Gangland, außen und innen

Zwei Bücher vergleichen Ideal und Wirklichkeit der UNO

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinem Büchlein gibt Gerd Hankel einen groben Überblick über Geschichte und Aufbau der UNO. Er erinnert an die Gründungsgedanken und bereits wenn er die Geschichte nachzeichnet, gerät er in die Problematik, auf die der Untertitel seines Büchleins hinweist: "alles in allem klingt das sehr gut", was man mittels UNO vorhat, aber groß ist "die Kluft zwischen Anspruch und Realität." Die hehren Ziele werden also nicht durchgesetzt.

Hankel beklagt die Unwilligkeit vieler Mitgliedsstaaten, im eigenen Land die Ziele der UNO durchzusetzen. Auch wenn er meint zeigen zu können, dass der "Auftrag der Menschenrechtserklärung ernst genommen" worden sei, so muss er doch erkennen, dass viele sich nicht an die Menschenrechte halten. Auch die neueingesetzte Menschenrechtskomission sei jetzt schon zur "Alibieinrichtung" verkommen, weil das "formale Bekenntnis" schon hinreiche, um aufgenommen zu werden. Auch erwähnt er, dass die UNO ein "bürokratischer Moloch" sei, innerhalb dessen Bereicherung und Korruption weit verbreitet seien, aber das eigentliche Problem der UNO, den gewichtigsten Grund für das Scheitern des Ideals, sieht er in äußeren Gründen. Die UNO sei machtlos. Sie könne Aktivitäten nur "auf dem Gebiet der Konfliktprävention" und hier auch nur "mit den Mitteln des Rechts und des appellativen Bekenntnisses" entfalten. Mangels Durchsetzungsmöglichkeiten seien "ihre einzigen Möglichkeiten [...] Überzeugung oder diplomatischer Druck." Auch wenn sich nach 1989 "der Menschenrechtsdiskurs intensiviert" habe, so sei es nach wie vor so, dass "Machtpolitik" sich gegen "Recht" durchsetze. Protagonist solcher Machtpolitik sind bei Hankel natürlich die USA, gegen die der Autor eine stärkere Rolle Europas einfordert. Und spätestens hier klafft die Lücke nicht einfach zwischen Idee und Wirklichkeit, sondern in der Konzeption der Menschenrechtler. Vom schönen Anspruch geblendet, wird in der schnöden Realität ausgeblendet, dass es ein Völkerrecht im strengen Sinne gar nicht gibt, und dies aus dem einfachen Grund, weil es kein Recht ohne Souverän gibt. Souverän ist, wer über Macht und Zwangsmittel verfügt, das Recht notfalls auch durchzusetzen. Diese gar nicht schmachvolle aber für viele Idealisten weniger glänzende Seite von (Menschen-)Recht wird vom Menschenrechtsdiskurs inzwischen zwar insofern mehr anerkannt, als für die UNO Durchsetzungsfähigkeit eingeklagt wird, aber auch nach wie vor verdrängt, abgespalten und an den USA dingfest gemacht.

Pedro A. Sanjuan hingegen sieht eine Nichtübereinstimmung von Ideal und Wirklichkeit nicht durch widrige Umstände von außen erzwungen, sondern im Inneren der UNO von ihr selbst praktiziert. Nach einer langen abwechslungsreichen Karriere in der US-Regierung wurde er zur UNO beordert. Er berichtet als "Insider", war zehn Jahre lang, von 1983 bis 1993, bei der UNO in New York beschäftigt. Nach seinen Beobachtungen gibt es dort kein Verbrechen, das nicht begangen wird. Sanjuan spart nicht an deutlichen Worten: die UNO sei "eine Spielwiese für Erwachsene mit erschreckenden Verhaltensauffälligkeiten", ein "Narrenkäfig", eine "Ansammlung von modernen Feudaldämonen", "eine schlecht kontrollierte Anarchie", eine "Ansammlung von prätentiösen, nur notdürftig verkappten Gaunern" und "ein bequemer Unterschlupf für eine ausgedehnte Selbstbedienungsmafia."

Nicht nur kam es unter seinen Augen zu der ämterüblichen Korruption, zu persönlicher Vorteilnahme und Bereicherung, - die UN-Garage mit ihren unantastbaren Diplomatenwagen diene außerdem als Drogenumschlagplatz. Der Vorwurf von Faulheit, Schlendrian ("Tempel der Muße"), Geldverschwendung, von unkontrollierbar wuchernden überflüssigen Institutionen, die sich überschneiden, ein Chaos produzieren und den üblichen 'Wasserkopf' ausbilden, zählt zum Gängigen, und auch die Enthüllung, das UNO-Gebäude in New York sei eine "in den USA angesiedelte[.] sowjetische[.] Geheimdienstzentrale" gewesen, interessiert in der Gegenwart kaum noch jemanden.

Anderes bleibt. Interessanter sind Verfehlungen von einigen UNO-Mitarbeitern, vor allem der Umgang mit diesen, werfen sie doch ein Licht auf die Eigenheiten des in der UNO gepflegten Internationalismus. Zwar sei allgemein bekannt, dass es bei der UNO "Brauch" sei, von weiblichen Angestellten "sexuelles Entgegenkommen" zu verlangen, aber da die UNO eine "internationale Bühne" ist, werden Frauenrechte "mit jener gutmütigen Geringschätzung behandelt, die aus der Organisation einen Tummelplatz für Angehörige paternalistischer Gesellschaften macht." Will sagen: einem UNO-Mitarbeiter, der aus Ländern mit noch überwiegend patriarchalischen Strukturen kommt, dem sieht man Sexismus und sexuelle Nötigung nach, weil man die 'kulturellen Differenzen' zu 'respektieren' weiß.

Eine besondere Eigenheit nicht nur vieler ihrer Mitglieder, sondern der UNO überhaupt ist der Antisemitismus. Bereits am ersten Tag seiner Arbeit wurde Sanjuan misstrauisch auf eine etwaige jüdische Abstammung hin befragt; ein Thema, das seine Kollegen noch weiter beschäftigen sollte. Der "offene Antisemitismus" bei der UNO manifestiert sich zum einen in ihrer politischen Praxis, zum anderen in einer bei ihr herrschenden allgemeinen Atmosphäre. Ersteres ist leicht zu zeigen, Sanjuan verweist auf die skandalöse Rassismus-Konferenz im September 2001 in Durban/Südafrika und auf die anti-israelische Propaganda, die über die UNO-Informationszentren ventiliert wird. Zweiteres ist nicht verborgen, aber diffuser. Es reicht von einer inoffiziellen Einstellungspolitik, durch die Amerikaner wenig und Juden/Israelis noch viel weniger eingestellt werden, bis hin zu Bemerkungen "in den Alltagsgesprächen und im zwanglosen Beisammensein."

Ein typisches Beispiel ist, wenn der damalige UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar eine Senatorin auf der Einladungsliste für ein Gespräch ablehnt, weil deren Nachname ihm jüdisch anmutet. Antisemitismus sei, so Sanjuan, "ein integraler Bestandteil des UN-Lebensstils", die dortige "kulturelle Mentalität", "eine verbreitete Geisteshaltung". Judenwitze seien äußerst beliebt, das "UN-Klima [...] mit Antisemitismus geschwängert." Kleinere Aktionen wie die, dass der ehemalige UNO-Generalsekretär (und ehemalige Nazi-Parteigänger) Kurt Waldheim ein Glasfenster mit Chagall-Bild im Eingangsbereich entfernen ließ, oder dass mit Martti Ahtisaari ein UNO-Mitarbeiter, der für seine anti-israelische Haltung bekannt ist, zu einem der Leiter der UNO-Komission gemacht wurde, die ausgerechnet die angeblichen 'Massaker' von Jenin (die dann doch keine waren) untersuchen sollte, sind Feinheiten, für die man einen Insider braucht. Auch dass der Rassist, Antisemit und Schwarzenaktivist Louis Farrakhan von der "Nation of Islam" nach einer Demonstration in der Innenstadt von UNO-Delegierten freudig und offiziell empfangen wird und im UNO-Gebäude eine Ansprache halten darf, dürfte Außenstehenden entgangen sein; ebenso wie die Tatsache, dass die Cafeteria des UNO-Gebäudes als Treffpunkt für bekannte Islamisten diente. Es wundert nicht, dass dieses Buch in Israel ein Bestseller war.

Nun ist die UNO aber eben nicht einfach eine "Enklave, die sich von der Realität weitgehend losgelöst hat", sondern nach dem Ende des Ostblocks zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Machtfaktor geworden. Vorher konnten die USA sie als eine von ihnen "finanzierte Veranstaltung [betrachten], um die Dritte Welt bei Laune zu halten", als einen "Debattierclub". Nun hat sich dies geändert, weil die Mitgliedsstaaten nach und nach gelernt haben, Mehrheiten zu organisieren, internationalen Druck aufzubauen, weltweite Meinungen zu lenken und die UNO - die unbegreiflicherweise immer noch einen guten Ruf hat - als moralisches Gütesiegel vor allem für antisemitische Politik zu benutzen. Die Schuld hierfür gibt Sanjuan den USA, die zusammen mit der UdSSR die UNO jahrzehntelang dysfunktional hielten. Weil sie sie nie ernst nahmen, haben sie nun weder Einfluss noch Kontrolle, und die in die vermeintliche Bedeutungslosigkeit abgeschobene UNO kommt als Bumerang zurück.

Was Sanjuan berichtet, ist unglaublich; so sehr, dass es fast unglaubwürdig wird. Die Stilisierung seiner Person trägt dazu bei: wie eine Mischung aus Joseph Hellers Yossarian und Raymond Chandlers Marlowe hat er immer die Geistesgegenwart und die Traute, kluge, freche und mutige Antworten zu geben und Fragen zu stellen. Neben ihm sind alle anderen unbeholfene Trottel. Kann man ihm glauben? Was er erzählt, ist schwer nachprüfbar, es sind viele persönliche Erlebnisse, Anekdoten und Einzelfälle. Dies ist die Schwäche und die Stärke seines Berichts zugleich. Einzelfälle sagen nichts über die Gesamtsituation aus. Andererseits sind sie Aussagen, von denen er wissen muss, dass er für sie notfalls wird juristisch einstehen können müssen. Dass er dies weiß, kann man ihm zutrauen, und soweit kann man ihm über den Weg trauen.

Dank an Stephan Grigat (Wien & Tel Aviv) für Hinweise.


Titelbild

Pedro A. Sanjuan: Die UN-Gang. Über Korruption, Spionage, Antisemitismus, Inkompetenz und islamischen Extremismus in der Zentrale der Vereinten Nationen. Erfahrungsbericht eines Insiders.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Laugstien.
zu Klampen Verlag, Springe 2006.
207 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3934920926

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Gerd Hankel: Die UNO. Idee und Wirklichkeit.
Hamburger Edition, Hamburg 2006.
126 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3936096643

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