Zur regionalen Implementierung globaler Geschlechterpolitik

Genia Findeisen und Kristina Großmann von der Südostasien-Informationsstelle geben gesammelte Länderberichte zu „Gewalt gegen Frauen in Südostasien und China“ heraus

Von Astrid LipinskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Astrid Lipinsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die regionale Betrachtung

Ausgangspunkt der Herausgeberinnen sind weltweit, auch in Südostasien, anerkannte Dokumente der Vereinten Nationen, die spätestens mit der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien 1993 jegliche Gewalt gegen Frauen global als Menschenrechtsverletzung definiert haben. Aus den unterschiedlichen Gewaltformen wählen sie die häusliche Gewalt als die erstens kulturunabhängig und wahrhaft global und zweitens am häufigsten vorkommende Art von Gewalt. Kriegerische und ökonomische Konflikte verstärken länderübergreifend von Männern ausgeübte häusliche Gewalt. Der länderübergreifende, regionale Vergleich wird jedoch über die zehnseitige Einleitung der Herausgeberinnen hinaus nicht weiter verfolgt oder vertieft und bleibt ein Desideratum für den Folgeband, gerade im Hinblick darauf, dass die Südostasien-Informationsstelle diesen regionalen Ansatz explizit verfolgt.

Die Länderberichte

Anstelle einer vergleichenden Betrachtung folgen Berichte zu einzelnen Ländern. Ist es legitim, Länderberichte zu den Mitgliedsstaaten der ASEAN nebeneinander zu stellen, wo sich die ASEAN-Mitglieder doch bekanntermaßen extremst unterscheiden, von Sprache, ethnischer Zugehörigkeit, Wohlstand bis zur Religion? Und was ist mit China, kein ASEAN-Land? Und wieso China, wenn Indien, das doch dann auch behandelt hätte werden müssen, nicht vorkommt?

Die Frage nach China beantworten die Herausgeberinnen nicht, aber ohnehin erheben sie nicht den Anspruch, „Südostasien“ (und China) gleichgewichtig abzubilden. Der Band hat einen deutlichen Schwerpunkt auf Indonesien (fünf Beiträge), Thailand und China (jeweils drei Beiträge) sowie Ost-Timor und Birma (je zwei Beiträge), während die Philippinen, Malaysia, Singapur, Kambodscha, Laos und Vietnam jeweils in einem einzigen Artikel abgehandelt werden, und ASEAN-Mitglied Brunei überhaupt nicht vorkommt. Wer also einen Länder-Überblick zum Thema der „Gewalt gegen Frauen in Südostasien“ sucht, den bedient dieses Buch nur eingeschränkt.

Die Themen

Stattdessen werden einzelne Aspekte des Themas „Gewalt gegen Frauen“ zumindest mit einem Länderbeispiel angerissen. Für Indonesien werden die Möglichkeiten der Einbeziehung der Männer in die Arbeit gegen häusliche Gewalt geschildert; für die Philippinen (die katholische Kirche) und Birma (Probleme interreligiöser Ehen) der Einfluss von Religion(en) auf den Umgang mit Gewalt.

CEDAW

Daneben gibt es Themen, die für jedes Länderbeispiel behandelt werden, nämlich die nationale Gesetzgebung unter internationalem Einfluss. Alle behandelten Staaten haben die Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen (CEDAW) von 1980 unterschrieben und ratifiziert. Die Volksrepublik China gehört sogar zu den Mitautoren des Konventionstextes und den Erstunterzeichnern (1980). Laos und die Philippinen haben bereits 1981 ratifiziert, Indonesien (1984) und Thailand (wie die Bundesrepublik Deutschland 1985) noch in den 1980ern, Singapur allerdings erst 1993. Wenn die CEDAW-Mitgliedschaft in Südostasien von großer Bedeutung ist, wie die Beiträge nahelegen, wäre eine tabellarische Übersicht hilfreich gewesen und hätte auch bei einem vergleichenden Blick geholfen. So entsteht dagegen der Eindruck, dass eine nationale CEDAW-Ratifizierung im Wesentlichen eine Folge des Druckes der westlichen Entwicklungshilfegeber ist. Eine nationale Gewaltschutz-Gesetzgebung ist in allen südostasiatischen Ländern wesentlich später Ende der 1990er-Jahre oder sogar nach 2000, aber Deutschland war hier, wie die Herausgeberinnen feststellen, auch nicht früher (Deutschland: 2002; Malaysia als erstes südostasiatisches Land 1994).

Die UN-Weltkonferenzen

Der Sammelband kommt genau zur rechten Zeit, da sich 2014 die UN-Weltkonferenz für Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) von Kairo zum zwanzigsten Mal jährt, die die Stärkung von Frauen (empowerment) als unverzichtbare Voraussetzung von Entwicklung forderte. Die Buchbeiträge zu einzelnen Staaten lassen sich durch die neuesten UN-Zahlen ergänzen. Die ICPD-Konferenz hatte das Selbstbestimmungsrecht von Frauen hinsichtlich von Schwangerschaft und Gebären unterstrichen (sogenannte reproductive rights), und das Buch zeigt, wie sehr sich Männer gegen die Statusaufwertung von Frauen in der Familie – auch mit Gewalt – wehren, und wie sehr Männer ihre familiäre Autorität nutzen, um Schwangerschaften zu erzwingen oder Frauen von ihren leiblichen Kindern fernzuhalten.

Eine asiatische Familienkultur?

Länderübergreifend stellen mehrere Berichte die herausgehobene besondere Stellung der Familie in Südostasien fest. Sogar eine Mehrheit der Frauen stimmt darin überein, dass die Interessen der Familie Vorrang haben und sind bereit, Schläge für angebliches eigenes Fehlverhalten zu akzeptieren. Entsprechend ist in der Mehrzahl der südostasiatischen Länder mit Ausnahme von Thailand und Indonesien die Vergewaltigung in der Ehe nicht als Straftatbestand vorgesehen (in Deutschland strafbar seit 1997). Die ursprünglich um 1900 aus Japan nach China exportierte Rolle der ,tugendhaften Ehefrau und guten Mutter‘ (chinesisch xianqi liangmu) ist, wie das Buch zeigt, weniger konfuzianisch als gedacht und lässt sich mit gleichem Inhalt etwa im muslimischen Süd-Thailand finden. Dies ist ein Argument dafür, dass das von Singapur ständig hervorgehobene ,Konfuzianische‘ kulturell weniger Ostasien (China, Japan, Korea, Taiwan) von Südostasien trennt, als dass vielmehr ein verschieden benannter Familismus Asien eint, und zwar unabhängig vom Wohlstand, Urbanisierungsgrad oder Religion der jeweils betrachteten nationalen Bevölkerung. Trotz aller Diversität sind also über Südostasien hinausgehende ,asiatische Analogien‘ denkbar.

Andere asiatische Gemeinsamkeiten: Postkoloniale ,Kultur‘

Die Erfahrung der Kolonialisierung führt in fast allen (mit Ausnahme von Thailand) in „Gewalt gegen Frauen in Südostasien und China“ beschriebenen Ländern zur besonderen Wertschätzung der ,eigenen‘ Tradition bei gleichzeitiger Ablehnung alles ,Fremden‘ (einschliesslich vermeintlicher westlicher Importe) als aufgezwungen. Konservative, patriarchale und aggressive Gewalt wird dagegen als Bestandteil der einheimischen Kultur legitimiert und jede Neuerung abgelehnt. Der Band zeigt, dass die Präsenz von Entwicklungshelfegebern die Feindseligkeit zu verstärken droht.

Die NGOs

Im China-Kapitel werden die Staatsnähe zivilgesellschaftlicher Vereinigungen und ihre totale Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern explizit thematisiert, aber auch bei anderen Länderbeispielen wird die inhaltliche Orientierung an den Präferenzen von internationalen Entwicklungshilfeorganisationen deutlich. Das führt einerseits zu einem Diskurs auf internationalem Standard, aber andererseits zur Fragwürdigkeit der Repräsentativität der Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, die im Buch mit eigenen Beiträgen zu Wort kommen. Den wissenschaftlichen Anspruch – wer hat den Beitrag aus welcher Originalsprache übersetzt? Woher und aus welchem Jahr stammt das Original? – erfüllt der Band nur teilweise. Das Format der einzelnen Beiträge ist sehr unterschiedlich und reicht vom komplexen wissenschaftlichen Apparat (zitierte Literatur, Literaturverweise, Fußnoten) und der Wiedergabe ethnologischer Interviewforschung bis zur Situationsschilderung aus Sicht einer Frauen-NGO. Dennoch gleitet kein einziger Artikel ins rein subjektiv-Anekdotische ab; jeder liefert Informationen, die zur näheren Betrachtung herausfordern.

Fazit:

Wer den nächsten Strandurlaub in Thailand plant, sollte das Buch im Gepäck haben. Wer Asien mit China gleichsetzt, erfährt nicht nur etwas über China, sondern auch, dass Asien weit mehr beinhaltet. Wer immer schon wissen wollte, was unter der regionalen Diversität zu verstehen ist, erhält einen guten ersten Länder-Überblick. Wer sich regionalspezifisch auf ICPD + 20 vorbereiten möchte, findet im Sammelband eine Argumentationsgrundlage. Vor allem aber wirft die Lektüre eine Vielzahl neuer Fragen und weiterführender Interessen auf und bringt für die überhaupt nicht Asien-Interessierte die Erkenntnis der Globalität von „Gewalt gegen Frauen“.

Titelbild

Genia Findeisen / Kristina Großmann (Hg.): Gewalt gegen Frauen in Südostasien und China. Rechtslage, Umgang, Lösungsansätze.
regiospectra Verlag, Berlin 2013.
244 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783940132543

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