Rummenigge ist an allem schuld!

In Vins Gallicos preisgekröntem Debütroman „Respekt“ gerät eine Sportjournalistin ins Visier der kalabrischen ‘Ndrangheta

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft 1982 in Spanien verlor Deutschland gegen Italien mit 1 zu 3. Auf Seiten der Squadra Azzurra tat sich dabei der gerade einmal 19-jährige Verteidiger Giuseppe Bergomi hervor. Sein Gegenspieler Karl-Heinz Rummenigge, der ohnehin leicht verletzt in die Finalpartie gegangen war, sah gegen den Mann von Inter Mailand alles andere als gut aus. Das Bild, wie der Italiener hinter dem Deutschen herhetzte, um den Ball zu erobern, brannte sich damals dank einer Fotografie in der „Gazzetta dello Sport“ in die Hirne vieler Fußballfans ein.

Auch die beiden Kalabresen Alessio Caridi und Domenico Quattrone, denen der Leser zu Beginn von Vins Gallicos Debütroman „Respekt“ begegnet, waren als junge Männer hingerissen von dem sportlichen Duell. Und da sie außerdem eine gewisse Ähnlichkeit mit dem deutschen und dem italienischen Nationalspieler besaßen, nannte man sie im Kreise ihrer Freunde ab sofort nur noch Rummenigge und Bergomi.

Allerdings dauert es nicht lange in „Respekt“, dessen Handlung 27 Jahre nach dem Turnier von 1982 einsetzt, bis Rummenigges Boss ihn dazu zwingt, Freund Bergomi über die Klinge springen zu lassen, um das eigene Leben zu retten. Beauftragt, zwei angeheuerte Brandstifter einer rivalisierenden ‘Ndrangheta-Gruppierung auszuschalten, haben die nicht mehr ganz so jungen Helden nämlich im Dunkel der Nacht und in der Hektik des Augenblicks die Falschen erwischt. Damit ist der ganze Plan von Don Rocco Stillitani gefährdet, und weil es sich noch dazu bei den zufälligen Opfern der Attacke um zwei junge griechische Fußballspieler handelt, die ein Turnier nach Reggio Calabria und schließlich auf die Idee gebracht hatte, sich von ihrer Mannschaft vor deren Rückflug abzusetzen, ruft das sofort die Sportjournalistin Tina Romeo auf den Plan.

Rivalitäten zwischen Untergruppierungen der kalabresischen ‘Ndrangheta, eine taffe Reporterin, die, ganz im Stile ihres Vorbilds Roberto Saviano, die Konfrontation mit den regionalen Paten nicht scheut, hilflose oder bestochene Polizisten und Staatsdiener, die Verflechtung der Köpfe des Verbrechens mit Vertretern von Staat, Wirtschaft, Justiz und Kirche: Gallico lässt nichts aus, um seinen Lesern einen spannenden Blick hinter die Kulissen einer Organisation zu erlauben, die immer im Schatten von sizilianischer Mafia und neapolitanischer Camorra stand und der auch literarisch bisher eher weniger Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Aus unterschiedlichen Figurenperspektiven und mit geschickt gehandhabten Zeitbrüchen arrangiert er das Panorama eines straff organisierten „Staats im Staate“, der sich längst nicht mehr nur durch Entführungen und Schutzgelderpressungen finanziert, sondern seine Finger in den ganz großen Geschäften hat.

Um ein solches geht es letztlich auch bei der Brandstiftung an einer Flanke des Aspromonte-Gebirges. Denn dort, wo er den Hang hat kahlbrennen lassen, will der Pate Stillitani in großem Stil eine Abfallbeseitigungsanlage errichten und richtig abkassieren. Pech nur, dass ein beträchtlicher Teil des Geländes seinem lokalen Widersacher Giuseppe (Peppe) Parisi gehört, der ohnehin seit Jahrzehnten ein Hühnchen mit Stillitani zu rupfen hat. Da allerdings die jährliche Zusammenkunft aller ‘Ndrangheta-Bosse bevorsteht, will man die sich beständig verschärfenden Konflikte nicht schon vorher eskalieren lassen. Wenn da nicht diese vorlaute Journalistin wäre, die Parisi so lange reizt, bis der seine Killer auf sie ansetzt, während Stillitani seinen Handlanger Rummenigge in die Spur schickt, um Tina Romeo vor allem Ungemach zu beschützen. Dass sowohl der eine wie auch der andere mehr mit der mutigen jungen Frau zu tun hat, als Romeo selbst bewusst ist – diese Überraschung hebt sich der Roman bis ganz zum Schluss auf.

„Respekt“ gehört zur „neuen kalabresischen Literatur“, die sich dem Phänomen der ‘Ndrangheta mit Ehrlichkeit und Offenheit nähert. Der heute in Rom lebende Vins Gallico kennt Kalabrien und seine Probleme von Kindesbeinen an. Dass das organisierte Verbrechen, historisch wie genealogisch tief verwurzelt in der Region, von heute auf morgen zum Verschwinden gebracht werden könnte, glaubt er deshalb nicht.

Seine Hauptfigur Tina Romeo bringt diese Überzeugung am Ende des Romans auf den Punkt: „Wenn die ‘Ndrangheta überlebte, dann hatte sie das nicht sich selbst zu verdanken. Der Staat trug die Verantwortung. Sie konnte Hunderte von Artikeln schreiben, die den Mut und die Pflichten der Bürger beschworen. Wenn der Staat nicht die Absicht hatte, die ‘Ndrangheta zu zerschlagen, dann war nichts zu machen. Die Bedingungen eines zivilisierten Zusammenlebens in Kalabrien waren schlicht nicht gegeben.“

Dass dennoch Einzelne mit Mut immer wieder ihre Stimme gegen die eingefahrenen, archaischen Verhältnisse erheben, zu Gegenwehr aufrufen und dabei ihr Leben riskieren, ist die positive Botschaft des vorliegenden spannenden Romans. Gerade jene, die sich nicht einschüchtern und stumm machen lassen, verdienen den Respekt, den Gallico in den Titel seines Erstlings gehoben hat, in vollem Maße.

Titelbild

Vins Gallico: Respekt. Ein ’Ndrangheta-Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Max Henninger.
Assoziation A, Berlin 2013.
384 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783862414222

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