Der Glücksmörder

Henning Mankells Krimi "Mittsommermord"

Von Verena AuffermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Verena Auffermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Henning Mankell ist der gute Mensch, der die Geschichten böser Menschen erzählt. Sein Medium ist der Zweifler Wallander. Und das ist Henning Mankells Trick. Kommissar Wallander protzt nicht, gibt nicht den Bizepsmann sondern zottelt, von seiner Frau verlassen, melancholisch und arbeitsbesessen durch sein Leben. Wallander ist sterblich, obwohl er nach dem Gesetz der Krimiserie überlebt. Wallander ist ein übergewichtiges Durchschnittswrack, sein Herz ist angegriffen, er ist permanent übermüdet, trinkt Wasser wie ein Pferd, muß ständig pinkeln, ernährt sich falsch und hat Angst. Angst davor, dass das Leben mit fünfzig fast vorbei ist und der "Abpfiff" jeden Augenblick bevorsteht.

Henning Mankell schleppt diesen knapp fünfzigjährigen diabetes- und herzinfarktgefährdeten Kommissar schon seit neun Büchern mit sich herum und verdient mit ihm ein Vermögen, denn Wallander macht Bestseller. Wallander ist Henning Mankells Mrs. Marple. Doch dieser schwedische Kommissar ist weder komisch noch skurril, sondern mit seinen vielen Fehlern, seinen einfachen Fragen, seinem unspektakulären Draufgängertum, so sympathisch, dass man mit ihm durch dick und dünn gehen will, 600 Seiten und der Rest der Welt bleibt anderswo.

Henning Mankell ist ein verführerischer Erzähler. Nie reißerisch brutal oder schadenfroh ordinär. Ein grüblerischer anständiger Kerl erzählt Geschichten von Serienmördern. Mankell erzählt ausführlich und dramaturgisch geschickt. Manchmal gibt er uns die Chance, klüger als Kommissar Wallander zu sein, heizt den Detektivblick und die Aufmerksamkeit an, um uns an der nächsten Ecke abblitzen zu lassen.

Ein schwedischer Schriftsteller im Dunstkreis "Fräulein Julies", kann kein prominenteres Datum finden. Ein Mann ermordet in der Mittsommernacht in einem Naturreservat drei junge Leute, verkleidet in Kostüme aus der Zeit des lebenshungrigen Rokokodichters Carl Michael Bellman. Niemand macht ihr plötzliches Verschwinden besondere Sorgen, denn die jungen Leute schicken Postkarten aus europäischen Hauptstädten nach Hause. Nur Astrids Mutter ist beunruhigt, aber beunruhigte Mütter sind kein Fall für die Kripo. Als man den Kollegen Svedberg erschossen in seiner durchwühlten Wohnung findet und Spaziergänger die Leichen der verkleideten Jugendlichen entdecken, ist Kommissar Wallanders Ruhe vorbei.

Henning Mankell, der zweiundfünfzigjährige Schriftsteller mit dem traurigen Blick, hat ein Sendungsbewusstsein. Er schreibt, sagt er, Krimis, um die Gesellschaft zu zeigen. Die Eltern, die keine Beziehung zu ihren Kindern haben, die Städte, auch wenn sie, wie Mankells Kulisse, das Seebad Ystad, Kleinstädte sind, in denen die Menschen aneinander vorbei leben, wie die Kollegen, die tagtäglich zwölf Stunden zusammen sind und doch keine Ahnung voneinander haben. Einmal trifft Wallander unterwegs eine Frau, sie macht ihm im Rasthaus, obwohl schon alles geschlossen ist, etwas zu essen und ein Zimmer mit einem Notbett zurecht. So viel Menschlichkeit, sagt er sich versonnen.

Und dann macht Henning Mankell doch einen Fehler. Nicht in der grausamen Mordgeschichte, nicht in der Choreographie der bis zum letzten Kapitel ansteigenden Spannungskurve, nicht im Zweikampf, den Wallander besteht, aber im Epilog. Da reicht der um sein Land besorgte Schriftsteller Mankell, der die meiste Zeit des Jahres als Theaterregisseur in Mosambiques Hauptstadt Maputo lebt, ein rührendes Psychogramm des Mörders nach. Der Mörder, das geschundene und zurückgesetzte Kind, "das nie etwas anderes gelernt hatte als die Kunst, sich zu verstecken und zu entkommen". Der Mörder ist ein Mensch, der keine glücklichen Menschen erträgt, weil er selbst nie glücklich gewesen ist. "Immer mehr Menschen", prognostiziert Wallander "die nicht gebraucht wurden, würden zu einer unwürdigen Existenz in erbarmungslosen Randzonen verurteilt sein". Wallanders Sorge gilt der schwedischen Gesellschaft, die Gefahr läuft "ganz und gar" auseinanderzubrechen. Dann fährt der Kommissar an die Schären, klettert auf eine Felshöhe, sieht das Meer und denkt: "Polizist zu sein bedeutet eigentlich nur eins. Widerstand zu leisten."

Der vorbildliche Mankell, erschreibt sich einen vorbildlichen Kommissar und ein gutes Gewissen. Auch ein Bestsellerautor hat Schwächen, seine Allwetterpredigten muß man nachsichtig verzeihen. Denn Henning Mankell ist ein ungewöhnlich sicherer, ruhiger Erzähler und ein präzise arbeitender Konstrukteur des bildhaften Grauens. Es kann passieren, dass man während des "Mittsommermords" Frau, Mann, Kind, Büro, Hund, Katze, Vogel und sogar das Telefon vergisst.

Titelbild

Henning Mankell: Mittsommermord. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000.
604 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3552049622

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch