Napoleon à la Bavaroise

Über das Katalogbuch zur Landesausstellung

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Am Anfang war Napoleon.“ Das berühmte Diktum, mit dem Thomas Nipperdey sein mehrbändiges Werk über die deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert eröffnet, steht auch am Beginn des Grußwortes, mit dem der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer das vorliegende Katalogbuch „Napoleon und Bayern“ zur Landesausstellung 2015 einleitet, nicht ohne jedoch baldigst darauf zu bestehen, dass Bayern neben dem Franzosen doch auch eigene Persönlichkeiten und Handlungsoptionen vorzuweisen habe. Diesem nicht ganz ungewohnten Selbstbewusstsein scheinen jedoch die übrigen Katalogbeiträge, darunter Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, und Markus Junkelmann, nicht ganz folgen zu wollen. Sie zeigen vielmehr Bayern als Spielball der Großmächte, als Land, das infolge der napoleonischen Politik so gründlich verändert wurde, dass gleichsam kein Stein auf dem anderen blieb. Zugleich wurde mit ihr die Grundlage für das moderne Bayern gelegt.

Für den Verlust der linksrheinischen Gebiete, die im Rahmen der Koalitionskriege an Frankreich fielen, war Bayern bereits im Reichsdeputationshauptschluss mit säkularisierten und mediatisierten Ländereien entschädigt worden, die das Besitztum der Wittelsbacher erst zum Flächenstaat machten. Napoleon erkor nun Bayern zum Haupt der Mittelstaaten, die er als 3. Deutschland gegen Preußen und Österreich aufbauen wollte. Um dem Expansionsstreben des Nachbarn Österreich zu entgehen, warf sich Bayern dem Korsen in die Arme und erhielt dafür eine Königskrone und die volle Souveränität gegenüber den Reichsrechten. Nach dem Untergang des Alten Reiches fiel Tirol an Bayern, das nunmehr von Coburg bis zum Gardasee reichte. Im Jahrzehnt von 1805 bis 1815, in dem Napoleon die Geschicke Bayerns bestimmte, erhielt das Königreich eine Verfassung, welche die Gleichheit vor dem Gesetz, Gewissens- und Meinungsfreiheit sowie die Würdigung von Leistungen ohne Rücksicht auf Abstammung postulierte. Vergleichbares erreichten Preußen und Österreich erst nach der Revolution von 1848. Das Ende der napoleonischen Ära war auch das endgültige Aus für eine relativ selbstständige bayerische Außenpolitik, die sich immerhin bis dahin eine gewisse Entscheidungsfreiheit bewahrt hatte.

Die Ausstellung dokumentiert diesen bayerischen Sonderweg in Deutschland, der in gewisser Weise bis heute nachwirkt. Zeitgenössische Bilder zeigen die zumindest anfängliche Begeisterung der Bevölkerung für die Franzosen und für das von ihnen angestoßene Reformwerk. Die Kurzbeiträge zu den Abbildungen sind informativ, enthalten darüber hinaus aber auch reichlich anekdotisches Material, was nicht uninteressant ist angesichts der zahlreichen Ränkespiele am Hof der Wittelsbacher.

Ein wesentlicher Teil der Ausstellung befasst sich jedoch auch mit der Frage, welchen Preis Bayern für seine Rolle im napoleonischen System zahlte. Fast 25 Jahre eines permanenten Kriegszustandes führten zu einer Staatsverschuldung, „die selbst im Vergleich mit dem Schuldenstand der Bundesrepublik vor und nach der Wiedervereinigung oder vor und nach der Bankenkrise noch beträchtlich erscheint“, so Loibl. Der Verlust an Menschenleben reicht beinahe an die Anzahl der Toten des Ersten Weltkrieges heran. Die Kirchenbücher verzeichnen Geburten, die ganz offensichtlich auf Vergewaltigungen durch die Franzosen zurückzuführen sind. Der wirtschaftliche Niedergang infolge der Kontinentalsperre pulverisierte den Handel und die Kaufmannschaft und machte Bayern, bis sich Franz-Joseph Strauß etwas anderes einfallen ließ, zum reinen Agrarland. Als Napoleons Stern zu sinken begann, und nach der Völkerschlacht von Leipzig, vor der Bayern noch gerade rechtzeitig und mit erheblichen Bauchschmerzen die Fronten gewechselt hatte, endgültig unterging, verdrängte man rasch, was Bayern zu den Erfolgen des Kaisers und seiner Besatzungsmacht beigetragen hatte. Im Zuge der kleindeutschen Nationalbewegung waren nun gar die 30.000 Soldaten aus Bayern, die auf Napoleons Russlandfeldzug gefallen waren, wie die Inschrift auf dem Obelisken in München vorgibt, „für des Vaterlandes Befreyung“ gestorben – von Napoleon, wie man sich dazudenken muss.

Titelbild

Haus der Bayerischen Geschichte: Napoleon und Bayern.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2015.
334 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783806230581

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