Der ambivalente Schwan

Michael Jakobs Studie über das lyrische Ich im Zeichen des Schwans

Von Irmgard Johanna SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Irmgard Johanna Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Anblick eines Schwans erfreut, weiß und sanft geschwungenen Halses gleitet er über spiegelnde Oberflächen und kokettiert mit seinem eigenen Bild.

Der Schwan ist Symbol für Reinheit und Treue, für Eitelkeit und Metamorphose, für Göttliches und Diabolisches zugleich, sein Schwanengesang steht für das Trugbild von Äußerlichkeit und stimmlicher Dissonanz. In der Antike schon wird der Schwan besungen, den Göttern zugesprochen; Zeus und Apollon sind mit Schwänen abgebildet, sie ziehen himmlische Wagen und sind auf Schmuckstücken zu finden.

Der Schwan symbolisiert Liebe und Verwandlung. So heißt es bei Walter Serner: "Die Liebe ist eine Schwanerei, denn sie macht aus einer Gans einen Schwan."

Dem gegenüber steht der Schwan als Endglied einer Verwandlungskette, so verwandelt sich Daphne zunächst in einen Lorbeerbaum und dann weiter in einen Schwan. Horaz und Petrarcas Schwanenbilder werden besprochen, weiter geht es mit Du Bellays dichterisch-symbolischer "Schwanerei", und in einem Exkurs über das Ideal der Schwanen-Pose wird festgestellt, dass der Schwan "aggressive Selbstbehauptung" und ein "ästhetisch-kontemplatives" Bild in sich vereinigt.

Über Hölderlin und Baudelaire schwingt sich das Buch zur "Demontage des Schwans" auf, wie sie in Heines "Memoiren des Herrn von Schnabelowski" berichtet wird. Die Hamburger Bürger brechen den Schwänen die Flügel, damit der Anblick dieser sie auch im Winter erfreuen kann. Damit wird der Schwan zur reinen Dekoration ohne seelische oder mystische Zugeständnisse. Den Schlusspunkt und sicher auch Höhepunkt des Buches bildet die Besprechung von Paul Celans "Schwanengefahr". Der traditionelle Schwan der Lyrik stellt sich in zweierlei Gestalt dar, einmal in der Gefährdung anderer (durch Schnabel und Krallen), wie auch im eigenen Gefährdetsein (Bedrohung). Mit Blick auf die bisherige Schwanentradition erschließt sich auch die Aufnahme des Schwanenmotivs in andere Gedichte Celans. An Stelle der Mystifizierung tritt Reduktion und radikale, einsame Kühle. Die unterschwellig schwere Schwanenmetaphorik in Celans Gedichten ist ein gelungener Abschluss für eine ins Kleine gehende Betrachtung des Schwans in der Literatur.

So interessant und vielgestaltig interpretierbar dieses Zeichen auch ist, so besteht die Gefahr sich im Kleinsten zu verlieren. Mitunter schließt der Autor mit der Erkenntnis, dass es im Besprochenen eigentlich gar nicht um den Schwan gehe und das Symbol leer bleibe. So lesen sich diese Betrachtungen eher mit viel gutem Willen und der Hoffnung darauf, dass die längeren Passagen doch noch auf einen das Thema betreffenden Abschluss zielen.

Titelbild

Michael Jakob: "Schwanengefahr". Das lyrische Ich im Zeichen des Schwans.
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2000.
486 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3446199365

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