„Und wer da sucht, der findet“

Ein von Anton Tantner, Thomas Hübel und Thomas Brandstetter herausgegebener Sammelband durchforstet die Kulturgeschichte der Suchmaschinen „Vor Google“

Von Marc ReichweinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc Reichwein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was alles ist Suchmaschine? Gehört auch die Fernsehsendung mit den Verbrecherfahndungen dazu („Aktenzeichen XY“)? Kann man Inhaltsverzeichnisse, Kapitelüberschriften und Register von Büchern zu den Suchmaschinen zählen? Schließlich erleichtern sie das Auffinden von Buchinhalten und machen den linearen Text durch Paratexte in einem Maße durchlässig, wie es die digitale Volltextsuche später perfektioniert hat.

Dass es auch schon „Vor Google“ Erfindungen, Personen und Techniken gab, die das bedarfsbezogene Abfragen von Informationen rationell realisierten, ist die zentrale These des Sammelbandes, der durchaus weiß, dass er sich auf einen „kontrollierten Anachronismus“ einlässt, wenn er den Begriff der Suchmaschine aufs vordigitale Medienzeitalter überträgt. Aber warum eigentlich nicht? Schon David Gugerli wartete vor einigen Jahren mit der These auf, dass Google nicht die Suchmaschine schlechthin sei.

Die Herausgeber des vorliegenden Bandes möchten zwar keine zwangsläufige Entwicklung von den analogen Suchmaschinen zu denen des Internets behaupten, aber an „strukturelle Ähnlichkeiten“ glauben sie schon: Das Titelbild von „Vor Google“ zeigt einen aufgespießten Exzerptzettel als Sinnbild gelehrter Buchhaltung und macht neugierig auf vormoderne Zeiten, in denen unsere Wissensabfrage noch als sprichwörtliche Zettelwirtschaft organisiert wurde.

Zum Beispiel in Form von Fragebogenaktionen, wie sie Alix Cooper für die Epoche der frühen Aufklärung beschreibt. Ende des 17. Jahrhunderts ließen Gelehrte Listen zur Beantwortung kursieren, um natur- und landeskundliche Erkundungen einzuholen, die sie nicht persönlich vornehmen konnten. Zum Beispiel Gletscher, Pflanzen, Tiere und Mineralien der Schweiz, aber auch ihre schmackhaftesten Käsesorten.

Die Idee der Inventarisierung unserer Welt, wie sie dem Konzern Google mit seinem Streben in alle Sachbereiche von Landkarten über News, Bücher und Kunst bis zu Videos (YouTube) gern vorgeworfen wird – sie ist den Suchmaschinen quasi vorgängig. Und doch erscheint die vollständige Taxonomie als Unternehmung ihrerseits utopisch, weil sie früher oder später gern in Ordnungswahn und Zwangssystematik ausartet, meint Stefan Rieger in seinem eher grundsätzlichen Beitrag zur Ordnung des Wissens mit Blick auf den pedantischen Pflanzenbeschrifter Freiherr von Riesach in Adalbert Stifters „Nachsommer“.

Großspaltige, ja beinahe buchhalterische Dimensionen der Informationsauswertung kennt auch die traditionelle Bibelexegese mit ihrem elaborierten System der Konkordanzen, Kanontafeln und Synopsen, das Daniel Weidner analysiert. Ebenso aus dem Buch der Bücher stammt das Motto „und wer da sucht, der findet“ (Lukas 11, 9-10): In der biblischen Kopplung dieser beiden Verben kommt nicht nur die theologische Pointe der Gnade zum Ausdruck. Wenn man dem Aufsatz von Henning Trüper glauben darf, wohnt der Befriedigung von Informationsbedürfnissen überhaupt eine gewisse heilsgeschichtliche Komponente inne, nämlich die Vorstellung, dass erfüllte Informationswünsche zu einer idealen Gesellschaft beitragen.

Insgesamt neun Aufsätze bestücken den Band, der ein insofern typischer Tagungsband ist, als der Bezug der Beiträge zum Titelthema mal mehr, mal weniger brillant hervortritt. Positiv erwähnenswert ist, wie Andreas Golob die ökonomische Dimension von Suchmaschinen historisch spiegelt: Er beleuchtet am Beispiel von Grazer Anzeigenblättern des ausgehenden 18. Jahrhunderts, wie wichtig es ist, dass man auf diese Weise Immobilien, Kredite, Vieh und Arbeit, ja eventuell sogar eine Lebenspartnerin suchen und finden kann. Es ist auch und nicht zuletzt der Verlust dieser suchmaschinenaffinen Rubrikenanzeigen (Stellen-, Auto- und Wohnungsmärkte), der die traditionelle Funktion der Zeitung als „Informationsdrehscheibe“ heute immer mehr in die Plattformen des Internets verlagert.

Die Perle des Bandes bildet zweifellos Markus Krajewskis Beitrag über den Diener als Informationszentrale. Krajewski, Verfasser einer einschlägigen Studie, sieht in der Figur des klassischen Kammerdieners viele Parallelen zu heutigen Suchmaschinen. Seine Bedeutung bestehe darin, dass er „alle Arten von Informationen sammeln und beobachten, sortieren und analysieren, differenzieren und gewichten, systematisieren und aufbereiten sowie schließlich streuen oder gezielt verteilen lässt“. In der Möglichkeit zur Manipulation und Auswertung für eigene Zwecke stehen sich Dienstboten und Google in nichts nach: Vom antizipierenden Wissen um die Informations-Bedürfnisse des Auftraggebers bis zu deren Überwachung (Ausspionage) ist es beim Diener wie bei der Suchmaschinen-Software oftmals nur ein kleiner Schritt.

Die Evolution der Informationsdienstleistungen „von den humanoiden Medien zu den Dingen“ sei zwar ein Effekt der allgemeinen „Delegation klassischer Dienstleistungen […] an technische Gerätschaften“, zeitige gerade im Hinblick auf die Suchmaschinen-Dienste auch kuriose Effekte. Krajewski verweist auf den Google-Mitbewerber „Ask Jeeves“ (heute ask.com), der lange mit einem ikonischen Maskottchen warb: nämlich Reginald Jeeves, der als „Figur eines virtuellen Gesprächspartners“ allwissend und allzeitbereit wie sein literarisches Vorbild auf Suchanfragen wartete – und bis heute vermisst wird. Aber auch sogenannte personal digital assistents oder ein Tool wie der Google Reader, mit dem man Aktualisierungen aus dem World Wide Web personalisiert einholen kann, simulieren viele typische Filter-Funktionen eines klassischen Privatsekretärs.

So wirft der Band erste, erhellende Schlaglichter auf ein Thema, das proportional zu der Erkenntnis, dass Google unseren digitalen Such-Alltag immer weiter organisiert, längst zu einer gefälligen Leitmetapher avanciert ist. Man erfährt Grundsätzliches und Konkretes über Traditionen, Techniken und Personen bedarfsbezogener Informationsdienstleistungen im vordigitalen Zeitalter. Bis zu einer eigentlichen Medienkulturgeschichte der Suchmaschine ist es jedoch noch ein weiter wissenschaftlicher Weg.

Titelbild

Anton Tantner / Thomas Hübel / Thomas Brandstetter (Hg.): Vor Google. Eine Mediengeschichte der Suchmaschine im analogen Zeitalter.
Transcript Verlag, Bielefeld 2012.
260 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-13: 9783837618754

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