Musealisierung einer Ikone

Björk ist jetzt offiziell Kunst, das beweist eine Retrospektive von Klaus Biesenbach

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war 1993, als die isländische Sängerin Björk ein Album mit dem Titel Debut veröffentlichte. Das leicht sepia eingefärbte Titelbild zeigt eine junge Frau im flauschigen Angorapulli. Ihre Hände sind vor dem Mund zusammengefaltet, ein scheues, natürliches Wesen scheint in die Kamera zu blicken. Aber schon der Titel trifft nicht zu. Ein Debüt war das Album nämlich keineswegs, das hatte die Sängerin bereits mit elf Jahren im heimatlichen Reykjavik aufgenommen. Danach kam der Punk nach Island, sie schloss sich verschiedenen Bands an, deren letzte The Sugarcubes hieß und ab 1988 in Europa und Nordamerika Furore machte. Aber auch die „Natürlichkeit“ des Covers war Inszenierung. Spätestens das zweite Album Post (1995) führte zu Videoclips und CD-Hüllen, auf denen sich die Sängerin als Cyborg oder Quasi-Mangafigur abbilden ließ. Zu ihrem fünfzigsten Geburtstag veranstaltete das New Yorker Museum of Modern Art eine große Retrospektive, deren Katalog mit dem Titel Björk. Archives jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Dazu drei Thesen:

Erstens: Björk ist ein Kunstprodukt. Mögen im Zentrum ihrer Alben – mit dem diesjährigen Vulnicura sind es acht, zuzüglich einer Horde von Remixen und Livemitschnitten – die Musik und die Sängerin stehen, es geht dabei nicht um „Authentizität“ hinter der Kunst. Nicht wie die Sängerin „hinter den Kunstwerken“ ist, ist wichtig, sondern das Kunstwerk als authentischer Akt. Den Höhepunkt erreichte Björks ausgestellte Artifizialität wohl mit Chris Cunninghams Video zu All Is Full of Love (1999), in dem zwei Industrieroboter, beide mit dem Gesicht Björks, miteinander Sex haben. Künstlichkeit und Kunst passen hier perfekt zueinander.

Hinter jeder Platte steckt ein multimediales Gesamtkonzept. Das verästelt sich bis in die Cover der Singles, das Bühnendesign der Konzerte, die auf der Bühne getragenen Kostüme. Das sind schon lange keine massenkompatiblen Dance Hits mehr wie „Venus as a Boy“ oder „Bachelorette“, aber die Hörer von vor 20 Jahren sind ja auch älter und gesetzter geworden.  Stattdessen  arbeitet Björk mit anspruchsvollen, innovativen Konzepten: Medúlla (2004) ist ausschließlich aus den bearbeiteten Klängen der menschlichen Stimme zusammengesetzt. Für Biophilia (2011) gab es zu jedem Song eine App, mit deren Hilfe der User die Songs selbst weiterentwickeln konnte, und bei der Tour kamen selbst entworfene Instrumente wie eine Gravitationsharfe [sic] zum Einsatz, so dass die Songs – wie im fulminant Konzertfilm Biophilia Live (2014) zu sehen – noch einmal völlig anders klangen. Björks Musik ist nach wie vor großartig, aber sie wirkt zerebraler, intellektueller als in den Anfängen, und genau das befördert wohl auch ihre Musealisierung. Dabei ist der vorliegende Katalog gar nicht das erste Unternehmen seiner Art. Schon 2001 gab es Björk – The Book, das wie der vorliegende Katalog bei Schirmer/Mosel erschien, und auch hier war es bereits das Kunstwesen Björk, das im Mittelpunkt der dort versammelten Fotografien stand. Allerdings auf kleinerer Skala als heute.

Zweitens: Björk ist ein Kollektivwesen. Nicht als vielfach gespaltene „Army of Me“, die unter Persönlichkeitsdissoziation litte, sondern in dem Sinn, dass ihre Gesamtkunstwerke nur funktionieren, wenn die Sängerin und Songschreiberin andere Musiker, Texter, Sänger, Toningenieure, Regisseure, Fotografen, Designer in den Dienst ihrer Projekte stellt und deren Arbeit zu einem stimmigen Ergebnis zusammenführt. Solche Gemeinschaftsarbeit mag hinter der Karriere jedes beliebigen Popsternchens der Fall sein, aber wo bei den meisten Hypes das Drumherum sorgfältig kaschiert und als Summe sich zufällig ergebender Medienereignisse verkauft wird, ist die Durchkalkuliertheit bei Björk künstlerisches Programm, ohne sich dabei der Penetranz „zufällig“ geleakter Tracks oder groß herausgekehrter Liebesaffären bedienen zu müssen. So, wie es Madonna mit sehr viel langweiligerer Musik vorgemacht hat, und auch sie stand bereits in einer Tradition, die mindestens bis zu Roxy Music und David Bowie zurückreichte.

Wenn aber das Produkt Björk letztlich nur durch die Zusammenarbeit mit anderen zustande kommt, ist es folgerichtig, dass Kurator Klaus Biesenbach in seinem opulenten Katalog hauptsächlich andere zu Wort kommen lässt. Dass er in fünf dünnen Bänden erscheint, streicht den multiperspektivischen Ansatz seiner Ausstellung heraus: Biesenbach selbst liefert die Einleitung, die einen chronologischen Überblick gibt und die Fäden zusammenhält. Der Musikkritiker Alex Ross thematisiert die Vielfalt der Stile, die in Björks Musik zur Synthese kommen. Die britische Musiksoziologin Nicola Dibben, die bei Biophilia als Beraterin fungierte, beschreibt den kreativen Prozess in den Werken der Sängerin als feministischen Akt, der Dualismen wie den zwischen Mensch und Natur, natürlichen und elektronischen Klängen überwindet. Der isländische Poet Sjón, mit dem Björk seit Jahrzehnten immer wieder zusammenarbeitet, schreibt mit The Triumphs of a Heart ein Langgedicht, das Zitate aus den Songtexten der ersten sieben Alben mit einer Hommage an die Sängerin verwebt. Als Bildspur läuft eine Auswahl der gelungensten Photoshoots seit dem „Debüt“ von 1993 nebenher. Die Sängerin selbst kommt schließlich in einem E-Mail-Wechsel mit dem Philosophen Timothy Morton zu Wort. Beide treten in einen atemlosen Dialog über Kunst, Magie und die richtige Haltung zu Natur und Welt, in der beide vor allem als Stichwortgeber des jeweils anderen dienen. Das kann man Aneinandervorbeireden nennen, aber gleichzeitig stimuliert der Einfluss des anderen sie dazu, die eigene Ansicht lebendig, ja ekstatisch vorzutragen.

Drittens: Björks Musik bleibt hier unsichtbar. Es mag ja trivial sein, aber der eigentliche Kern des Kunstwerks Björk bleibt ausgespart, weil Druck allein Musik nicht hörbar machen kann. Präsent bleibt sie nur in den Noten, die auf die Hüllen der fünf Hefte des Katalogs gedruckt sind, als Gesangslinie plus Klavierauszug. Und auf einem beiliegenden Poster, das alle 105 Alben und Single-Cover aus der Zeit zwischen 1993 und 2014 einzeln abdruckt – perforiert zum Abreißen, Anlecken, Verkleben. Könnte der Katalog die Musik hörbar machen, er wäre ein magisches Buch.

Titelbild

Klaus Biesenbach: Björk: Archives. Eine Retrospektive.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2015.
192 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783829606950

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