Sendung am 2. März 2001
Gast: Elke Schmitter
Besprochene Bücher:
(mit Notizen zur Diskussion)
Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen
1914-1933.
Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2000.
DM 39,80 /EUR 20,34
ISBN 3421054096
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Tendenz der Kritik: einhellig positiv. - Antworten auf
die Frage nach den Gründen des Erfolgs (bisherige Auflage ca. 200
000!): Zeitgeschichte von 1914 bis 1933 aus der Perspektive eines Heranwachsenden
erzählt (Radisch); man kann sich beim Lesen unbelastet belehren lassen,
weil Haffner nicht Opfer des NS-Regimes wurde (Schmitter); klarer, allgemein
verständlicher Stil kombiniert mit hoher Intelligenz (Reich-Ranicki);
für die Werbeabteilung der DVA: "...gehört zu den besten
Büchern, die ich in den letzten fünf, sieben Jahren gelesen
habe." (R.-R.)
Tim Parks: Schicksal.
Antje Kunstmann Verlag, München 2001.
DM 39,80 / EUR 20,34
ISBN 3888972574
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Tendenz der Kritik: mit Einschränkungen positiv.
- Nach fulminanter Eröffnung oft langatmig, mit vielen Wiederholungen
auf der Stelle tretend (Radisch); dennoch partiell witzig und unterhaltsam,
obwohl die eher traurige Geschichte eines Intellektuellen erzählt
wird, dessen ständige Denkprozesse nicht in die Substanz seiner Beziehungsprobleme
einzudringen vermögen (Schmitter); glänzende Beobachtungen,
klare Sprache, intelligente Reflexionen (Reich-Ranicki).
Peter Härtling: Hoffmann oder Die vielfältige Liebe. Eine
Romanze.
Kiepenheuer u. Witsch, Köln 2000.
DM 38,00 / EUR 19,42
ISBN 3462029703
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Tendenz der Kritik: reserviert. - Die Geschichte der Bamberger
Liebe E.T.A. Hoffmanns zu seiner Gesangsschülerin, einer "fränkischen
Lolita", reduziert die geniale und faszinierende Person Hoffmann
auf ein "putziges Männlein"; die historischen Kontexte
und ihre Spannungen bleiben ausgeblendet (Karasek); die vertrauliche Nähe,
die der Erzähler zu seinem Protagonisten herzustellen versucht, schließt
die Lesenden aus (Radisch); leichte Tendenz zum Kitsch.
Haruki Murakami: Naokos Lächeln. Nur eine Liebesgeschichte.
DuMont, Köln 2001.
DM 46,00 / EUR 23,51
ISBN 3770156099
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Tendenz der Kritik: gemischt. - Murakami, einer der erfolgreichsten
Autoren Japans, trifft die mentale und intellektuelle Situation Japans
um 1968; "abstrakte Prosa" (Karasek), die Sexualität ganz
unromantisch als "Verrichtung" schildert; ein Pubertätsroman
mit infantiler Tendenz (Radisch) über Sinnleere und Todessehnsucht,
doch "nicht langweilig" (Reich-Ranicki).
Adolf Muschg: Sutters Glück. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt
am Main 2001.
DM 39,80 / EUR 20,34
ISBN 3518412140
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Tendenz: kollektiver Verriss, mit vorsichtigen Rettungsversuchen
(Schmitter). - "Unerträgliche" (R.-R.) Überfrachtung
des mit zahllosen literarischen Anspielungen arbeitenden Romans durch
Bildung.
Insgesamt: Selten spielte das Quartett so harmonisch
zusammen.
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Sendung am 4. Mai 2001
Gast: Antje Kunstmann
Besprochene Bücher:
(mit Notizen zur Diskussion)
Milan Kundera: Die Unwissenheit.
Aus dem Französischen von Uli Aumüller.
Carl Hanser Verlag, München 2001.
184 Seiten, 35 DM.
ISBN 3446199772
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Tendenz der Kritik: ziemlich einhellig positiv. - Kunstmann
schweigt allerdings (noch mehr als sonst) , Radisch (in dieser Sendung,
wenige Tage vorher erneut Mutter geworden, sichtlich angeschlagen, doch
in ihrem Temperament nicht zu bremsen) hat Vorbehalte gegenüber allzu
didaktischen und erklärenden Elementen dieses essayistischen Romans.
Reich-Ranicki (in sehr guter Form) lobt ihn als Alterswerk von souveräner
Eigenwilligkeit. Die Erfahrung, wie die Heimat (Prag) dem Heimkehrer zur
Fremde werden kann, ist nach Karasek (diesmal wenig streitlustig) mit
"grandioser Einfachheit" dargestellt.
Patrick Roth: Die Nacht der Zeitlosen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 200.
100 Seiten, 34,00 DM
ISBN 3518412159
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Tendenz der Kritik: bei einigen Vorbehalten insgesamt
positiv. - Gelobt wird (u.a. von Radisch) vor allem jene Erzählung
aus dem Band, in der die Reflexionen über eine Geschichte E.A. Poes
auf subtile Weise mit der (Liebes-)Geschichte eines jugendlichen Poe-Begeisterten
verknüpft sind. Kunstmann zeigt sich wenig angesprochen von dem Buch.
Reich-Ranicki hat bei allem Respekt Vorbehalte gegenüber zu viel
"Wunder", "Traum" und "Gott" in diesen Erzählungen.
Karasek nennt sie "religiös besessen".
Iwan Bunin: Liebe und andere Unglücksfälle.
Aus dem Russischen von Erich Ahrndt.
Eichborn Verlag, Frankfurt 2000.
396 Seiten, DM 49,50
ISBN 3821841923
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Tendenz der Kritik: ziemlich einhellig positiv. - Reich-Ranicki
stellt den ersten russischen Literaturnobelpreisträger als "glänzenden
Stilisten" (und zumindest darin dem von Bunin gehassten Dostojewski
überlegen) vor. Seine Schilderungen von Stimmungen und zwischenmenschlichen
(Liebes-)Beziehungen seien "fabelhaft", die Erzählungen
nicht so prüde wie die russische Literatur sonst in der Regel. Radisch
wendet ein, die Texte seien in ihren stereotypen Tendenzen kein Beleg
für den Rang dieses Autors (Kunstmann widerspricht).
Per Olov Enquist: Der Besuch des Leibarztes.
Carl Hanser Verlag, München 2001.
376 Seiten, 42 DM.
ISBN 3446199802
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Tendenz: einhellig positiv. - Karasek lobt (mal wieder)
die historische Genauigkeit dieses historischen Romans über den geisteskranken
König von Dänemark und seinen Leibarzt Struensee. Zugleich weise
er aktuelle Bezüge zur jüngeren Zeitgeschichte (1968) auf (die
Kunstmann allerdings nicht erkennen kann). Reich-Ranicki zeigt sich sehr
"beeindruckt von der großen Sinnlichkeit und Anschaulichkeit"
des Romans, betont jedoch gegen Karasek die Freiheit eines Dichters gegenüber
seinen historischen Stoffen. Sagt ihm vor allem die Verknüpfung von
Problemen der Macht mit denen der Erotik zu, so interesssiert sich Kunstmann
eher für den schizophrenen Protagonisten als Opfer "schwarzer
Pädagogik".
Don DeLillo: Körperzeit.
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001.
134 Seiten, 29,90 DM.
ISBN 3462029738
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Tendenz der Kritik: 3 : 1; drei Analysten plädieren
begeistert für "kaufen", einer findet den Wert des Autors
(an der Meinungsbörse der Feuilleton-Rezensionen) völlig "überschätzt".
- Das Buch wird von Kunstmann begeistert und eindrucksvoll vorgestellt.
Radisch ist sich ausnahmsweise mit ihr einig. Als ein "Minimalist"
wird DeLillo auch von Karasek gepriesen. Von der Einsamkeit der Protagonistin
wird nicht geredet, sondern sie wird in subtilsten Details der Darstellung
sinnlich spürbar. Für Radisch das beste der an diesem Abend
besprochenen Bücher, für Reich-Ranicki das schlechteste. Am
Ende wenigstens nach viel Lob und Einigkeit also doch noch alle Fragen
offen...
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Sendung am 22. Juni
Gast: Michael Krüger
Besprochene Bücher:
(mit Notizen zur Diskussion)
Zeruya Shalev: Mann und Frau. Aus dem Hebräischen von Mirjam
Pressler.
Berlin-Verlag, Berlin 2001
DM 39,80 DM/ EUR 20,35 EUR
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Tendenz der Kritik: einhellig positiv; der "Welterfolg"
dieser Autorin und ihres neuen Buches verdanke sich der "ungeheuren
Intensität" (Reich-Ranicki) dieser Ehe- und Familiengeschichte.
Krüger nennt sie "hochdynamisch" und setzt diese Qualität
in eine Beziehung zur Protagonistin, einer "Super-Hysterikerin",
die Karasek ganz schön auf die Nerven gegangen ist. Den religiösen
Subtext, auf den Radisch aufmerksam macht (die Autorin ist Religionswissenschaftlerin),
will Reich-Ranicki nicht sehen. Gelobt wird auch die "fabelhafte
Übersetzung"
Guy de Maupassant: Stark wie der Tod. Manesse, Stuttgart 2001.
DM 36,00 EUR 18,41
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Tendenz der Kritik: einhellig positiv. Ein Roman
über das Verhältnis zwischen einem alternden Maler und einer
verheirateten Frau, in dem äußerlich wenig passiert, in der
Psyche dafür umso mehr (Karasek). Weise auf Proust voraus und zeige
sich heute in der von ihm gespiegelten Zeitstimmung überraschend
aktuell.
Alistair MacLeod: Land der Bäume. S. Fischer, Frankfurt 2001.
DM 39,90 EUR 20,40
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Tendenz der Kritik: Einer gegen drei. Die von
Krüger als "Meisterwerk" gepriesene Familiengeschichte
wird von Karasek als Roman eines "kanadischen Rosegger" auf
"Readers Digest-Niveau" disqualifiziert.
Martin Kessel: Herrn Brechers Fiasko. Roman. Schöffling, Frankfurt
2001.
DM 49,80 EUR 25,46
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Tendenz der Kritik: positiv mit etlichen Einschränkungen. Den von
fast allen Rezensenten jüngst hymnisch gelobten Roman, der zuerst
1932 erschien, findet Reich-Ranicki stark überschätzt. Mit dem
Wort "Meisterwerk" (am besten verbieten!) sei auch hier die
Literaturkritik zu leichtfertig umgegangen. Die vielen essayistischen
Einschübe auf nicht sonderlich hohem Niveau verweisen auch in diesem
Fall auf mangelndes Erzählvermögen. Als "Zeitdokument"
der Weimarer Republik und der "Neuen Sachlichkeit", das ein
treffendes Bild von der Dauergeschwätzigkeit und Unproduktivität
der "Angestellten" vermittle, wird dieser Roman vom Rest des
Quartetts trotz mancher vorbehalte durchaus geschätzt. Krüger
vergleicht ihn mit Kracauers Romanen "Ginster" und "Georg".
Georg Klein: Barbar Rosa. Eine Detektivgeschichte. Alexander Fest
Verlag, Berlin 2001.
38,00 DM/19,43 Euro
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Radisch begeistert über den Roman des Bachmann-Preisträgers
2000, ein gewitztes Puzzlespiel mit zahllosen literarischen Verweisen
und einem Detektiv als Helden, der nichts sucht, sondern dauernd etwas
findet (Krüger). Reich-Ranicki goutiert immerhin die Sprache, die
den "Schundroman" zu tragen vermag.
Nächste Sendung am 17. August mit Robert Schindel als Gast.
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