Glück in der Liebe?

Yael Hedaya erzählt von einer Affäre und einer Ehe

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es beginnt ganz normal: Tragisch; komisch: "Am fünften Mai 1990, einem wunderbaren Frühlingstag, wurde ein Mann bei uns vorstellig, dessen Frau klagte, er leide unter Kopfschmerzen." Ein Ehepaar geht also zum Arzt - die Frau beschreibt, welche Symptome er hat. "Wir ließen sie die Symptome beschreiben, die sie mit Metaphern voller Leid und Phantasie anreicherte", und sie lehnte sich vor und sagte flüsternd: ",Mein Mann ist nicht mehr der Mann, der er einmal war', als ob ihr Mann nicht mit im Raum wäre". Sie sagt, nach einer schweren Grippe habe es angefangen, die Ärztin schreibt "Grippe" auf, sie betont: "schwere Grippe", also wird "schwere Grippe" aufgeschrieben. Als sie sagt, er winde sich in Schmerzen, sagt er, er windet sich nicht: "Es tut mir ein bisschen weh, aber ich winde mich nicht." Und wieso sind sie dann beim Arzt? "Weil du herkommen wolltest", erwidert er.

Matti und Mira Rosen sind schon ein paar Jahre lang ein Ehepaar, und von außen, von ganz weit außen sieht alles ganz in Ordnung aus. Aber es ist gar nichts in Ordnung. Er hat einen Hirntumor, der nicht zu operieren ist, und ob Bestrahlungen helfen, weiß man ja nie genau. Die meisten sterben. Und auch die Ehe ist eigentlich seit ihrem Anfang inoperabel zerstört: "In der Anfangszeit vergingen oft ganze Tage, ohne dass wir ein Wort miteinander wechselten, bis dann Uri geboren wurde, und uns einen zwar nicht spannenden, aber immerhin uns beide betreffenden Gesprächsstoff lieferte."

Es steht nämlich eine Frau zwischen den beiden Eheleuten. Vor zehn Jahren hat Matti ein junges Mädchen kennengelernt: Alona. Sie war fünfzehn Jahre alt, sie haben sich in einem Café getroffen, ganz zufällig, und sind sofort zu ihm gefahren und haben miteinander geschlafen. Ein Jahr lang waren sie ein Paar, bis sie sich von ihm trennte. Aber weder sie noch er können den anderen vergessen, und Mira ist nicht in der Lage, daran etwas zu ändern. Jetzt verfällt er immer mehr, körperlich und geistig. Er verliert sein Gedächtnis, er beginnt, sich einzunässen, er wird ein Pflegefall, schließlich muss er ins Krankenhaus, wo er bald sterben wird.

Die Geschichte dieses Mannes wird aus drei Perspektiven beschrieben. Neben dem Arzt oder der Ärztin, die nur kurz zu Wort kommen und über die Krankengeschichte Auskunft geben, erzählt vor allem seine Ehefrau, wie sie ihn kennengelernt hat, wie es eigentlich von Anfang an nicht so recht klappte, er sturzbesoffen und zwei Stunden zu spät zu einem Rendezvous kam und sich erst einmal übergeben musste: "Ich saß auf dem Sofa und hörte zu, wie er sich die Seele aus dem Leib kotzte." Und obwohl er für sie "ein fremder Mann, der meine Telefonnummer bekommen und mich ohne große Lust angerufen hatte", war, und obwohl sie wusste, dass er die Trennung von dem jungen Mädchen nicht verarbeitet hatte, wurden sie ein Paar. Aber selbst bei der Wohnungseinweihung musste sie sich gestehen: "Und ich konnte ihnen nicht erklären, dass Alona noch immer nicht der Vergangenheit angehörte, [...] noch nicht so bald zum Gegenstand eines banalen Küchengesprächs [...] werden könne. Ich sah sie in Mattis Augen, [...] ich spürte ihre Atemzüge in seinem Schweigen, das er den ganzen Abend über wahrte [...]." Eine traurige, kommunikationslose, Nebeneinanderher-Ehe.

Die dritte Perspektive ist die von Alona, die von der kurzen Liebesbeziehung erzählt, von ihrer Verblüffung, von seiner Ausfragerei, ob es auch gut gewesen ist, ob sie schon einmal mit einem Jungen geschlafen und ob er ihr auch nicht weh getan habe. Sie erzählt von dem einen Mal, als sie ihn nach der Trennung zufällig an einer Tankstelle gesehen hat, mit seiner Frau, von ihrer ersten ganzen Nacht, als sie ihre Mutter anlügen musste, die es dann doch ahnte, und schließlich wusste es die ganze Kleinstadt. Auch, als sie nach zehn Jahren wieder zurückkehrte, erzählten ihr alle von der Krankheit ihres früheren Geliebten. Natürlich geht sie ins Hospiz, um ihn noch einmal zu treffen, um Abschied zu nehmen: "Wenn er stirbt [...] wird er auch einen Teil von mir mitnehmen. Die unzensierte Version, die wie der verlorengegangene Entwurf einer schwierig gewordenen Kurzgeschichte ist - ein ganzer Koffer alter Sachen, den jemand in Liebe all diese Jahre für dich aufbewahrt hat und den er dir jetzt nicht mehr zurückgeben will." Sie hat nicht den Mut, ihm zu begegnen. Und dann trifft sie auf dem Gang seine Frau.

In einer langen Passage, in dem beide Frauen erzählen, wie sie gedacht und geredet haben - Alona kursiv, Mira in Normalschrift - und ihre Sichtweisen aufeinanderprallen lassen, kommt es zum Finale. Lange kreisen sie ängstlich umeinander herum, wissen nicht, wie sie miteinander reden können, sind unsicher. Schließlich war es nicht fair, dass Mira "all diese Jahre mit ihm gelebt hat, und sie (war) diejenige, die die gesamte Liebe bekommen hat", wie Mira einmal feststellt.

Schließlich trösten sie sich gegenseitig, überlegen beide, ob sie nicht auch nach seinem Tod in Verbindung bleiben können. Und am Schluss gibt Mira ihr das silberne Zippo-Feuerzeug, das Alona ihm einmal geschenkt hat, mit dem er immer wieder gespielt hat, das ihn immer an seine wahre Geliebte erinnert hat.

Der Roman endet mit dieser Situation, völlig offen. Was ist passiert? Yael Hedaya lässt es klug in der Schwebe. Sie beantwortet erst recht nicht, was denn die "Sache mit dem Glück" ist. War es für Mira die lange Ehe mit dem schwierigen Mann? Und für Alona? Die kurze Beziehung oder danach die lange Flucht quer durch die ganze Welt. Glück ist, um mit Bob Dylan zu sprechen, bei Yael Hedaya auch nur "a four-letter word", eine ganz unbestimmte und unbestimmbare Sache, nicht auszuloten, nicht einmal richtig zu beschreiben.

Die israelische Schriftstellerin schreibt dabei in einer ganz einfachen Sprache, sachlich und direkt, mit der sie für die Alltäglichkeit der Beziehungen angemessen schnörkellos bleibt. Es sind ganz normale Geschichten, Beziehungshöllen und Liebesparadiese, die nur einen winzigen Schritt voneinander entfernt sind. Psychologisch sehr eindringlich beschreibt Hedaya dieses Dreierspiel, das sich nur mit dem Tod des Mannes auflösen kann, zögerlich und doch sehr zweifelhaft. Ganz direkt erzählt Hedaya die Geschichten, nur eben mit dem Trick, dass sich die Perspektiven überschneiden und am Schluss sogar inhaltlich aufheben, sich gegenseitig stören, bis man nicht mehr weiß, was man glauben soll. Nur eines weiß man sicher: Glücklich kann der Mann nicht gewesen sein. Und so scheint auch der frühe Tod eher eine Art Selbstmord gewesen zu sein.

Etwas parabelhaft kommt der Roman deswegen beim Leser schon an, obwohl sie den moralischen Zeigefinger sehr schlau vermeidet: Sie erzählt nur die Geschichten in ihrer Geschichte, erzählt von den Zusammenstößen und dem Aufeinanderprallen, von der Suche nach Glück und dem ständigen Verfehlen. Was fehlt den Menschen? Wahrscheinlich der Mut zu sich selbst. Matti heiratet nur, um die Erinnerung an seine große Liebe loszuwerden, Mira, damit sie einen Mann bekommt. Und Alona flieht auch noch am Schluss vor der Auseinandersetzung mit ihrem ersten Liebhaber. Und so können alle nur einsam bleiben.


Titelbild

Yael Hedaya: Die Sache mit dem Glück. Erzählung.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Ruth Melcer.
Diogenes Verlag, Zürich 2006.
160 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3257065477

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