenden literaturwissenschaftlichen Text - die Studie "Literatur als kulturelle Ökologie" (2002) des Amerikanisten Hubert Zapf.

Zapfs These von der kulturellen Funktion der Literatur, die die disparaten Elemente, die diskursgeschichtlich durch ihre Subsumtion unter Bereiche wie Politik, Recht oder Wissenschaft getrennt worden sind, in ihren fiktionalen eigenständigen Raum reintegriert, bildet in vielen Aufsätzen den theoretischen Bezugsrahmen. Die methodologischen Aufsätze des ersten Teils versuchen den Natur- und Ökologiebegriff neu zu fassen und bringen dabei poststrukturalistische und wissenssoziologische Modelle ins Spiel. Johannes Dinglers poststrukturalistische Neukonstitution des Naturbegriffs, die "Natur als ein Produkt von Macht-Wissen" versteht und die Objektrolle der Natur hinter sich lassen will, mündet in den Entwurf eines 'Parlaments der Dinge' (B. Latour). Gegenüber solchen eher fantastischen Ideen öffnet Gesine L. Schiewer mit dem Rekurs auf die Ökopsychologie Willy Hellpachs und Karl Mannheims Wissenssoziologie eine produktive methodologische Ergänzung, in der auf die nötige Selbstreflexivität im interkulturellen Dialog verwiesen wird, welcher als Modell für die Kultur-Natur-Beziehung dienen soll.

Wenn man die theoretischen Beiträge überblickt, stellt sich ein gewisses Unbehagen an der Diffusität des Gegenstands und einer Beliebigkeit des Themas ein. Das liegt möglicherweise weniger an der schwierigen Fassbarkeit einer ökologisch orientierten Literaturwissenschaft als an dem recht amorphen Begriff der Kulturwissenschaft. Wenn die Herausgeberinnen schreiben, dass eine "ökologisch-kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft" ihre Funktion "im Kontext des Batesonschen Theorems von der existentiellen Interdependenz zwischen Geist und Materie, Kultur und Natur, Gesellschaft und nicht-gesellschaftlicher Umwelt" bestimmen müsse, drängt sich die Frage nach der Trennschärfe einer so weit gefassten Funktionsbestimmung auf, die in dieser Formulierung so ziemlich alle literaturwissenschaftlichen Methoden zu erfüllen versuchen.

Eine gewisse Disproportion zwischen theoretischer Anstrengung und erzielter Texterschließung kennzeichnet auch manche der folgenden analytischen Beiträge. Stefan Hofers systemtheoretische Annäherung an Handkes 'ökologische Poetik' konstruiert Kunst als prädisponiertes Medium der "ökologischen Kommunikation", das als Raum der Formenbildung und Einflussnahme "auf körperliche und mentale Befindlichkeiten" gesehen wird. Bei Handke erfolge diese Kommunikation zwischen Natur und Mensch im Rahmen einer "Ästhetik der Achtsamkeit". Was man in Hofers Beitrag als zentrales ästhetisches Verfahren Handkes gänzlich vermisst, wird von Sieglinde Klettenhammer an den ihm gebührenden Platz gesetzt: die Epiphanie. Klettenhammer deutet Handkes epiphane Naturwahrnehmung im Rekurs auf Zapfs Theorie von der Literatur als 'imaginativem Gegendiskurs' als Methode eines 'reintegrativen Interdiskurses', der sich gerade an einem Ort wie der Schwelle vollziehe, wo sich nichts "zwischen das wahrnehmende Subjekt und das wahrgenommene Objekt schieben" kann. In Handkes Natur und Zivilisation versöhnender ökologischer Enklave sieht Klettenhammer allerdings die Gefahr, dass sich sein sinnstiftender Schreibakt in dem "stark kodifizierten Zeicheninventar" seiner selbstgeschaffenen poetischen Welt verfängt oder anders gesagt: Selbstreflexivität umschlägt in Narzissmus.

An dem Beitrag von Anne D. Peiter über Ernst Jünger und Karl Kraus wird die Gefahr deutlich, dass eine methodisch allzu starre Perspektive zu fragwürdigen Textdeutungen führt. Jedenfalls wirkt die Interpretation wilden Pflanzenwuchses auf einem Ödfeld als antizipierte und qua Naturwüchsigkeit legitimierte Okkupation durch die deutsche Reichswehr etwas forciert. Ähnlich gewaltsam erscheint die Applikation von Judith Butlers Gender-Theorie auf Annette Kolbs Romane in Isabelle Stauffers Aufsatz. Überzeugender wirken die Versuche von Berbeli Wanning und Andrea Geier, in den Romanen "Pfisters Mühle" von Wilhelm Raabe und "Der Dienst" von Angela Krauß Parallelen zwischen ökologischen und poetologischen Aspekten zu entdecken. Im Falle von Raabes Roman zeichnet Wanning einen Wandel in der Erzählform nach, die von einer medialen, quasi vorindustriellen Darstellungsweise in eine projektive umschlägt, die die auf Grund von Gewässerverschmutzung erfolgte Zerstörung einer Naturidylle als unwiderrufliches Ende der narrativen Verfügbarkeit eines locus amoenus reflektiert. Bei Krauß führt Geier einleuchtend vor, dass die vom Uranabbau ausgelöste ökologische Krise in einem ätiologischen Verhältnis zum Selbstmord des Vaters der Ich-Erzählerin steht. Die einlässlichen Beschreibungen der geologischen Strukturen des Erzgebirges lassen sich als 'Ausgrabungsarbeiten' an der väterlichen Biografie und den in den gesellschaftlichen Tiefenschichten verborgenen Gewaltverhältnissen deuten.

Von den übrigen Beiträgen sei noch derjenige von Wolfgang Wiesmüller über den poetologischen Diskurs über Naturlyrik von 1945 bis zur Wende genannt, der die Entwicklung in der BRD, DDR und in Österreich informativ rekapituliert, sich dabei freilich in geläufigen Bahnen bewegt. Bedauerlich ist die Ausblendung der deutschsprachigen Lyrik der Schweiz, zumal diese doch mit Erika Burkart über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg eine der bedeutendsten naturlyrischen Stimmen besitzt.

Im Blick auf den Sammelband im Ganzen wird man eine unübersehbare Kluft zwischen den kulturtheoretischen und den textanalytischen Beiträgen konstatieren müssen. Die theoretischen Beiträge erschöpfen sich allzu bereitwillig in einem unergiebigen Hin- und Herwälzen voluminöser Begriffe, die textanalytischen scheitern da, wo sie einer ökokritischen Perspektive besondere Treue erweisen wollen, und die gelungenen bedürfen ihrer nicht, indem sie zu ihren Ergebnissen auf dem erprobten Weg einer aufmerksamen hermeneutisch reflektierten Lektüre kommen. In diesem Sinn dokumentiert der Sammelband eher das Dilemma einer nach gesellschaftlicher Legitimität schielenden Literaturwissenschaft, die krampfhaft versucht, aktuelle und nicht selten modische Diskurse in tragfähige Instrumentarien einer literaturwissenschaftlichen Methode zu transformieren.


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Catrin Gersdorf / Sylvia Mayer (Hg.): Natur - Kultur - Text. Beiträge zu Ökologie und Literaturwissenschaft.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2005.
329 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-10: 3825350118

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