Haute Cuisine

Wie Renate Möhrmanns Roman „Die Frau, die kocht“ dem Trend der Kochkrimis hohe Maßstäbe setzt

Von Nadja UrbaniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadja Urbani

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie heißen „Eisbombe“, „Kochwut“, „Mordstafel“ oder „Leichenschmaus“, die Krimis, die uns auf einer neuen Trendwelle entgegenschwappen. In Fachkreisen werden sie nach der französischen Küche „Cuisine“ genannt: Ein Mordfall im Kochmilieu, der von einem Kriminalbeamten oder von einem Koch selbst gelöst wird: Leichte Unterhaltungsliteratur, garniert mit Kochrezepten.

Das Cover von Renate Möhrmanns drittem Roman „Die Frau, die kocht“ lässt eben solch einen leicht bekömmlichen Kochkrimi vermuten: Frauenhände in Handschellen und ein rot triefender Kochlöffel. Unterhaltsam zu lesen ist er zwar, aber gleichzeitig sprengt Renate Möhrmanns Roman das Genre des Kochkrimis, indem nicht nur ermittelt und in die Kochtöpfe und Küche geschaut wird, sondern in die Tiefen der menschlichen Psyche.

Ricarda, die Köchin des Romans, ist eine Naturgewalt. Kochen ist ihre Obsession, und zwar von Kindesbeinen an. Schneiden, Schnippeln und Brutzeln sind ihr ein so großes Bedürfnis wie das Essen selbst. Schon früh verschmäht sie das lieblos zubereitete Essen ihrer Mutter, will heraus aus dem Elternhaus, in dem ihr Gewalt angetan wird – weil sie anders ist. Weil sie nicht studieren will, sondern kochen. Weil sie ihre Sexualität so lebt, dass es ihrer Mutter die Schamesröte ins Gesicht treibt. Weil sie nicht einsehen will, warum sie ihre Triebe unterdrücken soll.

Der Leser weiß nach guter Krimimanier gleich zu Beginn: Etwas ist passiert. Etwas von so gewaltigem Ausmaß, dass die inzwischen 25-jährige Ricarda im Gefängnis sitzt und eine Therapeutin, Christiane Berg, ihre Vergangenheit durchforstet. Ricardas geliebte Tante Johanna erzählt der Ermittlerin von dem Mädchen, das schon als Kind mit Freude Messer wetzte. Und schäumt über, dass ihre Nichte doch keine Kannibalin sei. Spätestens mit diesem Erzählkniff hat der Kochkrimi den Leser an der Angel. Er will wissen, welchen Weg das Mädchen gegangen, wo es vielleicht falsch abgebogen ist – und ein paar Schritte mitgehen.

Ricardas Leidenschaftlichkeit und Unbeugsamkeit treiben sie aus dem Elternhaus hinaus in die hackgeordnete Großküche des Londoner Hotels Majestic, wo sie sich die gierigen Männer mit einer Kasserolle vom Leib hält und ihre Messersammlung entschlossen vor dem langfingrigen stellvertretenden Küchenchef verteidigt. Ricarda kocht im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Umfallen. Bis die gute Fee ihres Lebens, Tante Johanna, sie zurück nach Hamburg holt und ihr dort den Traum ermöglicht, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Das „Tischlein deck dich“ ist eine Welt, in der Ricarda ihr eigenes Kochmärchen leben kann. Eine Idylle, wie sie sich eine Feministin mit Herzblut, die die Autorin ist, ausmalt: Drei gleichberechtigte Köchinnen, keine Männer, die sie sexuell belästigen und die totale Harmonie sowohl untereinander als auch im Ambiente des Restaurants. Die Kellnerinnen sind Tänzerinnen, die durch den Raum schweben wie auf einer Bühne und die Gäste ebenso betören wie das leidenschaftlich zubereitete Essen. Es hat schon etwas von Erlebnisgastronomie, was hier beschrieben wird, und der Leser ist geneigt, sich nach eben diesem „Tischlein deck dich“ zu sehnen.

Sehnsuchtsvoll wird die junge Restaurantbesitzerin Ricarda auch von dem Stammgast Gonçalves beäugt. Doch die Frauen haben eine klare Regel: Keine handfesten Flirts mit den Gästen. Aber als Gonçalves seinen Sohn Leander zum Essen mitbringt, trifft es Ricarda – sie verliebt sich in den Jungen und geht zu weit. Es ist eben doch keine klassische Cuisine-Geschichte, die in eine glückliche Liebesgeschichte mündet.

Wer das Werk von Renate Möhrmann kennt, weiß, worauf er sich einlässt. Der erwartet nach „Melusine“ und „Antonia und Sarah“ auch von „Die Frau, die kocht“ nicht nur oberflächliches Gekratze an einem blutigen Kochtopf, sondern ist auf viele literarische Zitate und feministische Auseinandersetzungen gefasst – ja geradezu gespannt. Diesmal zeigt die Erzählerin Parallelen zwischen Heinrich Heines England-Reise und Ricardas Aufbruch in die Freiheit der Metropole London. Die Worte des Düsseldorfer Dichters trösten die Köchin, sie hält auf der Suche nach Freiheit beharrlich durch. So wie ihre Eltern es verhindern wollten, dass sie Köchin wird, so sollte auch Heine nicht den schlimmsten aller Wege gehen: Dichter zu sein.

Auch in diesem Roman scheint die Frauenrechtlerin Möhrmann durch. Ricarda wird von ihrer hygienefanatischen Mutter die Beschneidung angedroht, um ihre Triebhaftigkeit zu bekämpfen. Doch wie es einer feministischen Heldin gebührt, folgt Ricarda weiterhin ihrem Instinkt und unterdrückt ihr Wesen nicht.

Aber ist das Kochen nicht eigentlich ohnehin Frauensache? Ein Mittel, um das Lob des Ehemanns einzuheimsen und sich beliebt zu machen? Nein, Kochen, wie Ricarda es kann, ist Kunst. Was Ricarda am Kochen so fasziniert, kann sie selbst am besten erklären: „Am Anfang steht eine Idee. Du stellst dir ein Gericht vor. Kaufst ein. Machst deine Vorbereitungen, wobei dir schon das Wasser im Mund zusammenläuft, arbeitest auf den Höhepunkt zu, das vollendete Gericht, das du dann mit anderen gemeinsam genießt. Das hat etwas Orgastisches.“

Ricarda entscheidet sich für die englische Küche, die im Gegensatz zur französischen Küche stets in den Händen von großen Köchinnen war. Doch die Küche im Hotel Majestic ist eine Männerdomäne, in der sich das junge Mädchen mit viel Kraft behaupten muss.

Köchin zu sein, ist auch später für die Frauen von Ricardas Restaurant problematisch, weil der Beruf nicht mit der häuslichen Frauenrolle in Einklang zu bringen ist. Aber die Crew des „Tischlein deck dich“ genügt sich selbst: „Wozu brauchen wir amore, wo das Glück im Kochtopf liegt?“

Eben weil nicht nur eine spannende Handlung vermittelt wird, sondern dieser Kochkrimi sich ganz im Sinne Simone du Beauvoirs über das Essen dem wahren Sein nähert, kann Renate Möhrmanns Roman als „Haute Cuisine“-Literatur bezeichnet werden. Gleichzeitig ist es auch das Kochmärchen einer Frau, die sich einen Traum verwirklicht. Ob Ricarda nun eine Kannibalin ist oder nicht, eines wird in der tiefgründigen Charakterstudie deutlich: Dass sie eine unbeirrbare Frau ist, die kocht, bis sie umfällt – um dann wieder aufzustehen. Dieser Enthusiasmus wirkt ansteckend. Ein bewegendes und aufmunterndes Buch, das man gerne ein Stück mitnimmt auf dem Weg zum eigenen Ziel.

Titelbild

Renate Möhrmann: Die Frau, die kocht. Roman.
Schenk Buchverlag, Passau 2009.
225 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783939337508

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