Ander(e)s schreiben

Zwei Sammelbände nehmen neue Perspektiven auf kollektive Kreativität und Autorschaft ein

Von Niels PenkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Niels Penke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es scheint als hätten sich sowohl die Literaturwissenschaft als auch der ‚Autor’ gut von dessen Tod erholt. Ein reflektierter Umgang mit den im Zeichen des Poststrukturalismus dekonstruierten Größen Autor, Autorschaft und Werk stellt mittlerweile kein Problem und erst recht keine Provokation mehr da. Doch wenn auch viele der in den letzten fünfzehn Jahren geschriebenen Arbeiten in methodischer und theoretischer Hinsicht neue Wege gegangen sind, sich überzeugend kritisch von der der alten Autor-Gläubigkeit einer vor-strukturalistischen Hermeneutik ab- und über die Postulate eines Roland Barthes argumentativ hinweggesetzt haben, ist ihnen eines doch keineswegs gelungen – sich von der Reproduktion bestimmter Attribute des ‚alten‘ Autor-Subjekts als (fast ausschließlich) weißem, männlich codiertem, ‚genial‘ schaffendem Individuum zu befreien. Gegenüber diesem dominanten Paradigma, das gleichwohl nur eine historische Formation unter anderen ist, sind – so absurd eine solche Formulierung angesichts der reinen Quantität dieser unüberschaubaren und kaum ausdifferenzierten Menge auch erscheint – ‚alternative‘ Autorschaftsmodelle und Schreibpraktiken stets marginalisiert worden und dieses zumeist auch geblieben.

Vor diesem Hintergrund unternimmt es der von Claudia Gronemann, Tanja Schwan und Cornelia Sieber herausgegebene Band „Strategien von Autorschaft in der Romania“ das Ordnungsmuster ‚Autor‘ neu zu perspektivieren. Die Herausgeberinnen konstatieren in der Einleitung, dass die Ausbildung der modernen, auf Individualität begründeten Autorschaftsvorstellung historisch mit der der bürgerlichen Zweigeschlechtlichkeit zusammentrifft, die das schreibende Subjekt nur als ein männliches habe hervorbringen können. Vor diesem Ausgangshorizont sind 17 Beiträge mit durchweg gendertheoretischer Perspektive versammelt. Historisch ist das Spektrum dabei weit gefasst vom 16. bis zum 21. Jahrhundert, von Louise Labé und dem ‚weiblichen Petrarkismus‘ über Faustina Sáez de Melgar bis zu Clarice Lispector und Ana Nobre de Gusmaos, an deren Roman „A prisioneira de Emily Dickinson“ Cornelia Sieber die mehrdimensionale ‚Autorschaft zu viert‘ nachzeichnet, die als Ausgangsgrundlage Dickinsons Texte, die Protagonistin und das Publikum im Sinne des ‚lector cómplice‘ aktiv als Co-AutorInnen miteinbezieht.

Doch der Band bietet nicht nur Problemerörterungen von ‚weiblicher‘ Autorschaft im Spannungsfeld genuin männlich codierter Konzepte und Begriffe, sondern beschreibt eine Vielzahl diskursiver Praktiken zur Selbstfindung und Selbstbehauptung gegenüber dem Standardmodell literarischer Autorisation. Die Herausgeberinnen betonen ausdrücklich im Anschluss an Stephen Greenblatt und seine Theorie das Self-Fashioning in den Blick zu nehmen, um gegenüber den allgemeineren Traditionslinien auch die individuellen Abweichungen und damit Brüche ins rechte Licht zu setzen. Damit geraten vielfältige Inszenierungspraktiken in den Blick, etwa im Kontext der problematischen Parallelisierung des Produktivitätspostulats von Autorschaft und Mutterschaft wie Christine Ott am Beispiel der ‚Autofiktionen‘ Lalla Romanos zeigt. Diese ‚anderen‘ Semantiken von Autorschaft und den darauf basierenden Selbstentwürfen als AutorIn relativieren die bisherige Eindeutigkeit geschlechtlicher Codierungen. Selbst dort, wo sie keine bewusste Absetzung vom dominanten Paradigma ‚männlicher‘ Autorschaft bedeuten, werden zumindest Mehrdeutigkeit und Offenheit angezeigt. So etwa in Isabel Maurer Queipos Beitrag, der am Beispiel Amélie Nothombs ‚Labyrinthe‘ der Polyphonie, Polyphrenie und Androgynie aufdeckt, die einen spielerischen Umgang mit Rollen und Identitäten erkennen lassen.

Dass solche Verfahren nicht nur bei weiblich sozialisierten AutorInnen zu beobachten sind, zeigt Bernhard Teuber am Beispiel Arthur Rimbauds, in dessen Geschlechterperformanzen keine eindeutigen Identifizierungen des Dichter-Selbst stattfänden, sondern anstatt dessen eine poetische Rede als ‚polymorphes Dispositiv der Perversion‘ etablierten, die sich der Zuordnung von Kategorien wie Männlichkeit und Weiblichkeit entzögen, um das Ich auch in dieser Hinsicht als eine Andere beziehungsweise einen Anderen auszustellen.

Einige Beiträge gehen jedoch über das Themenfeld der individuell autorisierten Literatur hinaus. Beispielsweise Uta Felten, die sich mit den Filmen von Catherine Breillat auseinandersetzt oder Bezügen zu Traditionen kollektiver Literaturproduktion, wie Claudia Gronemann sie anhand maghrebinischer AutorInnen beschreibt. Neben einem auf Differenzierung und (Re-)Emanzipierung zielenden Fokus auf die geschlechtlichen Codierungen von Autorschaft ist Kollektivität eine zweite Kategorie, für die ausblickartig in diesem Band sensibilisiert wird. Auch sie stellt ein ebenfalls gewichtiges ‚Anderes‘ der individual-genialischen Autorschaft dar.

Einen breiten Zugang zu Phänomenen der Kollektivität eröffnet ein von Gerhard Fischer und Florian Vassen verantworteter Tagungsband aus dem Jahr 2011, der unter dem Titel „Collective Creativity“ fünfundzwanzig Beiträge versammelt, die ein thematisch äußerst weites Spektrum abdecken. An Beispielen aus Literatur, Theater, Fernsehen, Internet und bildenden Künsten werden verschiedene Aspekte von Kollektivität behandelt, die dabei mal Arbeitsform oder Kommunikationsprozess, mal als Thema oder als subversive Strategie erscheint. Die fünf Sektionen des Bandes sind sowohl nach historischen als auch nach systematischen Gesichtspunkten gegliedert, was einigen thematische Verdichtungen zugute- und einem spezifisch interessengeleiteten Zugang entgegenkommt.

Die recht umfangreiche Einleitung versammelt einige theoretische Reflektionen zu ‚kreativen Kollaborationen‘, und versucht die am Begriff der Kollektivität angezeigte Spannung zwischen einer politisch links zu verordnenden Idealität und einer neo-liberal motivierten Praxis des Teamworks näher zu bestimmen. Diesen unterschiedlichen Konzepten widmen sich auch die Beiträge von Rolf G. Renner, der Kollektivität im Hinblick auf ihr subversives Potential untersucht, während David Roberts jene pro-kapitalistische ‚kreative Ökonomie‘ einer kritischen Betrachtung unterzieht. Beide Pole werden später noch einmal von Thomas Ernst aufgenommen, um kollektives Schreiben zwischen ‚Subversion und Submission‘ näher zu bestimmen. Bereits hier zeigt sich die vielfältige, mitunter beliebige Applizierbarkeit von collectivity und creativity, zu deren Differenzierung aber vor allem Ernst mit einem vier-gliedrigen Analysemodell sinnvolle Überlegungen bietet.

Historisch liegt ein Schwerpunkt des Bandes auf einer Zäsur um das Jahr 1800. Also jener Schwelle, die nicht nur die Etablierung des genialischen Autors markiert, sondern parallel dazu auch eine Vielzahl kollektiver Praktiken hervorgebracht hat. Franz-Josef Deiters beschreibt anhand von Gottscheds „Versuch einer Critischen Dichtkunst“ die Individualisierung des Theaterbetriebs und die Durchsetzung der einen zentralen Autor-Instanz. Konterkariert wird dies von den von Gabriele Fois-Kaschel beschriebenen ‚synergetischen‘ Effekten in der Choreografie und Axel Fliethmanns Analyse des Dioramas, die die positiven Effekte kreativer Zusammenarbeiten herausstellen. Dies gilt auch für Alan Corkhills Beitrag, der die vielfältigen Gemeinschaftsprojekte und -produktionen Sophie und Dorothea Tiecks vor dem Hintergrund einer idealisierten Geselligkeitskultur – vor allem Schleiermachers Schrift „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens“ von 1799 – behandelt.

Die weiteren Sektionen widmen sich den Neuen Medien und dem Internet, dem kollektiven Schreiben im Allgemeinen, worunter etwa die Reiseberichte der Forsters oder Brigitte Reimanns Auseinandersetzung mit der Programmatik des Bitterfelder Wegs fallen – sowie noch einmal dem Theater, hier aber mit deutlicherem Fokus auf das Publikum und den Wechselbeziehungen zwischen Produktion und Rezeption. Allein durch diese vielfältigen Zugänge stellt der Band ein Grundlagenwerk zu Phänomenen der Kollektivität dar, da er aufzeigt, in wie vielen Bereichen der Kulturproduktion gemeinschaftliches Denken und Handeln erfolgreich versucht wurde und gängige Praktiken ausgebildet hat, die aufgrund der monolithischen Idealbilder vom schöpferischen Einzelnen stets marginalisiert wurden.

Doch so gut und erhellend die vielen Beiträge auch sein mögen, in der Gesamtheit stiften sie auch einige Verwirrung, die nicht aufgelöst wird. Denn am Ende macht sich das Fehlen einer Klammer bemerkbar, die die vielfältigen Praktiken und Zuschreibungen noch einmal differenziert und für ein den heterogenen Gegenständen angemessenes Problembewusstsein sorgen würde. Denn auch wenn die Einleitung einige verallgemeinernde Ideen zur ‚Erosion des autonomen Subjekts‘ und einer programmatischen Kollektivität als ‚epistemologischer Kontrastfigur‘ vorstellt, um dem ‚Ich‘ eine ‚bemerkenswerte Heterogenität‘ gegenüberzustellen und Kreativität als ein Produkt dieser dialektischen Binarität zu begreifen, steht in den Sektionen des Bandes vieles unverbunden nebeneinander – und trägt doch den gleichen Namen. Kollektivität oder Kollaboration bezeichnen hier sowohl die Prozesse über-individueller Diskurse (etwa im Kontext der ‚neuen‘ Medien und ihrer interaktiven Kommunikationsstrukturen), handwerkliche wie performative Praxis im Theater oder den bildenden Künsten als auch die literarische Gemeinschaftsproduktion eines Briefwechsels. Das ist den einzelnen Beiträgen nur bedingt zum Vorwurf zu machen, lässt aber in der Gesamtheit und vor allem in den konzeptuellen Vorüberlegungen der Einleitung die begriffliche Klärung zugunsten eines operablen Vokabulars vermissen. Dieser Theoriemangel mag der Form des Tagungsbandes geschuldet sein, dennoch wäre auch für weiterführende Forschungen ein Bemühen um terminologische Klarheit wünschenswert gewesen. Zumindest stellt sich bei der Lektüre des Bandes das Bedürfnis nach weiterführenden Differenzierungen ein. Diese erscheinen unverzichtbar bei der Vielgliedrigkeit theoretischer Annäherungen an einen Begriff, der eine Vielzahl äußerst heterogener Phänomene bezeichnen soll.

Titelbild

Gerhard Fischer / Florian Vassen (Hg.): Collective Creativity. Collaborative Work in the Sciences, Literature and the Arts.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2011.
368 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9789042032736

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Tanja Schwan / Claudia Gronemann / Cornelia Sieber (Hg.): Strategien von Autorschaft in der Romania. Zur Neukonzipierung einer Kategorie im Rahmen literatur-, kultur- und medienwissenschaftlich basierter Geschlechtertheorien.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012.
286 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-13: 9783825359959

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch