Auf der Suche nach einem Weg

Neue Forschungen zu Leben und Werk Klaus Manns, herausgegeben von Wiebke Amthor und Irmela von der Lühe

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Woran denkt man, wenn der Name Klaus Mann fällt? An einen vom Schicksal begünstigten „Kronprinzen der Literatur“. An zahlreiche Drogenexperimente, eine Vorliebe für Männer, an Dissonanzen mit Gustav Gründgens, das merkwürdig enge Verhältnis zur Schwester Erika, den Rechtsstreit um den Mephisto, den Selbstmord in Cannes und nicht zuletzt an das schwierige Verhältnis zum Vater, dem „Zauberer“ Thomas Mann.

Marcel Reich-Ranicki liegt also völlig richtig, wenn er zur Personalie Klaus Mann notiert: „In biographischer Perspektive wird er gern als dreifach Geschlagener“ bezeichnet. „Er war homosexuell. Er war süchtig. Er war der Sohn Thomas Manns.“

Vielen erschien der älteste Nachkomme des Nobelpreisträgers vor allem als leichtlebiger Dandy. „Er war das vollendete Bild eines jungen Mannes von Welt: Sauber wie aus dem Ei gepellt, lässig, elegant gekleidet, schlank und rank sozusagen, mit einem gescheiten, rassigen Gesicht, mit nervösen Bewegungen und einer auffallend schnellen Aussprache. Alles an ihm schien ein bisschen mariniert, aber es wurde abgedämpft durch einen klug witternden Geschmack. Der ganze Mensch hatte etwas Ruheloses, überhitzt Intellektuelles und vor allem etwas merkwürdig Unjugendliches“, urteilte Oskar Maria Graf.

An seinem Ruf als enfant terrible, der ihn in den 1920er-Jahren ereilte, war Klaus Mann selbst nicht ganz unschuldig. „Der flitterhafte Glanz, der meinen Start umgab, ist nur zu verstehen – und nur zu verzeihen – wenn man sich dazu den soliden Hintergrund des väterlichen Ruhms denkt. Es war in seinem Schatten, daß ich meine Laufbahn begann, und so zappelte ich mich wohl etwas ab und benahm mich ein wenig auffällig“, urteilte Klaus Mann rückblickend einsichtig in seinem autobiografischen Werk „Der Wendepunkt“.

Das außergewöhnliche Leben, Klaus Manns, geprägt vom Münchener Großbürgertum, der Bohème der Jahrhundertwende, dem Sündenbabel Berlins der 1920-Jahre, der Exilzeit während des Zweiten Weltkrieges, provoziert immer wieder eine ausschließlich biografische Lesart seiner Werke. Die tatsächlich auffälligen und nur wenig verschlüsselten Parallelen zum Leben Klaus Manns, die teilweise vermeintlich wiedererkennbaren Figuren, die tatsächlich so oder ähnlich statt gefundenen Erlebnisse, erschweren es dem Leser zudem, beim Lesen den Autor und seinen berühmten Vater zu vergessen und sich einem Werk zu widmen, das eine ungeteilte Aufmerksamkeit und eine unvoreingenommene Rezeption durchaus verdient hätte.

Klaus Manns Romane – und das zeigt „Auf der Suche nach einem Weg“ – sind mehr als nur eine Fundgrube für biografische Notizen zu einem von Skandalen geprägten Leben. Liest man seine Werke, angefangen beim „Frommen Tanz“, über „Flucht in den Norden“, „Treffpunkt im Unendlichen“ bis hin zu seinem heute wohl bekanntesten Werk „Mephisto“, lässt sich nicht nur eine gravierende literarische Weiterentwicklung des Autors verfolgen, vielmehr zeichnet Klaus Mann ein gesellschaftliches Panorama Deutschlands zwischen den Weltkriegen. Er greift wichtige gesellschaftliche Tendenzen, Strömungen und Entwicklungen der Weimarer Republik auf. Seine Romane besitzen demnach durchaus auch einen historischen Wert.

Besonders hervorzuheben ist hier Klaus Manns Fähigkeit, präzise zu beobachten, Zusammenhänge anhand kleinster Details auf subtile Art und Weise unmissverständlich deutlich zu machen und zu werten. Eine Qualität, die nur wenig gewürdigt wurde und im allgemeinen – und natürlich auch berechtigten – Gemoser über die Flüchtigkeiten und Nachlässigkeiten in seinen literarischen Arbeiten, stets unterzugehen drohte.

„Im Exil, in das ihn die Nazis im Frühjahr 1933 trieben (nach Paris, Amsterdam und in die Vereinigten Staaten), wurde Klaus Mann rasch zu einem wichtigen Sprecher der deutschen Literatur. Im Kampf gegen das Hitler-Regime fand er die Aufgabe seines Lebens. Hier bewiesen sich seine großen Fähigkeiten als Vermittler: zwischen den Kulturen, zwischen politisch rivalisierenden Strömungen, zwischen einzelnen Personen“, urteilt Uwe Naumann vom Rowohlt Verlag und hebt so eine wesentliche Eigenschaft Klaus Manns hervor, die ihn vor allem als europäischen Intellektuellen kennzeichnet.

Seine späten literarische Projekte sind ein politisches Instrument. Wenn man also schon biografische Fußnoten beachtet, dann sollten es jene sein, die seine Entwicklung von einem leichtlebigen jungen Mann zu einem Schriftsteller und Publizisten zeigen, der sich ernsthaft und couragiert mit seiner Zeit auseinandersetzte. Vor dem Hintergrund der Exilerfahrung unternahm Klaus Mann mit der Herausgabe von Zeitschriften wie „Die Sammlung“ und „Decision“ oder der späten Anthologie „Heart of Europe“, die in englischer Sprache erschien, den Versuch, sich der Auflösung der europäischen Identität, die eben auch ihre Unschärfen hatte, entgegen zu stemmen.

Dass der Schriftsteller Klaus Mann aus all den genannten Gründen nicht nur eine Würdigung und Bewertung jenseits jeglicher familiären Verbindungen verdient hat, sondern dass es, wenn es gelingt die Biografie Klaus Manns außen vorzulassen, tatsächlich noch Neues im Werk Manns zu entdecken gibt, zeigen Wiebke Amthor und Irmela von der Lühe anhand der von ihnen versammelten Beiträge in „Auf der Suche nach einem Weg. Neue Forschungen zu Leben und Werk Klaus Manns“.

Eröffnet wird der Band mit einem Überblick über den Stand der Klaus-Mann-Editionen von Uwe Naumann. Wieviel allein auf diesem Gebiet noch zu leisten ist, es noch zu vervollständigen und bearbeiten gilt, zeigt Naumanns Beispiel einer wieder aufgetauchten Korrespondenz mit W.E. Süskind. Klaus und Erika Mann, die dem Jugendfreund Entgleisungen wie die Äußerung die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten sei „im Grunde gut gemeint“ gewesen, nicht verzeihen konnten, hatten im Exil den Kontakt zu dem Schriftsteller abgebrochen. Während Erika auch Jahre später noch jedes Angebot zur Aussöhnung ausschlug, ist nun ein Brief aus Privatbesitz aufgetaucht, der Klaus Mann weit zugänglicher und nachsichtiger zeigt, als seine Schwester es je gewesen ist. Er schrieb im Oktober 1948 an W.E. Süskind, nachdem ihm ein Zeitungsartikel des ehemaligen Freundes in die Hände gefallen war: „Und da wollte ich Dir denn sagen, dass ich das einen bemerkenswert guten Aufsatz finde. Nicht nur gut gesagt – sondern auch gut gedacht – was weniger selbstverständlich ist.“

Klaus Manns Debütroman „Der fromme Tanz“ war 1925 herausgekommen. Er hatte sich damit als Autor des ersten homosexuellen Romans in der deutschen Literatur hervorgetan, ein Tabu gebrochen, was ihm der Vater allerdings übel nahm. Beinahe zeitgleich mit dem „frommen Tanz“ hatte Thomas Mann seinen Essay „Über die Ehe“ publiziert. Auf seinen Einsatz für eine Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Neigungen wird oft verwiesen, wenn die Frage nach der Modernität Klaus Manns gestellt wird. Was seinen literarischen Stil anging, wurde er zumeist als konventionell beurteilt. „Er bekannte sich zu Herman Bang, Oscar Wilde, Peter Altenberg, Frank Wedekind, Stefan George, Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke als seinen literarischen Vorbildern und aus diesen wie aus anderen Gründen nannte ihn Bertolt Brecht schon 1926 ,älter als Gott‘“. Er schrieb schnell, ohne viel an seinem Ausdruck zu feilen, vertrat vor allem Inhalte, keinen neuen Stil“ lautete das Urteil in fast einhelligem Kontext. Fredric Kroll macht sich in seinem Beitrag „Ist Klaus Mann ein moderner Autor?“ trotzdem auf die Suche nach modernen Elementen in der Stilistik des Schriftstellers – und wird fündig.

Ralph Winter kehrt in „Wir sind eine Generation“ dankenswerter Weise der Vater-Sohn Thematik den Rücken und fragt übergeordnet nach dem Generationsbewusstsein Klaus Manns – und im zweiten Teil des Bandes hat etwa Jörg Jungmayer, statt wie es in der Mann Forschung üblich ist, über André Gide als Einflussfigur bei Klaus Mann zu schreiben, den Einfluss Sören Kierkegaards auf den Schriftsteller herausgearbeitet. Auch das ist eine neue Perspektive, denn „Kierkegaard gehört nicht zu den prägenden Gestalten des jugendlichen Leseolymps von Klaus Mann: Sokrates, Friedrich Nietzsche, Walt Whitman, Novalis und Stefan George, zu denen in den späten zwanziger Jahren noch André Gide hinzukommen sollte.“

Im dritten Teil des Bandes „Klaus Mann und das Kino“ wagen Michael Töteberg, Anke-Maria Lohmeier und Karina von Lindeiner den Versuch der Klaus-Mann-Forschung ein „neues“ Feld zu erschließen. Besondere Aufmerksamkeit wird hier „auf die Bedeutung gelegt, die Klaus Mann dem Film als neuem Medium in seinem künstlerischen Selbstverständnis und in seinem Werk zugemessen hat.“

„Auf der Suche nach einem Weg“ versammelt Beiträge, „die Klaus Mann im Kontext der ,intellectual history‘ des 20. Jahrhunderts als Grenzgänger zwischen Heimatlosigkeit und säkulärer Religiosität beschreiben und sein literarisches und essayistisches Werk zwischen ästhetischer Autonomie und politischem Engagement verorten.“ Wer der biografischen Spurensuche dennoch nicht widerstehen kann, der sollte versuchen, diese möglichst auf die frühe Autobiografie „Kind dieser Zeit“ und den „Wendepunkt“ zu beschränken, auf den Susanne Utsch in „Auf der Suche nach einem Weg“ ausführlich eingeht. Verwiesen sei an dieser Stelle auch auf die Klaus-Mann-Schriftenreihe von Fredric Kroll: „Dieses 1976 begonnene Projekt rekonstruiert auf über 3.000 Seiten akribisch das Leben und Schreiben Klaus Manns, beinah von Tag zu Tag“, wie Kroll bemerkt.

Für alle anderen gilt: Ein zweiter Blick, ein Perspektivewechsel lohnt sich – und wäre sicher auch im Sinne Klaus Manns. Nicht umsonst forderte dieser ununterbrochene „Bemühung des Aufnehmens, des Wählens, Einordnens und Verwertens. Unterwegs sein, diese Welt kennenlernen, von der wir mit unverständigem Anspruch verlangen, daß sie auch uns kenne. In Bewegung bleiben, auch wenn wir noch nicht genau wissen, wohin es geht.“

„Auf der Suche nach einem Weg“ trägt durch eben dieses Vorgehen dazu bei, den Perspektivwechsel in Bezug auf die Personalie Klaus Mann und sein literarisches Werk zu erleichtern.

Titelbild

Wiebke Amthor / Irmela von der Lühe (Hg.): Auf der Suche nach einem Weg. Neue Forschungen zu Leben und Werk Klaus Manns.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
199 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783631567586

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