Assoziativ, gedankenvoll und lebendig

Hans Stilett hat einen lesenswerten Kommentarband über Montaignes Essais geschrieben

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Das Besondre unseres Menschseins besteht darin, dass wir zugleich des Lachens fähige und lächerliche Wesen sind“, fand Michel de Montaigne. Und Hans Stilett, einer seiner Übersetzer, fährt fort: „Montaigne ist kein Humorist – er hat Humor. Man kann ihn sich schwer als Zünder von Lachsalven vorstellen, doch ebensowenig als alles gutheißenden Menschheitsbeschmunzler. Sein ganz eigener Witz liegt in dem trocknen, einen Sachverhalt pointierenden Vorbringen, ob durch die Blume oder unverblümt.“

1998 erschien das Hauptwerk eines vorher ziemlich unbekannten Journalisten, eine großformatige Übersetzung sämtlicher Essays des französischen Philosophen und Politikers Michel de Montaigne. Es war die erste vollständige Gesamtübersetzung seit über 200 Jahren. Stilistisch war sie nicht unbedingt die sicherste und eleganteste. Kurz vor seinem Tod hat Stilett noch ein kommentiertes Lesebuch herausgegeben: „Wanderungen durch Montaignes Welt“. In kurzen Aufsätzen greift er Aspekte aus seinem Werk auf, zieht Linien in die Moderne, denkt über Montaignes Sprache nach, über seine Denkansätze, über seine Politik.

Zum Beispiel über seine Körpererfahrungen, seine Krankheiten, seine Genüsse, seine Freundschaften und körperliche Freuden: „Ich liebe das Leben und hege und pflege es so, wie Gott es uns zu geben gefallen hat“, heißt es einmal. Dabei war Montaigne auch Bürgermeister von Bordeaux und Freund des aufgeklärten Königs Henri IV., bewegte sich viel, nicht nur gedanklich: „Mein Geist rührt sich nicht, wenn die Beine ihn nicht bewegen“, schrieb er. Sein Geist rührte sich derart, dass er in den Essays, eine Gattung, die er überhaupt erst erfunden hat, gern auch einmal springt, bis er auf den Punkt kommt.

Und auch Stilett gelingt es, gekonnt von Punkt zu Punkt zu springen, und damit die Art von Montaignes Denken nachvollziehbar zu machen, die nicht immer geradlinig war, sondern auch assoziativ – und damit viel gedankenvoller und lebendiger. In einer gelungenen Mischung aus Biografie und Essay, zusammen mit Betrachtungen über Montaignes Stil und Anmerkungen über die Kunst, zu übersetzen, ist das Buch eine gelungene Einführung in das Werk eines der größten Denker und gleichzeitig eines der größten Stilisten aller Zeiten. „Kein Gegenstand ist so geringfügig, dass er nicht mit Fug und Recht in diese bunte Folge aufgenommen würde“, schreibt Montaigne, und Stilett macht klar, dass das ein großartiges Understatement ist, denn von diesen „geringfügigen“ Gegenständen kommt Montaigne auf den größten: die Kunst, zu leben.

Titelbild

Hans Stilett: Von der Lust, auf dieser Erde zu leben. Wanderungen durch Montaignes Welten. Ein Kommentarband anderer Art.
AB - Die andere Bibliothek, Berlin 2015.
304 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783847740315
ISSN: 97839575

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