Neue Kometen - böse Propheten

Marion Gindharts exemplarische Studie zum Wissenstransfer in der Frühen Neuzeit

Von Dieter MartinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Martin

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als der Komet "Hale-Bopp" im Winter 1996/97 zu beobachten war, rief dies nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Scharlatane auf den Plan. Ein solcher erkannte nahe beim Kern des Kometen ein UFO - dieses lange erwartete Signal veranlasste die kalifornische Sekte "Heaven's Gate", sich auf den Weg ins All zu machen. Schwarz gekleidet, mit genügend Dollars und neuen Turnschuhen ausgestattet, verübte man einen medienwirksamen Gruppensuizid, um von den Außerirdischen mitgenommen zu werden.

So skurril diese Episode wirkt, so wenig isoliert steht sie in der aufschlussreichen Kulturgeschichte der Kometenwahrnehmung. Angsteinflößende Boulevard-Berichte zur "Deep Impact"-Mission des Jahres 2005, bei der man den Kometen "Temple 1" beschoss, um die Zusammensetzung des Kometenkerns zu erkunden, ließen sich ebenso anführen wie Panikmeldungen der 1950er-Jahre: organisches Material im Kometenschweif schien die Welt mit einer Grippepandemie zu bedrohen. Als 1910 wieder einmal der Halley'sche Komet nahte, fürchtete man, die jüngst entdeckten Zyan-Banden seines Schweifs könnten die Menschheit mit Blausäure vergiften, und malte sich das nahende "Weltende" so intensiv aus, dass Jakob van Hoddis in seinem gleichnamigen Gedicht die apokalyptischen Visionen der Spießbürger trefflich persiflieren konnte.

Diese Streiflichter zeigen nicht nur, dass Kometen bis in die Gegenwart zu den spektakulärsten Himmelsphänomenen zählen und noch heute eine bemerkenswerte Mischung von Furcht und Faszination erregen. Erkennbar wird auch, dass die enorme Zunahme des Wissens über Kometen keineswegs dazu geführt hat, die Angst völlig zu bannen oder den Kometen ihre Qualität als Projektionsfläche für Irrationalismen aller Art gänzlich zu nehmen. Fast möchte man sagen: Im Gegenteil. Denn die immer wieder aktualisierte Furcht, die Erde könne mit einem Kometen kollidieren und dabei ernstlichen Schaden nehmen, entstand überhaupt erst, als gegen Ende des 17. Jahrhunderts Isaac Newton, Edmond Halley und William Whiston die entscheidenden Einsichten hatten und in den Kometen der Gravitation unterworfene Himmelskörper erkannten. Whiston ,erklärte' etwa die Sintflut physikalisch mit dem nahen Vorbeiflug eines Kometen.

Bevor die fernrohrbewehrten ,New Sciences' die Himmelskörper - ohne sie ganz zu entzaubern - berechenbar machten, sahen die meisten Menschen in ihnen Himmelszeichen, die Gott zur Ankündigung von Strafen und als Mahnung zur Buße am Firmament aufgesteckt habe. Doch dass es in der Frühen Neuzeit keinen einfachen und rapiden Wechsel von einem vorwissenschaftlich-(aber)gläubischen zu einem wissenschaftlich-aufgeklärten Verständnis der Kometenerscheinungen gab, belegt in eindruckvoller Weise die quellenreiche Augsburger Dissertation von Marion Gindhart.

Nach einer kenntnisreichen Einleitung, in der die wesentlichen antiken Deutungen des Phänonems und deren modifizierte Tradierung im christlichen Mittelalter referiert werden, begründet Gindhart ihr Vorgehen: Statt im diachronen Aufriss die mehr oder weniger bekannten Entwicklungslinien der Kometendeutung kursorisch nachzuzeichnen, analysiert sie intensiv einen synchronen Schnitt, nämlich alle aus dem deutschsprachigen Raum stammenden Kometenschriften des historischen Krisenjahres 1618, das zwei kleinere und einen spektakulären Kometen erlebte. Dieser Zugriff ist nicht allein deshalb sinnvoll und erkenntnisfördernd, weil er einen präzisen Blick in die einzelnen Schriften ermöglicht, sondern auch, weil er eine differenzierende Analyse der kometografischen ,Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen' gestattet.

Um Ordnung in das Geflecht der über hundert Drucke zum Kometenjahr 1618 zu bringen, unterscheidet Gindhart vier wesentliche Kontexte, an denen die Schriften partizipieren: Erstens einen dominierenden theologischen Kontext, dessen insgesamt vorrangig sozialdisziplinierende Funktion kaum in Frage steht, einen astrologischen Kontext, der das Himmelszeichen nachgerade systematischen Deutungsverfahren unterwirft, und einen historisch-argumentativen Kontext, der aktuelle Kometen in eine Sequenz früherer ,Artgenossen' einreiht, um im Analogieschluss auch die erwartbaren Negativfolgen gegenwärtiger Kometen zu beglaubigen. Und ferner einen naturkundlichen Kontext, der am Phänomen des Kometen ,altes' und ,neues' Wissen miteinander konfrontiert.

Jeden dieser Kontexte kann Gindhart nicht nur reich belegen, sondern anhand einzelner Schriften auch entscheidend ausdifferenzieren. So zeigt sich, dass gedruckte Kometenpredigten mehr sind als nur ein Medium des sozialsteuernden Diskurses. Neben stereotypen Bußappellen bieten einige von ihnen auch einen Kosmos des zeitgenössischen Kometenwissens. Andere funktionalisieren die Himmelserscheinung für konfessionspolemische Propaganda bis hin etwa zu einer "antipäpstlichen Treibjagd in den Sternen", oder nutzen die Kometen zu apokalytischen Zahlenspekulationen, um sich selbst in den Rang eines chiliastischen Propheten zu erheben.

Wie sehr gerade die routinierte bis spielerisch-virtuose Handhabung astrologischer Deutungsverfahren den Gesetzen des frühneuzeitlichen Medienmarktes gehorchte, kann Gindhart trefflich an David Herlitz' "Prodromus" demonstrieren, einem wahren ,Bestseller' unter den Kometenflugschriften von 1618. Anschaulich zeigt sie zudem, mit welchen Strategien sich Skeptiker, die in der Nachfolge von Julius Caesar Scaliger jede eindeutige Kometen-Prognose in Zweifel zogen, auf dem Markt zu behaupten suchten. Friedrich Grick erteilte etwa dem Kometen in einer Art literarischer Gerichtsverhandlung selbst das Wort, damit er sich gegen seine Vereinnahmung verwahre. In neues Licht geraten vor diesen Hintergründen auch die Kometenschriften des Johannes Kepler, der Auswüchse astrologischer Deutungswut beschneidet, um ihre (seiner Meinung nach) tragfähigen Äste wissenschaftlich zu beglaubigen.

Auf diese - hier nur knapp anzudeutende - Weise macht Gindhart am historischen Material sichtbar, welch großen Funktionsspielraum eine nur vermeintlich von Stereotypen beherrschte Textsorte hat und wie sehr das Kometenschrifttum des frühen 17. Jahrhunderts von einem Neben- und Ineinander der Diskurse geprägt ist. Mit besonderer Verve beschreibt sie dies am frühneuzeitlichen Umgang mit antiken Wissensbeständen. Dienten die historischen Kometenberichte aus dem Altertum vorrangig der autoritativen Beglaubigung, so musste die auf Aristoteles zurückgehende Erklärung der Himmelskörper als sublunar-meteorologische Dampfgebilde zunehmend in Widerspruch zu modernen Observationsergebnissen geraten. Der Spannung zwischen ,altem' und ,neuem' Wissen begegnen die Kometenschriften durch integrative Strategien, die im Grunde unvereinbare Modelle zu harmonisieren suchen. Mit ihrer Analyse einer enormen Diskursvielfalt und -verflechtung, die sich auf andere frühneuzeitliche Wissensbereiche übertragen lässt, in denen Tradition und Empirie in Konflikt miteinander geraten mussten, bereichert Marion Gindhart unsere diskursgeschichtliche Kenntnis der Frühen Neuzeit auf gleichermaßen gelehrte wie gut lesbare Weise. Längere lateinische Zitate sind übersetzt, ein Register erlaubt den raschen Zugriff. Alles in allem eine mustergültige Studie zum Wissenstransfer in der Frühen Neuzeit.


Titelbild

Marion Gindhart: Das Kometenjahr 1618. Antikes und zeitgenössisches Wissen in der frühneuzeitlichen Kometenliteratur des deutschsprachigen Raumes.
Reichert Verlag, Wiesbaden 2006.
325 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-10: 3895004871

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