"Die Revolution ist meine eigentliche wunderschöne Braut"

Thomas Mießgang porträtiert Fidel Castro in seinem Bildband "Vaterland oder Tod"

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mit zwölf Mann und sieben Gewehren werden wir den Krieg gewinnen", so lautete die ebenso kühne wie trotzige Parole, die Fidel Castro seiner versprengten und eigentlich schon geschlagenen Truppe auf den Weg gab. Mit 82 Mann waren sie auf der altersschwachen Yacht Granma von Mexiko kommend nach Kuba aufgebrochen, um den korrupten Diktator Fulgenico Batista zu vertreiben. Bereits bei der Landung wurden sie von der Armee Batistas, die durch den Geheimdienst von der Invasion gehört hatte, unter schweren Beschuss genommen - die Revolution schien gescheitert, noch bevor sie begonnen hatte. Doch Castro sollte mit seinem Satz Recht behalten - die zwölf barbudos, unter ihnen Raul Castro, Ernesto Guevara und Camilo Cienfuegos, führten die Revolutionäre aus der Sierra Maestra heraus zum Sieg über Batista.

Diese Geschichte machte den Führer der Truppe, den damals 33-jährigen Anwalt Fidel Castro Ruz zu einem Mythos der Politik. Für die Linken war die "Insel im Meer des Kapitalismus" seither Sehnsuchtsort und Experimentierfeld zugleich, hier sollte nach der Idee Guevaras der "hombre nuevo" entstehen. Der "socialismo tropical" war und ist ein Gegenentwurf zu den Regierungen in Pjöngjang und Peking. Der Rest der Welt nahm von Havanna erst Notiz, als die Kubakrise den Westen an den Rand eines Atomkrieges führte - dann aber umso heftiger und hysterischer. Geradezu bizarr mutete es zuweilen an, wie Castro von der westlichen Politik als der Beelzebub persönlich angesehen wurde. Vor allem die Regierungen der USA scheuen bis in die Gegenwart keine Kosten und Mühen, Kuba zu isolieren und einen Regimewechsel in ihrem Sinne herbeizuführen. Die Medien sind dabei zumeist brav auf Linie - und Kuba ist nur dann nett und vorzeigbar, wenn ein deutscher Regisseur alte Männer vor romantisch-verfallener Kulisse inszeniert.

Sicherlich ist im sozialistische Kuba bei weitem nicht alles Gold, was glänzt. Die revolutionäre Regierung hat beileibe nicht alles richtig und manches gar richtig falsch gemacht. Doch jenseits von einseitiger Verdammung und regierungstreuem Lob (wie man es in der auch auf deutsch erscheinenden kubanischen Staatszeitung "Granma" monatlich nachlesen kann) wäre eine differenzierte Berichterstattung eine wohltuende und notwendige Sache. Bei den zahlreichen Veröffentlichungen der letzten Zeit wären hier neben Castañedas Guevara-Biografie und dem launigen NDR-Feature "Die Revolution bin ich" vor allem Leicester Coltmans Biografie "Der wahre Fidel Castro" (siehe literaturkritik.de 10/2006) zu nennen, die ein ebenso stimmiges wie ausgewogenes Bild zeichnen.

In diese Reihe kann sich nun auch Thomas Mießgangs Bildband "Fidel Castro. Vaterland oder Tod" einreihen. In den letzten Jahren machte sich der Fackelträger-Verlag eher durch eine leichtverdauliche Mischung von Kulinaria und Lifestyle-Büchern mit Gesundheitseinsprengseln einen Namen, doch mit Mießgangs Buch hat das Haus ein Glanzlicht im Programm. 160 Schwarz-weiß-Fotos zeigen Castro in den unterschiedlichsten Momenten, ikonenhafte Bilder (wie etwa das berühmte Bild der Rede am 1.1.1959 mit den weißen Tauben auf dem Rednerpult) stehen neben überraschenden Eindrücken von der Privatperson. Mießgang stellt den Fotos Originalzitate zur Seite, die die Bilder kommentieren und in einigen Fällen auch konterkarieren, was sich als der eigentliche Glücksgriff des Bandes entpuppt, verfällt er dadurch nicht restlos der Faszination des Mythos Castro, die dieser für sich einzusetzen weiß. Bestes Beispiel hierfür war der Dokumentarfilm "Comandante" des US-amerikanischen Regisseurs Oliver Stone, der sogar die von Castro grantig dahingeworfene Bemerkung "In Kuba haben sogar die Prostituierten Abitur" als Aphorismus eines großen Denkers inszenierte.

Die Fotos im vorliegenden Buch sind hingegen klug ausgewählt und gegliedert. Einem Überblickskapitel, das einen kurzen Abriss des Lebens darstellt, folgen weitere zur Revolution mit markanten Bildern der Männer und Frauen aus den Rebellencamps der Sierra Maestra und den Anfangsjahren des sozialistischen Kubas. "Hebt euch den Festtagsbraten, den Rum und das Bier bis zum Juli auf" steht neben einem Bild Castros mit Strohhut und Machete bei der zafra, der Zuckerrohrernte. Ein Spruch, der symptomatisch für die Insel und seine Bewohner stehen kann, denn auch in der Gegenwart ist der Alltag auf Kuba zumeist ein Warten auf zukünftige, bessere Zeiten. War es damals die mit 10 Millionen Tonnen "größte Zuckerrohrernte aller Zeiten", die Castro anvisierte und für die die gesamte Infrastruktur und Arbeitskraft des Landes mobilisiert wurde -schließlich scheiterte sie - so ist es heute immer noch die Hoffnung auf das Ende des Periodo Especial, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ausgerufen wurde.

Seltene Bilder sind diejenigen, die das Privatleben Castros zeigen. Hält er dieses doch strengstens aus der Öffentlichkeit heraus. Der comandante beim Baseballspielen, beim Tauchen und immer wieder beim Lesen - Fotos, die sich erstaunlich von den oft inszeniert wirkenden Bildern aus den 1970er- und 1980er-Jahren abheben und nichts von den ,Privatbildern' a la Kim Jong-Il oder auch George Bush haben. "Der Herbst des Patriarchen" (immerhin, Mießgang vermeidet das in den Medien sonst übliche "Diktator") zeigt als letztes Kapitel die jüngsten Bilder von Castro vom Fall der Mauer 1989 über den Besuch des Papstes 1998 und der Medienschlacht um den Fall Elián Gonzales 2000/2001 bis hin zum Auftritt im Fernsehen nach seiner Operation im Dezember 2006. Es zeigt auch, dass Castro und das sozialistische Kuba trotz seiner massiven Probleme wieder eine Art Vorbild für eine neue linke Politik in Lateinamerika sind: Venezuelas Staatsoberhaupt Hugo Chávez und der bolivianische Präsident Evo Morales besuchten Castro wiederholt im Krankenhaus, beide Länder arbeiten eng mit Kuba zusammen.

Im letzten Kapitel zeigt sich Mießgang aber auch kritischer, die Kommentare neben den Bildern werden deutlicher, nähern sich gar bekannten ideologischen Mustern, die Zitate zwiespältiger. Irritiert ist man auch über die ständige Wiederholung der Phrase, dass man überall im Lande Porträts Castros sehen würde, eine Behauptung, die nicht ganz der Wahrheit entspricht. Tatsächlich begegnet man in Kuba erstaunlich wenig Bildern, die Castro zeigen, Guevara, Cienfuegos und sogar den (alten) Papst sieht man dagegen häufiger.

Im Gegensatz hierzu hat Mießgang im Vorwort, das dem Band vorangestellt ist, sehr gut gearbeitet. Kurz, prägnant und auf den Punkt benennt er die wichtigsten Stationen im Leben Castros, lobt und tadelt, ja bewundert den Politiker sogar offen. Er skizziert - am Ende mit Hilfe der Bilder - die unterschiedlichen Facetten des nicht einfachen Charakters und unterwirft die Errungenschaften und Maßnahmen der Revolution einer treffenden und manchmal auch ins Ironische reichenden Kurzanalyse, ohne allzu polemisch zu werden. Störend wirkt nur der Anfang des Vorwortes, der beinahe den Charakter eines Nachrufes annimmt - eine Sache, die sich Mießgang, ebenso wie manche undifferenzierte Bemerkung im letzten Bildkapitel, ruhig hätte sparen können.


Titelbild

Thomas Mießgang (Hg.): Fidel Castro. Vaterland oder Tod.
Fackelträger Verlag, Kölm 2007.
192 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783771643416

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