Kulturjournal

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Betreff Tod eines Unzeitgemäßen
Autor Jörg Auberg
Datum 18.07.2004 16:45
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Irgendwann im Laufe des 11. Juli 2004 setzte Lothar Baier in seiner Wohnung in Montreal seinem Leben ein vorzeitiges Ende, und für kurze Zeit kehrte ein bereits vorzeitig ins Totenreich deportierter Intellektueller noch einmal in die Spalten des deutschen Feuilletons zurück. Allenthalben war das schlechte Gewissen im Olymp anzutreffen, während auf den Fluren die Geschäftigkeit dominierte.

Als Leser habe ich Lothar Baier sehr viel zu verdanken. Unbekannterweise begegnete er mir erstmals in den frühen siebziger Jahren, als ich die Fischer-Taschenbuch-Ausgaben der Romane Jules Vernes verschlang, die Baier teilweise mit übersetzt hatte. Ende der siebziger Jahre fiel mir eine großformatige Literaturzeitschrift namens "Lesezeichen", in der auch Lothar Baier publizierte, in die Hände, doch war sie wohl eines jener Projekte, die keinen ökonomischen Erfolg zeitigten.

In dieser Zeit übersetzte Baier auch Texte André Bretons, die frühen literarischen Schriften Jean-Paul Sartres und die  Werke Paul Nizans. Und dann waren es die Essays oder "Aufsätze" (wie Baier seine Arbeiten nannte), welche die politische und kulturelle Gegenwart einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen, die mich stets aufs Neue mit ihrer intellektuellen Unbestechlichkeit und sprachlichen Klarheit faszinierten. Damals gab Klaus Wagenbach das Terrain für eine Reorientierung der Linken frei, doch kulminierte das vorgeblich neue Denken schließlich in der Annäherung ehemaliger Autonomer wie Thomas Schmid an die Fleischtöpfe der Renegaten-Presse oder in der bruchlosen Angleichung einstiger totalitärer Mundstücke aus dem Bockenheimer Abschnitt der Weltrevolution an den bürokratischen Apparat rosa-olivgrüner Prägung.

Im bewegenden Nachruf auf seinen Freund beschreibt Wolfram Schütte Baier als »illusionslos, aber nicht zynisch, sondern nur abgrundtief traurig«. Schließlich hatte er nirgendwo einen Platz. Hämisch urteilte ihn das neoliberale Kampfblatt "Neue Zürcher Zeitung", um alte Rechnungen zu begleichen, als Gescheiterten ab, der »es nie zu einem arrivierten Dasein brachte«, während der NZZ-Schreiber nicht einmal in der Lage ist, Minimalanforderungen an sein journalistisches Handwerk zu erfüllen und einfache Daten zu recherchieren. »Lothar Baier, der zuletzt erklärte, kein Buch mehr schreiben zu können, starb«, gibt der Nachtreter, dem Baiers strikter Antikapitalismus noch immer bitter aufstößt, zu Protokoll, »wie wir vermuten müssen, als politisch einsamer, der Gegenwart entfremdeter Mann«. Angesichts solcher Zeitgenossen fällt die Entscheidung für ein Abspringen um so leichter.

So schmerzlich der Verlust dieses Intellektuellen, der beispielhaft moralische Integrität und intellektuelle Redlichkeit verkörperte, für die Zurückgelassenen ist, so nachvollziehbar ist doch seine Entscheidung, nach einem jahrzehntelangen Kampf gegen ideologische Windmühlen und  auch persönlichen Katastrophen die Entscheidung zu treffen, nicht länger den Getretenen in der Mühle zu geben. Noch im oberflächlichen Akt der Resignation schwingt eine Revolte mit. Während andere stets immer noch aus falschen Gründen kollaborieren, legte Baier Hand an sich (wie Jean Améry sagte) und zog einen Schlussstrich. Daher liegt das Porträt Baiers, wie es der linke Verleger Klaus Bittermann in der jungen Welt zeichnet, vollkommen neben der Realität: Er nahm »den unscheinbaren Lothar Baier« als verarmt und verzweifelt wahr, wenn auch als einen der letzten großen Essayisten, der nicht bereit war, »sich dem Einheitsjournalismus anzupassen«.

In Deutschland fand Baier letztlich nur noch Zuflucht in der kleinen, linken, von Günter Gaus mitbegründeten Wochenzeitung Freitag, während der Medienbetrieb von Zeitgeistschranzen bestimmt wird, die auf Namen wie Herzinger oder Lau hören, wobei diese auch nur Chiffren der Herrschaft sind. Letztlich können in der miserablen Welt nur die Miserablen reüssieren. »Das Leben, das ich akzeptiere, ist das schrecklichste Argument gegen mich selbst«, schrieb der französische Schriftsteller René Crevel, der sich 1935 das Leben nahm. Während Rechte wie Linke Baier als Unzeitgemäßen schon vor Jahren zu den Akten legten, blieb er noch in seinem letzten Akt auf der Höhe der Zeit.

Wolfram Schütte: Enfant perdu
Klaus Bittermann: Zeichen und Wunder
Joachim Güntner: Der Zeit entfremdetRudolf Walther: Ohne Chef und auf eigene RechnungHal Faber: Was war, was wird.

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