Kulturjournal

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Betreff They Shoot Horses, Don't They?
Autor Jörg Auberg
Datum 9.01.2005 18:22
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Ach, das waren Zeiten in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als sich die Kritik in den Territorien der Kunst wie der Gesellschaft in fröhlichem wie widerständigem Selbstbewusstsein positionieren konnte. In der intellektuellen Landschaft gab es für jeden Stamm das passende Refugium: Die “Sozialistische Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft” bot das klassenkämpferische Marketing für den maoistischen Kulturfreund, der mittlerweile als verbeamteter Renegat den Akademiker-Rap für den Neo-Liberalismus darbietet oder als Rentier vom Bruttosozialprodukt “seiner” Generation zehrt. Am Ende der Dekade erschien der Freibeuter in den intellektuellen Kulissen, der die Bedürfnisse einer libertär ausgerichteten Toscana-Fraktion der deutschen Geistesarbeiter zu befriedigen suchte. Und seit Mitte der sechziger Jahre lugte aus den kulturellen Gräben immer schon das vom umtriebigen Kultur-Manager Hans Magnus Enzensberger ins Leben gerufene “Kursbuch”, das den Weg von Suhrkamp über einen unabhängigen Verlag hinein in die Vertriebswege kleinkarierter Kulturverweser nahm. Anfänglich war das Projekt ein Unternehmen der Moderne, das die Verkrustungen der gesellschaftlichen Verhältnisse aufbrechen wollte, wobei Enzensbergers Explorationen der Medientheorie und Ökologie die interessantesten Exkursionen blieben.

In den folgenden Jahren, nachdem Enzensberger von der Brücke gegangen war und der Steuermann Karl Markus Michel das Zeitliche gesegnet hatte, schlingerte das Schiff in der See, schlug mal hier, mal dort an die Riffe. Zuletzt hatte das notdürftig geflickte Wrack Unterschlupf beim Rowohlt-Verlag gefunden, der nun freilich den überflüssigen Ballast wieder hinaus in die raue See warf. Nun hat sich der Verlag der Wochenzeitung “Die Zeit” dieses Zeitschriftenprojektes erbarmt und schickt sich an, es unter seine Fittiche zu nehmen. So wird ein Verlustnehmen innerhalb des Holtzbrinck-Konzerns, der sich auf das Aufkaufen und Herunterwirtschaften von Traditionsverlagen spezialisiert hat, verschoben, und die kalte betriebswirtschaftliche Liquidierung, wie sie die Boston University vor zwei Jahren mit dem Renommee-Projekt “Partisan Review” vorführte, wird zunächst ausgesetzt.

Der künftige Herausgeber, “Zeit”-Chef Michael Naumann, drohte zunächst, er werde nun verstärkt seine “Zeit”-Autoren dem “Kursbuch” zuführen. Dass er ergraute Edelfedern wie Klaus Hartung, die in “Zeit”-Schreibstuben vor sich hinstauben, für das neue Projekt zu reanimieren sucht, soll dem Vernehmen nach lediglich ein bösartiges Gerücht übelmeinender Kreise sein. Zumindest scheint das Umfeld zu stimmen: Zuletzt habe die "Zeit" die "Antiquitäten-Zeitung" erworben, weiß die “Berliner Zeitung” zu berichten. So wäre es auch nicht überraschend, wenn der Verlag im nächsten Coup das Periodikum “Der Beamte im Ruhestand” sich einverleibte, das seinerzeit Enzensberger in seiner vom “Kursbuch” gesponserten Expedition “Lesefrüchte aus dem Dschungel” aufstöberte.

Obwohl das “Kursbuch” nie eine “Kulturzeitschrift” war, stellt das Genickschuss-Feuilleton der FAZ die Zeitschrift als unnützes Exemplar an den Massengrabrand. “Deutschland hat zwei und nur zwei in sich notwendige Kulturzeitschriften”, dekretiert Lorenz Jäger in Herrenreiterpose: “für die Atlantiker und für die begriffsscharfen Intellektuellen gibt es den sozusagen kantianischen 'Merkur'. Für die Mitteleuropäer und jene, die von der Dichtung und vom Wort her denken, gibt es 'Sinn und Form', die Zeitschrift, die sich auf Hamann und Herder als ihre Paten berufen können.” Jäger zeigt dem Publikum, wo der ideologische Hammer hängt: “Deutschland” konnotiert in diesem Fall den dumpfen Geist der Reaktion, der in diesem Land seit je unbeschränktes Aufenthaltsrecht genießt. Die Moderne hat in dieser Vorstellungswelt nicht stattgefunden, und alles “Unnütze” gehört liquidiert. Was wer wann zu lesen hat, bestimmen der FAZ-Jäger und seine Kohorten.

“Die Schuldlosigkeit des Unnützen setzt den Kontrapunkt zum Parasitären”, notierte Adorno in seinen “Aufzeichnungen zu Kafka”. Gerade weil das “Kursbuch” nicht mehr die “autoritative” und autoritäre Zeitschrift der Vergangenheit ist, die Jäger scheinheilig lobt, bestände die Möglichkeit, aus diesem Moment des “Überflüssigen” neue Motivationen für eine umfassende Gesellschafts- und Kulturkritik zu ziehen. In der erstickenden Umarmung der “Zeit” wird dies freilich nicht gelingen.

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