Professorenfrau oder Frau Professorin

Ulla Bock hat eine explorative Studie zu den ersten Jahrzehnten deutschsprachiger Frauen- und Geschlechterforschung vorgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Selbstverständlich ist die Genderforschung auch sich selbst ein Untersuchungsgegenstand. So hat die Soziologin Ulla Bock nun, gut 30 Jahre nachdem die erste Frauenforschungsprofessur eingerichtet wurde, eine Studie über die „Pionierarbeit“ der ersten Professorinnen für Frauen- und Geschlechterforschung an deutschsprachigen Hochschulen vorgelegt. Diese erste Professur, in deren Denomination die Frauenforschung genannt wurde, wurde an einer Fachhochschule in der – und das mag damals ebenso überraschend gewesen sein wie es noch heute ist – überaus konservativen Bischofsstadt Fulda eingerichtet.

Für ihre explorative Studie hat Bock 38 der insgesamt 65 Professorinnen interviewt, die – wie sie ihre Kollegin Heike Kahlert zitiert – als „erste sichtbare Generation“ universitäre Frauen- und Geschlechterforschung betrieben und somit als „Wegbereiterinnen für nachfolgende Generationen“ fungierten. Sie wurden in den Jahren zwischen 1934 und 1949 geboren und sind inzwischen zumeist emeritiert. Unter ihnen etwa die Volkswirtin Ruth Becker, die Ethnologin Heike Behrend, die Historikerin Barbara Duden, die Soziologin Ute Gerhard oder die Literaturwissenschaftlerin Inge Stephan.

Entgegen dem von maskulinistischen und anderen, ebenfalls zumeist männlichen Gender-KritikerInnen in den Medien gerne erweckten Eindruck, die Gender Studies dominierten den universitären Diskurs geradezu hegemonial, ist „der Anteil der expliziten Genderprofessuren an sämtlichen Professuren“ in der Realität „sehr gering“. In Deutschland beträgt er seit dem Jahr 2000 gerade einmal zwischen 0,4 und 0,5 Prozent. Diese Quote hat sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten nicht mehr gesteigert. Nun verteilen sich diese vier bis fünf Promille erwartungsgemäß keineswegs gleichmäßig über die diversen Disziplinen. Vielmehr kann die Soziologie, auch dies ist wenig überraschend, „im Zusammenhang mit der Etablierung und Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterforschung in den Hochschulen zu Recht vorrangig genannt werden“. Die Literatur- und die Geschichtswissenschaft sind ebenfalls im vorderen Bereich vertreten.

Die Auskünfte ihrer Interviewpartnerinnen hat Bock klugerweise „thematisch geordnet und auszugsweise in einen kontextualisierenden Fließtext eingebunden“. Dies lässt nicht nur die relevanten Themen, Zusammenhänge und Entwicklungen deutlich hervortreten, sondern macht die Studie zudem ausgesprochen gut lesbar, was ja bekanntlich nicht immer bei Publikationen deutschsprachiger WissenschaftlerInnen der Fall ist. Gerade die Soziologie hat mit dem Ruf zu kämpfen, sie befleißige sich eines Fachchinesisch, das zugegebenermaßen nicht immer ganz einfache Sachverhalte unnötig kompliziert darstelle. Beschlossen wird der vorliegende Band mit informativen „Kurzportraits“ der interviewten Hochschullehrerinnen, deren Statements mit ihrem Einverständnis von Bock nicht anonymisiert wurden.

Mögen sich die befragten Frauen und ihre Auffassungen auch in mancher Hinsicht unterscheiden, so verbindet sie doch „die überaus prägende Sozialisation durch die Neuen Frauenbewegungen, in deren Kontext sich die Frauen- und Geschlechterforschung entwickeln konnte“. Dies dürfte über die Gruppe der Professorinnen hinaus zweifellos für alle Feministinnen dieser Generation gelten, mögen sie nun Akademikerinnen sein oder nicht. Mit welchen Vorurteilen und Widerständen Frauen- und Geschlechterforscherinnen in den ersten Jahrzehnten ihrer universitären Laufbahnen täglich zu kämpfen hatten, mag ein Statement Niklas Luhmanns verdeutlichen, der es in den 1960er-Jahren durchaus „verständlich“ fand, „dass die Zulassung von Frauen in einem männlichen Kollegenkreis gewisse Sorgen bereitet“. Von Frauen- und Geschlechterforschung oder gar von Feminismus war da noch nicht einmal die Rede.

In einem chronologisch organisierten Abschnitt wertet Bock zunächst die Auskünfte der Befragten über die „Zeiten des Umbruchs und des Aufbruchs“ aus. Waren die 1970er- und 1980er-Jahre gerade aus feministischer Sicht und für die Frauen- und Geschlechterforschung sowohl solche der Auf- wie auch der Umbrüche, so fanden in den nachfolgenden Jahrzehnten doch eher Um- denn Aufbrüche statt. Nun sind zwar nicht alle dieser Umbrüche unbedingt negativ zu bewerten. Dass die Frauenforschung durch die Geschlechterforschung und sodann durch die Gender Studies ergänzt wurde, ist durchaus positiv zu beurteilen. Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem fraglos gravierendsten universitären Umbruch, der mit dem „Wandel der europäischen Hochschullandschaft durch die Bologna-Erklärung“ im Jahre 1999 einsetzte und sich im Zusammenspiel mit diversen Evaluationsanforderungen auf das Niveau von Hochschulforschung und Lehre noch immer geradezu verheerend auswirkt. Zwar leidet nicht nur die Frauen- und Geschlechterforschung unter der gewollten Verschulung und Ökonomisierung der Hochschulen, doch sind gerade diese ja nicht zuletzt emanzipatorischen und kritischen Forschungszweige besonders nachteilig betroffen.

Bei dem dritten von Bock und ihren Gesprächspartnerinnen beleuchteten Umbruch handelt es sich um denjenigen zwischen den Generationen, mit dem nicht nur ein Austausch von Professorinnen einhergeht, sondern, wie die Lektüre deutlich werden lässt, auch einer der Forschungsansätze und Schwerpunktsetzungen. Zudem werden, wie andernorts auch, die von den ‚Müttern‘ in harten Kämpfen errungenen Positionen von den ‚Töchtern‘ als selbstverständlich wahrgenommen, so dass erstere sie wohl nicht ganz zu Unrecht bereits wieder in Gefahr sehen.

Zwei weitere Abschnitte befassen sich mit den Berufsbiographien der Interviewten und ihrer Beurteilung der „wissenschaftlichen und politischen Bedeutung von Genderprofessuren“. Manche der Befragten erinnert sich daran, dass man in den „Bewegungszeiten“ zu Beginn ihrer Hochschullaufbahn keine Karriere „anvisierte“ (Gisela Bock). „Karriere zu machen. Das war irgendwie anrüchig. Karriere zu machen, war etwas, das tut man nicht.“ (Helga Grubitsch). In der Rolle der „Professorenfrau“ mochten sie sich allerdings auch nicht wiederfinden (Ilse Lenz). Dann doch lieber Frau Professorin. Zumal dieser Status auch eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, eigenständige Forschungen zu betreiben. Denn „wenn du machen willst, was du willst, Forschung machen, die dich interessiert, musst du Professorin werden in diesem Land. Es geht kein Weg daran vorbei.“ (Beate Krais) Diese Freiheit wird allerdings inzwischen im Zuge des Bologna-Prozesses und dem immer stärker um sich greifenden Zwang zur Drittmittel-Einwerbungen auch schon wieder beschnitten, so dass heute von der universitären Freiheit der Forschung und Lehre kaum noch anders als zynisch gesprochen werden kann.

Auch der eine oder andere neuere Forschungsansatz wird argwöhnisch beäugt. Sicher nicht ganz zu Unrecht sehen etliche der Befragten in der „zunehmenden Dominanz des Diversity-Konzeptes eine Tendenz zu einer theoretischen Verflachung der Frauen- und Geschlechterforschung“ und befürchten, dass mit dieser Entwicklung ein „Verlust von herrschaftlichen Aspekten und emanzipatorischen Ansprüchen“ einhergehen wird. So treten Gender und Diversity in Denotationen zunehmend gemeinsam auf, wenn jene nicht gar unter dieser subsumiert wird. Gender aber, erklärt etwa die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun in einem der Gespräche, ist „zu zentral, als dass du sie einfach unterordnen kannst unter andere Diversity-Fragen“. Die Psychologin Elisabeth de Sotelo sieht das nicht anders: „Diversity tut so, als wäre die Geschlechtszugehörigkeit ein Merkmal wie viele andere Merkmale. Aber es ist ein ganz existentielles Merkmal.“ Noch pointierter drückt es die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Hering aus. Für sie ist Diversity „das Ende der Genderforschung in bestimmter Weise“. Denn dann wollten viele statt Gender Studies „gleich Diversity [machen].  Dann hast du aber die Frauen sofort in der Ecke mit den Alten, mit den Behinderten und mit den Ausländern. Da waren wir mal vor dreißig Jahren.“ Die Soziologin Ilse Lenz „empfinde[t]“ Diversity gar als „Management-Etikett“. So nachvollziehbar solche Bedenken sind, so erstaunlich ist es, dass die Befragten die ebenfalls um sich greifenden Postcolonial Studies ungleich weniger problematisch zu sehen scheinen. Dabei stehen sie doch nicht selten in einem weit gravierenderen Spannungsverhältnis zu den Gender Studies, deren Emanzipationsbestrebungen Geschlecht ins Zentrum stellen. Wieder anders verhält es sich mit den Queer Studies. Doch auch hier sind die Spannungen im Verhältnis zur Frauen- und Geschlechterforschung unübersehbar.

In einem abschließenden Kapitel unterstreichen die Autorin und ihre Gesprächspartnerinnen, wie wichtig es ist, dem „Verlust des Erfahrungswissens in der Frauen- und Geschlechterforschung“ nachhaltig entgegenzuarbeiten. Denn „es gilt dieses Erbe nicht zu vergessen, sondern es in zukünftige Debatten der Frauen- und Geschlechterforschung einzubeziehen und weiter zu entwickeln wie auch für die institutionellen Prozesse nutzbar zu machen“, wie Bock betont. Auch ihr eigenes Buch leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. Zweifellos lässt sich jetzt schon sagen, dass es sich bei dem Band bis auf Weiteres um das Standardwerk zu den Anfängen der Frauen- und Geschlechterforschung an Hochschulen im deutschsprachigen Raum handelt.

Titelbild

Ulla Bock: Pionierarbeit. Die ersten Professorinnen für Frauen- und Geschlechterforschung an deutschsprachigen Hochschulen 1984-2014.
Campus Verlag, Frankfurt am Main; New York 2015.
325 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783593503011

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