Gegen die Elemente

Mit „Der Mann, der Inseln liebte“ wurde eine der schönsten Erzählungen von D.H. Lawrence neu übersetzt

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Inseln gehören zu den beliebtesten Schauplätzen der Literatur. Seit Plato über Atlantis schrieb, dienen sie als Gegenentwurf zur jeweiligen Gesellschaft des Autors, als Rückzugsort vor ihr, oder als ihr Abbild im Kleinen. Schon Thomas Morus’ Utopia (1516) handelt von einer Insel, die einerseits ein besseres England zu sein verspricht, andererseits aber Eigenschaften wie seine Größe und die Lage seiner Hauptstadt am größten Fluss des Landes mit ihm gemein hat. Man kann auch beides gegeneinander kehren: In Arno Schmidts Gelehrtenrepublik (1957) hat man nach dem Atomkrieg eine schwimmende Insel als Asyl für Künstler und Wissenschaftler geschaffen, auf der sie vor dem weiter schwelenden Konflikt zwischen USA und Sowjetunion geschützt sein sollen, während ihre beiden Hälften in Wirklichkeit weiter von Militär und Geheimdiensten der beiden Supermächte kontrolliert werden.

Auf den ersten Blick scheint D.H. Lawrence’ 1927 entstandene Erzählung Der Mann, der Inseln liebte mit Utopien nichts zu tun zu haben: Sein Protagonist zieht sich nacheinander auf drei Inseln zurück, von der jede kleiner und einsamer als die vorhergehende ist, bis er am Ende allein mit den Elementen bleibt. Eigentlich schimmert hier ein anderer Strang des Inselmotivs durch, die Einsamkeit Robinson Crusoes. Nur dass dessen Alleinsein gerade nicht freiwillig ist, und Defoes Held sein Inseldasein, beginnend mit dem Eingeborenen Freitag, mit Freuden zu einer kleinen Gesellschaft ausbaut, sobald er kann. Lawrence’ Held Mr. Cathcart – nur einmal fällt sein Name – geht gerade den umgekehrten Weg, von der kleinen Gesellschaft zur völligen Isolierung.

Geschrieben hat Lawrence die Erzählung wohl eher aus persönlichen Motiven als aus einem politischen Anliegen heraus; als Allegorie auf seine politischen Sympathien mit autoritären Regimen lässt sie sich wohl kaum lesen. Nachdem Lawrence und seine Frau Frieda von Richthofen England 1919 verlassen hatten, führten sie über Jahre hinweg ein rastloses Reiseleben. Er suchte nach einem Ort, an dem er mit seiner Tuberkulose leben konnte. Schließlich starb er 1930 in Frankreich. Theoretisch faszinierte ihn das Inselleben, doch wo er es praktisch versuchte, war er unglücklich. Auf Sri Lanka war das Klima für ihn unerträglich, auf Capri seine Landsleute, die dort in Scharen überwinterten. Auch der klassische Südseetraum erwies sich für ihn als Illusion, wohl auch, weil sein Blick doch der einer kolonialen Epoche war. Wie auch immer die Bewohner dort lebten, „wir können nicht zurück. Was immer der Südsee-Insulaner sonst ist, er ist Jahrhunderte und Jahrhunderte im Lebenskampf hinter uns zurück, im Kampf ums Bewußtsein, im Kampf der Seele, in die Fülle ihrer Existenz zu treten.“

Vor diesem Hintergrund ist es nur verständlich, dass Lawrence seine Erzählung in der rauen britischen Inselwelt, vielleicht vor der schottischen Küste, ansiedelt. Glücklich lässt der Autor seinen Helden nicht werden, allenfalls kommt seine innere Unruhe unter der Wucht der Gezeiten zum Stillstand. Tatsächlich lebt das kleine, liebevoll ausgestattete Buch von den elegischen Beschreibungen der Landschaft und des Meeres. Darin ähnelt es anderen Texten über entlegene Inselwelten, etwa Alfred van Cleefs ebenso traurigem wie gelungenen Die verirrte Insel, einem Reisebericht von der französischen Insel Amsterdam mitten im Atlantischen Ozean, oder den besten Passagen in Raoul Schrotts monumentalem Tristan da Cunha oder Die Hälfte der Erde. Gerade im Unterschied zu Schrott, dessen Roman bei aller Erzählkunst mit halb so viel Seiten ausgekommen wäre, zeigt sich, was Lawrence besser kann: in der konzentrierten Schilderung, die gleichwohl auf engstem Raum Felsen, Gischt und Bewohner lebendig werden lässt. Cathcart wird auf sich selbst zurückgeworfen und ähnelt gerade darin Crusoe. „Gegen die Elemente konnte man nicht gewinnen“, heißt es kurz vor Schluss. Und genauso wenig den eigenen Konflikten entkommen, indem man an einen anderen Ort ausweicht.

Der Hoffmann und Campe Verlag hat eine solide Neuübersetzung von Benjamin Lebert vorgelegt. Leider ist sein Vorwort das einzige, was an diesem schmalen, schönen Leinenband nicht überzeugt. Denn hier führt uns Lebert nicht nur in Lawrence’ Erzählung, sondern auch in seine Lebensansichten ein, und die haben schon etwas arg Salbungsvolles. Den Text, so bekennt Lebert, lernte er durch eine Frau kennen, „die eine kleine lichtfunkelnde Weile meine Gefährtin war“. Man wähnt sich mitten in Piktor’s Verwandlungen von Hesse, und zwar in der Anyone’s Daughter-Vertonung. „Ich selbst ängstige mich oft vor dem Leben, vor seiner Willensstärke, seiner Unerbittlichkeit. […] Wenn ich Glück habe, kommt mir in diesen Momenten rechtzeitig D. H. Lawrence in den Sinn. Ich weiß, dass da draußen eine Welt auf mich wartet: die größte, gefährlichste und doch wunderbarste Insel, die sich denken lässt.“ Das mag aufrichtig gemeint sein, aber es ergibt keinen Sinn: Eine Insel, die die ganze Welt umfasst und nicht nur deren Mikrokosmos ist, ist eben keine Insel mehr. Im Englischen gibt es die schöne Redensart „don’t judge a book by its cover“ – hier bitte auf das Vorwort übertragen!

Titelbild

David H Lawrence: Der Mann, der Inseln liebte.
Übersetzt aus dem Englischen von Benjamin Lebert.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
80 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783455405491

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