Dada caca popo

Friedrich Glauser erzählt in „DADA“ von seinen Erlebnissen mit den Dadaisten

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Künstlerische Avantgarden haben schon immer Manifeste geschrieben und sich darin ihrer Neu- und Großartigkeit gerühmt. In der Rhetorik des Manifestes ist das Hyperbolische obligatorisch, Understatement sucht man dort in der Regel vergeblich. Anders war es auch bei den Dadaisten nicht, die sich radikal gegen jede sich als bürgerlich zu erkennen gebende Kunst richteten. Umso interessanter ist es da, einen Bericht zu lesen, der zwar aus erster Hand das Entstehen von Dada erzählt, aber dennoch auf Distanz bedacht ist. Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser, bekannt für seine fulminanten Wachtmeister Studer-Krimis, hatte 1916 Bekanntschaft mit den führenden Dadaisten, Tristan Tzara und Hugo Ball, gemacht. Seine Erinnerungen daran entstanden 1931 und liegen nun in einer separaten Ausgabe im Züricher Limmat Verlag vor, die aus dem ebenfalls dort erschienenen Band „Glauser“ von Hannes Binder entnommen ist und dessen wunderbare wie düstere Illustrationen beinhaltet.

Es war Zufall, dass der kaum 20-jährige Glauser in Zürich mit Dada in Berührung kam. In einem Lokal lernte er den expressionistischen Maler Max Oppenheimer, genannt Mopp, kennen, der ihn mit Tzara und Marcel Janco bekannt machte. Die eine Avantgarde protegierte die andere, oder wie Mopp zu Glauser sagt: „Heut kommt die neue Kunst zu mir“. Schon bald aber sollte es umgekehrt sein, dann strömten die Leute zu den Soireen im „Cabaret Voltaire“. Und der junge Friedrich Glauser war mittendrin.

Tristan Tzara führte Glauser in den kleinen Kreis der Dadaisten ein, die zu diesem Zeitpunkt (1916) noch nicht so hießen und nicht heißen konnten, denn das Wort „Dada“ war noch nicht geboren. Und glaubt man den Erinnerungen Glausers, dann war er unmittelbar dabei, als Dada zu seinem Namen kam. Um dem Kriegsdienst zu entgehen, hatte sich Tzara nämlich bewusst als psychisch krank ausgegeben, ein ärztliches Gutachten attestierte ihm tatsächlich „Jugendirresein“ und zog als Beweis einige seiner Gedichte heran. Als Tzara schließlich vor einer Ärztekommission seine Untauglichkeit beweisen musste, nahm er Glauser mit, der für den nur blöde stammelnden Tzara das Antworten übernehmen sollte. Als die Untersuchung beendet war, drehte sich Tzara ein letztes Mal zu den versammelten Ärzten um und sagte bloß zwei Worte: „‚Merde!‘, und wie zur Bekräftigung fügte er hinzu: ‚Dada‘. […] Dieses Dada, das so unbewusst über seine Lippen gerutscht war, beschäftigte Tzara die folgenden Tage ziemlich tief.“ Mit dieser Anekdote fügt Glauser den zahlreichen Vermutungen über die Entstehung der Bezeichnung Dada eine weitere, nicht minder heitere hinzu.

Tzara also öffnet dem junge Glauser die Türen zu den Dadaisten, von denen es dann vor allem Hugo Ball und Emmy Hennings sind, mit denen er freundschaftlich verbunden ist. Besonders Ball übt einen bleibenden Eindruck aus, weil dieser ihm als einziger authentisch erscheint, als in sich ruhend. Ohne jede Allüren spielt er sich nie in den Vordergrund, sondern beschränkt seine Rolle auf die Organisation der Dada-Abende und seine eigenen Auftritte. Ball ist das Zentrum, um das sich Dada in Zürich zu drehen scheint, was auch zu Konfrontationen zwischen ihm und Tzara, der zweiten zentralen Figur, führt, der Glauser gegenüber offen zugibt, er wolle „eine neue Kunstrichtung ‚erfinden‘, wie es die Futuristen getan hatten. Schließlich kommt es zur Spaltung der dadaistischen Bewegung in einen deutschen und einen französischen Teil, von denen der letztgenannte noch einige Jahre von sich Reden machte. Für Ball, so analysiert es Glauser, war Dada „eine Zeitlang eine Ausdrucksform für sein ‚Gelächter‘ gewesen“ und so wendete er sich von der dadaistischen Praxis dann auch ab, als sie ihm nicht mehr geeignet schien. Andere hingegen machten weiter, ob nun in Zürich oder Paris, in der Literatur oder der Malerei. „Dem Dadaismus treu geblieben ist einzig Arp, der Maler.“ Für Tzara und Huelsenbeck, neben Ball, Hennings und Arp die maßgeblichen Gründungsfiguren des Dada, blieb das „Mouvement“ bloß für kurze Zeit länger ein Feld ihrer Kunst. Tzara, so schreibt Glauser 1931, „soll vor einem Jahre eine reiche Frau geheiratet haben, und das Millionärsdasein bekomme ihm gut. […] Huelsenbeck hat sich als Globetrotter versucht“.

Was Glauser aus der Distanz von 15 Jahren schreibt, ist nicht nur Erlebnisbericht, er analysiert und kommentiert klug das Gründungsnarrativ von Dada. Es war der Drang nach einer neuen Weltaneignung, losgelöst von den überkommenen Deutungsmustern der Vätergeneration, geprägt von den Eindrücken des Ersten Weltkrieges, den viele unmittelbar miterlebten oder sich bewusst weigerten, daran teilzunehmen. Dada war eine Bewegung gegen die Sprache, denn „mit Hilfe der Sprache gelang es auch, das Morden zu rechtfertigen. Und der Versuch, mit Hilfe von Worten, von Sätzen dieses Morden zu rechtfertigen, musste von vornherein naiv und unmöglich erscheinen. […] Wenn sie den Intellekt negieren und alles, was mit ihm zusammenhängt, so müssen sie an seine Stelle etwas anderes setzen: Kindlichkeit, Primitivität, Negerplastik, Negertänze, Kinderzeichnungen.“ Aus dieser Hinwendung resultiert schließlich die „Entfaltung eines neuen Schauens“, eines Weltzugangs scheinbar völlig abgelöst von Traditionen. Aber das neue Schauen kommt, so Glauser, aus der Malerei und vor allem von Arthur Rimbaud her, dessen Einfluss auf die Dadaisten Glauser hervorhebt.

Das Irritierende des Dada für die Zeitgenossen bringt eine weitere Anekdote recht gut auf den Punkt. Während einer der Soireen gibt der Komponist Busoni nach einer musikalischen Vorführung einen Kommentar ab: „Um im Stil dieser Komposition zu bleiben, müsste man eigentlich die Worte ‚Da capo‘ silbenweise verdoppeln.“ Sein Gesprächspartner versteht aber nicht gleich und so präzisiert Busoni: „Nun ja, Dada … und so fort, nicht wahr?“ Dada caca popo, so ließe sich vielleicht die Programmatik des Dada auf Unverständlichkeit und Fäkalhumor gemünzt herunterbrechen, wenn da nicht eine eminent existentielle Bedeutung zu kurz käme, denn Dada war für viele der Beteiligten vor allem „eine tiefe und verzweiflungsvolle Angelegenheit“.

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Hannes Binder / Friedrich Glauser: Dada.
Separatdruck aus Hannes Binders „Glauser“.
Limmat Verlag, Zürich 2015.
63 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783857917899

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