Altern ist nichts für Feiglinge

‚Liebe im Alter’ im neuen Deutschen Film

Von Corinna HessRSS-Newsfeed neuer Artikel von Corinna Hess

Die erste Ehe ist gescheitert, der Lebenspartner verstorben oder der liebeshungrige Suchende noch immer nicht zur Ruhe gekommen: 50+, ledig, einsam und lebenslustig sucht PartnerIn für ein paar schöne Stunden, sexuelle Befriedigung, Nähe, Halt oder auch die ganz große Liebe.

Wirft man einen Blick auf die aktuelle deutsche Filmlandschaft, wird deutlich, dass das Bedürfnis nach Liebe, Sexualität und Partnerschaft auch mit fortgeschrittenem Alter noch von besonderer Bedeutung für das persönliche Glück zu sein scheint. Nach Filmen wie Bis zum Horizont, dann links! (2012), Wolke 9 (2008) von Andreas Dresen und dem britischen Film Best Exotic Marigold Hotel (2011) setzen sich auch die Filme Parcours d’Amours (2014) und Blütenträume (2015) mit dem lange Zeit tabuisierten Thema ‚Liebe im Alter’ auseinander.

Die Dokumentation Parcours d’Amours von Bettina Blümner, die Medienkultur und Gestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar studierte und 2007 mit ihrem Dokumentarfilm Prinzessinnenbad bei der Berlinale ihr Langfilmdebüt feierte, präsentiert sich als ein menschliches und ehrliches Porträt der Lebens- und Liebensgeschichten der beiden Gigolos Gino und Eugène sowie der Freundinnen Christiane und Michelle. Wenn die vier alten Herrschaften Ü70 nachmittags im Pariser Tanzcafé „Memphis“ das Tanzbein schwingen und dabei flirten und kuscheln was das Zeug hält, gerät ihr Alter schnell in Vergessenheit und selbst die jüngsten Zuschauer fühlen sich an ihren ersten Ausflug in die Disko erinnert. Voller Lebensfreude wirbeln und schunkeln die Freunde nach dem Motto ‚Tanzen hält jung’ über das Parkett und scheinen dabei ihr Schicksal, die Einsamkeit und ihre körperlichen Gebrechen für einen kurzen Moment zu vergessen. „Taxiboy“ Michel, auf den ersten Blick ein gut aussehender Gentleman der alten Schule, geleitet die betuchten alten Damen gegen Geld zum Tanz, bringt ihnen neue Schrittfolgen bei und gibt ihnen das Gefühl nochmal jung zu sein. Während sein Verhalten zunächst lediglich einer Bereicherung an der Einsamkeit des Alters gleichkommt, erhält es durch seinen Besuch bei einer erkrankten Kundin einen positiven Beigeschmack. Der kritische Blick der Zuschauer auf Michel relativiert sich jedoch nicht, da es Michel bei all seinem Tun doch in erster Linie um sein persönliches Glück und eine positive Außenwirkung zu gehen scheint.

Vor dem Hintergrund der funkelnden und blinkenden Diskokugel an der Decke des „Memphis“ erscheinen die städtische Tristesse, die Eugène auf seinem Heimweg umgibt, und die Einsamkeit des in ein Tapetenblütenmeer getauchten Apartments umso krasser. Im Schutz der eigenen vier Wände berichten die Darsteller erstaunlich, zuweilen berührend emotional von ihrem Lebensweg, von enttäuschten Hoffnungen sowie von Ängsten und Wünschen für die Zukunft. Sie alle eint nicht nur die Liebe zum Tanzen, sondern ein Lebensweg, der durch Brüche, Scheidungen und Migration gekennzeichnet ist und dabei nahezu alle gängigen Klischees bedient – leider.

Weniger einheitlich erscheinen die Lebensentwürfe, wenn es um Liebe und Sexualität geht. Während Christiane und Michelle ihre Suche nach Prinz Charming nicht aufgeben wollen, entwerfen Eugène und Gino Vorstellungen, die von Monogamie und erfüllender Liebe weit entfernt sind. Führt das einleitende Gespräch der beiden Männer über ihren „Freund und Helfer“ Viagra noch zu allgemeinen Lachern, geht wenig später bereits ein Schnaufen durch den Zuschauerraum, wenn Eugène, mit einem Finger im Ohr bohrend, deklariert, er habe nie eine seiner Frauen geliebt. An dieser Stelle wird eine entscheidende Schwäche der Dokumentation deutlich und es stellt sich die Frage: Parcours d’Amours oder  „Parcours de cliché“? Der Film ist deutlich überladen mit Geschlechterklischees, welche leider nicht durch eine selbstreflexive Betrachtung durch die Charaktere relativiert werden können, sodass dem Zuschauer am Ende nur die Frage bleibt, ob nun eigentlich wirklich alle Männer Schweine sind und Frauen schon mit der rosaroten Brille geboren wurden. Doch dann geht es nicht mehr nur um Lebensfreude, Verflossene und die Vergangenheit, sondern auch um die Vergänglichkeit des Lebens und die Angst vor dem Tod. Und so spricht die Regisseurin besonders dann das Mitgefühl der Zuschauer an, wenn Christiane in ihrer Wohnung mit einem als Tänzer verkleideten Besen tanzt und von ihrem Brustkrebs berichtet, der Angst vor der Krankheit, der Einsamkeit und dem Verlust ihrer Weiblichkeit durch eine Amputation.

Aus den Lautsprechern im „Memphis“ und den Radios der Hauptdarsteller erklingen französische Chansons, die die Stimmung des Films unterstreichen, und am Ende ist es der Ausruf Ginos „Je veux vivre!“, der den Zuschauern, Klischees und Nostalgieüberschüssen zum Trotz, ein empathisches Lächeln aufs Gesicht zaubert.

Dennoch präsentiert sich die Dokumentation stellenweise in erster Linie als rückwärtsgewandt. Perspektiven erschließen sich kaum, der Wunsch nach Zweisamkeit erfüllt sich nur zeitweise, der Umgang mit dem Alter erinnert eher an Verdrängung als an Optimismus und am Ende ist das einzige Glück der Tanz. Wenn das „Memphis“ in Parcours d’Amour schließt und die Kamera einfängt, wie Gino, Eugène, Michelle und Christiane alleine den Heimweg antreten, steht fest: „Altern ist nichts für Feiglinge“. So erscheint Parcours d’Amour in seinem Nacheinander der Szenen, das nicht ohne emotionalisierende Musik und starke Bilder auszukommen vermag, als stark durchkomponierter Dokumentarfilm, der in erster Linie eine sympathische Nacherzählung vierer Lebensgeschichten und eine Hommage ans Tanzen ist. Parcours d’Amour ist eine filmisch durchaus sehenswerte Dokumentation, dem Thema ‚Liebe im Alter’ kommt jedoch nur ein geringer Stellenwert zu.

Die Komödie Blütenträume (2015) des österreichischen Regisseurs und Drehbuchautors Paul Harather, der für die neue ARD-Serie Sedwitz die Regie übernommen hat, erscheint hingegen weitaus vorwärtsgewandter. Frei nach dem gleichnamigen Theaterstück von Lutz Hübner und Sarah Nemitz unterhält der Film mit Intelligenz und Humor.

Im Flirtkurs 50+ an der Volkshochschule treffen, verkörpert durch bekannte deutsche Schauspieler wie beispielsweise Nadeshda Brennicke und Rufus Beck, acht völlig unterschiedliche Charaktere aufeinander. Alle sind alleinstehend und alle wollen lernen, wie sie sich auf dem Partnermarkt von heute richtig verkaufen – denken sie. Im Aufführungssaal der Volkshochschule entfalten sich missglückte Coaching-Methoden, Erwartungen, Lebenserfahrungen und individuelle Realitäten zu einem humorvollen Kammerspiel und der Zuschauer erkennt schnell: In der Liebe und im Leben gibt es keine Regeln, schon gar nicht solche, die man in einem Volkshochschulkurs lernen kann. Die Marketingstrategien gleichenden Ratschläge des gescheiterten Kursleiters Jan, der Ökonomie und Partnersuche zunehmend weniger auseinander zu halten scheint, treffen schnell auf Widerstand und führen zum nächsten logischen Handlungsschritt: der Absetzung des Kursleiters. Was infolgedessen als Krisenrat gedacht ist, beginnt sich zu verselbstständigen, wird zur ausgelassenen Party, zur Selbsthilfegruppe und schließlich zum Wendepunkt des Films. Während dessen erster Teil eher wie ein Theater im Theater (oder nun eben im Film) erscheint und durch seine an eine klassische Exposition erinnernde, humoristische Konzeption nur wenige Identifikationsmöglichkeiten bietet, gestaltet sich die zweite Hälfte des Films überraschend emotional.

Wie ist das, wenn die große Liebe verstorben ist, die Kinder aus dem Haus sind oder der Traumprinz immer noch auf sich warten lässt? In gewitzten Dialogen mit sicheren Schlagabtäuschen berichten die Kursteilnehmer von ihrer Vergangenheit, von Hoffnungen und von Ängsten. Und auch das Gänsehautfeeling bleibt nicht aus, wenn es um die Endlichkeit des Lebens, Alzheimer und den Verlust eines geliebten Menschen im doppelten Sinne geht. „Wer bin ich und was habe ich vom Leben noch zu erwarten?“ ist die Frage, die dabei in allen Erzählungen untergründig mitschwingt, den Zuschauer zum Nachdenken anregt und in ihrem Facettenreichtum ausreichend Möglichkeiten zur Identifikation bietet. Zwischen körperlicher Veränderung, Einsamkeit und Unsicherheit ist am Ende doch der Tenor: „Natürlich haben wir noch Lust!“ – Lust auf Sex, Lust zu leben und zu lachen, Lust neue Erfahrungen zu machen und Lust auf Zweisamkeit.

Aus dem Wunsch nach Gemeinsamkeit und der Flucht vor dem Alleinsein erwächst schließlich der Plan in eine WG zu ziehen. Berauscht durch Alkohol, Glücksgefühle und Marihuana erkennen die Kursteilnehmer die Idee als die ideale Lösung für alle, doch die Szenerie am nächsten Morgen, welche sachte Erinnerungen an Woodstock und freie Liebe wachruft, lässt den Zuschauer bereits den Schluss des Films vorausahnen. So erscheint die mutmaßliche Ideallösung, welche die Hoffnung auf Mehr weckt und einen Lichtblick für die Zukunft darstellt, am Ende als unerfüllbare Utopie. Krankheit, persönliche Präferenzen und die mangelnde Bereitschaft sich anzupassen bringen den Plan zum Scheitern. Ein desillusionierender Moment, der jedoch die vorangegangene Handlung nicht relativiert, sondern als Aufforderung zu verstehen ist, auch im Alter offen zu bleiben. Was als Flirtkurs begann, ist, obwohl am Ende doch jeder seinen eigenen Weg geht, zu Freundschaft geworden und bedeutet einen Schritt aus der Isolation und eröffnet Perspektiven für die Zukunft. Und auch das Zurücktreten der Bildhandlung hinter die Dialoge, welche der ursprünglichen Konzeption für die Bühne geschuldet ist, tut dem Film vor allem aufgrund der hervorragenden Leistung der Schauspieler sowie der gekonnten filmischen Ergänzungen durch Regisseur Paul Harather, wie beispielsweise die an Karikaturen erinnernden Flashbacks, keinen Abbruch, sodass Blütenträume besonders für theaterbegeisterte Kinogänger eine kurzweilige Unterhaltung darstellt.

Im Vergleich ist, wer einen positiven Umgang mit dem Thema „Liebe im Alter“ sucht, inhaltlich mit Blütenträume weitaus besser bedient. Die Antwort auf die Aussage „Altern ist nichts für Feiglinge“ lautet hier: Konfrontation, und am Ende bleibt die Erkenntnis, dass einem Neuanfang auch mit 50+ nichts im Wege steht. Ein Film, der zum Lachen, zum Träumen und zum Mitfühlen anregt und das Tabuthema Liebe, Partnerschaft und Sexualität im Alter mit viel Selbstironie und Optimismus in die deutsche Filmlandschaft katapultiert.

„Parcours d‘Amour“ (Deutschland und Frankreich 2014)
Regie und Drehbuch: Bettina Blümner
Verleih: Reverse Angle International GmbH
Laufzeit: 81 Minuten

„Blütenträume“ (Deutschland 2015)
Regie und Drehbuch: Paul Harather
Darsteller: Nadeshda Brennicke, Corinna Kirchhoff, Teresa Harder, Proschat Madani, Falk Rockstroh, Max Herbrechter, Rufus Beck, Alexander Khuon
Produktion: Südwestrundfunk
Laufzeit: 89 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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