Die Weisheit des Bauches

Intuition: Bas Kast und Gerald Traufetter informieren über den "emotional turn" in der Psychologie

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wichtige Entscheidungen wollen gut überlegt sein. Charles Darwin hat sich einst, als es ans Heiraten ging, eine Liste angelegt, auf der er alles zusammentrug, was für oder gegen die Auserwählte sprach. Für Ap Dijksterhuis ist Darwins Glauben an das stärkere Argument jedoch wenig mehr als eine amüsante Anekdote. Wer sich bei seinen Entscheidungen auf seine Ratio verlasse, werde meist enttäuscht, behauptet der niederländische Psychologe: "Je komplizierter die Wahl ist, desto unbewusster sollte man sich entscheiden."

Das hört man gern. Denn entscheiden müssen wir uns inzwischen fast überall. Nicht nur, wenn es um die Wahl des Lebenspartners geht. Schon der Gang ins Kaufhaus kann für Zauderer zum Albtraum werden. Längst macht das Schlagwort von der "Multioptionsgesellschaft" die Runde. Entscheidungen kosten Zeit und Energie. Und verunsichern, weil sie schief gehen können und man für seine Wahl auch noch selbst die Verantwortung trägt.

Wie schön wäre es da, brauchte man wirklich nur seiner Intuition zu vertrauen. Dijksterhuis' Experimente scheinen das zu belegen. Der Psychologe forderte seine Probanden auf, sich aus einer Anzahl von Postern eines für ihr Schlafzimmer auszusuchen. Stets erhielt die eine Gruppe reichlich Zeit zum Überlegen, während sich die anderen spontan entscheiden und auf ihr Gefühl verlassen musste. Überprüfte man einige Wochen später, wer mit seiner Wahl glücklicher geworden ist, so lautete das erstaunliche Ergebnis regelmäßig: die Spontan- und Bauchentscheider.

Soll man also, mit Susanna Tamaro gesprochen, stets gehen, wohin das Herz einen trägt? Hatte Schiller Recht, als er an Goethe schrieb, "dass die Empfindung der meisten Menschen richtiger ist als ihr Raisonnement. Erst mit der Reflexion fängt der Irrthum an"? Eine neue Generation von Psychologen und Hirnforschern vertritt heute diese Ansicht und arbeitet an einer umfassenden Rehabilitierung der Gefühle. Über den von Dijksterhuis und Kollegen ausgerufenen emotional turn informieren derzeit gleich zwei Neuerscheinungen. Bas Kast erklärt, "Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft - Die Kraft der Intuition", und Gerald Traufetter erinnert an die "Intuition - Die Weisheit der Gefühle".

Beide Autoren sind Journalisten und verstehen es, ihr Material leicht verständlich und unterhaltsam zu präsentieren. Vollmundig versprechen sie eine "Reise ins Ich", denn, wie Kast verkündet, "ich bin sicher, Sie haben es selbst schon gelegentlich festgestellt: Sie sind wirklich verdammt kompliziert." Kast und Traufetter bekamen von ihren Verlagen jeweils eine Reise um die Welt spendiert, um ihre Gewährsleute vor Ort aufsuchen zu können. Das sind neben Wissenschaftlern auch Unfallopfer, Hirngeschädigte und Autisten, von denen sich viel über die Bedeutung der Emotionen oder die Leistungen des Gedächtnisses lernen lässt.

Dazu ließ sich Kast sogar bei dem Psychologen Allan Snyder in Sydney per Magnetstimulator einen Teil seines Gehirns abschalten, um sich so vorübergehend in einen "Savant" zu verwandeln. Savants, autistische Inselbegabte, verfügen über erstaunliche Fähigkeiten. Sie können etwa zu jedem Datum der letzten tausend Jahre sekundenschnell den entsprechenden Wochentag angeben oder kennen die Zahl Pi bis auf 20.000 Stellen nach dem Komma. Warum können sie das und wir Normalos nicht? Vielleicht, weil die vermeintliche Superleistung in Wahrheit eine Fehlfunktion ist? Die Obsession der Savants für Daten und Details geht einher mit einer erschreckenden Hilflosigkeit, wo es um Sinn und Bedeutung geht. Stundenlang laden sie sich begeistert den Inhalt eines Telefonbuchs in ihr Langzeitgedächtnis, scheitern aber an der Lektüre eines Romans.

"In jedem von uns könnte ein kleines Genie stecken", glaubt Kast dennoch und präsentiert dem Leser stolz seine im magnetisierten Hirnzustand detaillierter gewordenen Zeichnungen. Wer aber nicht gerade Kandidat bei "Wetten dass" werden will, wird kaum mit einem Savant tauschen wollen. Auch besteht die eigentliche Funktion des Gedächtnisses, darin bestätigen die Savants eine Einsicht Niklas Luhmanns, eben nicht im Behalten, sondern im (gezielten) Vergessen. Berechtigt scheint aber Kasts Erinnerung daran, dass der in der Wahrnehmung von Schemata und Bedeutung routinierte Normalverstand zwar realitätstauglich ist, aber unkreativ. Kreativität werde genau dann möglich, wenn man sich ein Stück weit seinem Unbewussten mit seinen irrationalen Gefühlen, Stimmungen und Assoziationen öffnen kann.

Kast vergleicht den bewussten Verstand mit einem Scheinwerfer, der konzentrierte Ausschnitte fokussiert beleuchten kann, das um ein Vielfaches aufnahmefähigere Unbewusste dagegen mit einem schwachen Flutlicht, das alles nur ein bisschen beleuchtet. Was besser ist, hängt demnach von der Situation ab; gerade in komplexen Situationen könne einem das intuitive Flutlicht mehr helfen, glaubt Kast.

Gefühle sind für Kast so etwas wie ein Equalizer des Denkens, ein sich Situationen und Ereignissen anpassender Spielmodus. Was bei all der Begeisterung über diese evolutionäre Errungenschaft bei beiden Autoren zu kurz kommt, ist aber, dass man diesem Modus nicht immer trauen kann: Zwar mag es noch immer sinnvoll sein, beim Anblick eines Tigers im Dschungel instinktiv Reißaus zu nehmen. Aber bei einem Feueralarm im voll besetzten Kinosaal? Da kann die Unterdrückung der Gefühle Leben retten.

Die von Gerald Traufetter zusammengetragenen Studien deuten jedenfalls darauf hin, dass die Intuition vor allem dann zuverlässige Fingerzeige liefert, wenn man auf dem jeweiligen Gebiet bereits Experte ist und das Unbewusste auf einen Schatz an Erfahrungen zugreifen kann. Das gilt für den Museumschef, dem eine neu erworbene "antike Statue" schon auf den ersten Blick nicht ganz koscher vorkommt ebenso wie für den Spekulanten Georges Soros, der morgens seine Aktien verkauft, weil er "seinen Rücken spürt". Für alle anderen hat Traufetter die Empfehlung parat: "Wer seine Intuition verbessern will, muss üben, üben und nochmals üben." Zum Beispiel mit dem "Kombinationsmodell" der Psychologin Cornelia Betsch, die dazu rät, bei Entscheidungen eine Problemskizze anzulegen und erste intuitive Entscheidungen mit Handlungsalternativen zu verbinden, um so zu einer Entscheidungspyramide zu kommen. Das hätte wohl sogar Darwin gefallen.


Titelbild

Gerald Traufetter: Intuition. Die Weisheit der Gefühle.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007.
334 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498065225

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Titelbild

Bas Kast: Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft. Die Kraft der Intuition.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
216 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783100383020

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